Landstrich 1983, Nr. 3, Widerstand

Das Befinden von Frau Mähdier verschlechterte sich, und besonders die Herbst-und Früh jahrsmonate führten zu langdauernden und nur mäßig therapeutisch beeinflußbaren De pressionen. Fachärztliche Bescheinigungen wegen Lärmschädigung und entsprechender nervlicher Belastung, die der behandelnde Nervenarzt der Frau Mähdier neben einer Reihe anderer Patientinnen und Patienten auf Betreiben des erwähnten betriebsamen Rechtsan waltes ausgestellt hatte, fanden behördlicherseits keine Beachtung oder wurden mit gerade zu lächerlich aufreizenden Argumenten wie ,,Watte in die Ohren stopfen" und dergleichen abgetan. Man verwies auf die vorliegenden Meßergebnisse, die schwarz auf weiß belegten, daß die Belästigung weit unter jeder Schädigungsgrenze läge. Der Einspruch des Rechtsan waltes, daß die Messung zu einem Zeitpunkt vorgenommen worden war, an dem der Be trieb nicht mit vollem Einsatz arbeitete, wurde von Seiten der Leitung damit abgetan, daß erst ab Samstag von einer Reduzierung der betrieblichen Inanspruchnahme die Rede sein könne, was an Hand der Arbeitspläne, der Organisation ohne weiteres belegbar und beweis bar sei. Die Firmenleitung Bender & Co., zwar nicht landfremd, aber doch am Ort nicht eingeses sen, sah sich schließlich genötigt, den bisherigen Vertreter ihrer rechtlichen Interessen, der seinen Wohnsitz und seine Kanzlei in der Landeshauptstadt hatte, abzulösen und sich des Beistandes eines ortsansässigen Rechtsanwaltes für die ständig anfallenden Angelegenhei ten, wie Versicherungsschutz, arbeitsrechtliche Fragen, Verträge und dergleichen mehr, zu versichern. Die Firma war selbst schon auf den bereits mehrfach erwähnten jungen Anwalt aufmerksam geworden, der bisherige Firmenanwalt, der zwar gewisse Agenden noch weiter behielt, alles andere jedoch abgeben wollte, hatte ebenfalls die Firma auf ihn hingewiesen. Nach kurzem Zögern und auf energische Intervention des älteren Kollegen fand sich Dr. Holthaus bereit, die Vertretung der Firma zu übernehmen. Mitbestimmend war zweifellos auch, daß der ältere Kollege ankündigte, sich in absehbarer Zeit völlig zurückzuziehen. Kurzum, Dr. Holthaus befand sich plötzlich und einigermaßen überraschend auf der Gegen seite seiner Klienten, weshalb er selbstverständlich die Anwaltschaft für die Mietergemeinde zurücklegte. Es ist begreiflich, daß diese rechtlich unanfechtbare, ja notwendige Maßnahme Dr. Holt haus' auf das Unverständnis der betroffenen Mieter stieß und die bösartigsten Unterstellun gen, von denen Anwürfe wie Gewinnstreben noch am harmlosesten waren, die Runde machten. Neue Nahrung fanden diese Gerüchte dadurch, daß der behandelnde Arzt von Frau Mähdier in einem zuletzt erstellten Attest lediglich altersbedingte Depressionen, in Klammer: andogen, bestätigte, mit welchem Begriff die Eheleute nichts anzufangen wuß ten. Auf Befragen erhielten sie nur die vage Auskunft, daß ein direkter Zusammenhang mit äußeren Umständen nicht gegeben sei. Es ist naheliegend, daß die zwei alten Leute, insbesondere nach Besprechung mit anderen Mietern, die sich ebenso als Geschädigte empfanden, geradezu ein gegen sie gerichtetes Komplott von Arzt und Anwalt vermuteten, zumal der Arzt sich äußerst ungeschickt aus gedrückt hatte, ungefähr in dem Sinn, daß er mit dem Anwalt laufend zusammenarbeiten müsse und sich nicht darauf einlassen könne, durch ein Gefälligkeitsgutachten, das seiner Überzeugung widerspreche, diese Zusammenarbeit zu gefährden. Diese Aussage des Arztes, wie sie berichtet wurde, veranlaßte Benedikt Mähdier — in der Meinung, ein Minister habe genügend Macht, sozusagen über den Kopf untergeordneter Be hörden hinweg Entscheidungen zu treffen —, einen ausführlichen, allerdings unbeholfen formulierten Brief an das Gesundheitsministerium zu schreiben, wobei er, deutlich genug, Arzt und Anwalt des gemeinsamen Bündnisses zieh und die behaupteten Vorwürfe als faktisch erwiesen beschrieb. Da der Brief Mähdiers nicht an den Minister selbst, sondern lediglich an das Ministerium gerichtet war, erfolgte die Bearbeitung seines Schreibens in der 83

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