Landstrich 1983, Nr. 3, Widerstand

Im zweiten Herbst nach der Pensionierung, nachdem im nahe gelegenen Garten Obst und Gemüse geerntet waren, wurde Mähdier amtlich verständigt, daß die Pacht seines kleinen Grundstückes nicht mehr verlängert werden könne, da das gesamte Areal, sein Garten war nur ein verhältnismäßig kleines Teilstück, in den Besitz einer Firma Bender & Co. überge gangen sei zwecks Errichtung einer Maschinenfabrik; nähere Angaben fehlten. Außerdem sei nach langwierigen Verhandlungen die Trassenführung der Umfahrungsstraße bewilligt, sodaß mit dem Bau der mehrspurigen Straße, die wegen der Entlastung des Stadtverkehrs längst überfällig sei, ehestens begonnen werden könne. Der Versuch eines Einspruches Mähdiers, vielmehr die ratlose Frage, wie es sich denn nun mit seinem Sommerhaus verhalte, wurde kurz damit abgetan, daß die Behörde ohnedies mehr als Langmut bewiesen habe, indem sie von einer Bestrafung wegen Verstoßes gegen die Bauordnung etc. etc. bislang abgesehen habe. Von einer Entschädigung oder Ablöse könne Mähdier auch mit keiner aufschiebenden Wirkung der Verfügung rechnen. Noch vor dem Winter wurde mit dem Aushub begonnen. Mehrere Raupenfahrzeuge mit gewaltigen Baggerschaufeln wühlten das Gelände um, und Mähdier konnte nur mit Mühe Glasfenster, Holz, Einrichtungsgegenstände und sonstige bewegliche Güter retten, ehe die Anlage zusammengewalzt wurde. Die Aufregungen, verbunden mit der völligen Ohnmacht, dem Bewußtsein von der Un möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen — so zumindest empfand es das Ehepaar —, verursach ten den beiden nicht nur schlaflose Nächte, sondern insbesondere bei der Frau einen Zu stand hilfloser Niedergeschlagenheit. Mähdier selbst ließ äußerlich keine Gemütsbewegung erkennen, auffällig war lediglich, daß er häufiger als früher das Wirtshaus besuchte und die Zeitung seiner Partei, die er beinahe lebenslang abonniert gehabt hatte, abbestellte. Ein Leserbrief, den er in der Hoffnung eingereicht hatte, daß sich die Zeitung der Sache der kleinen Leute, wie er sich ausdrückte, annehme, war nicht abgedruckt worden, dafür aber waren immer wieder Berichte über die Notwendigkeit der Arbeitsbeschaffung erschienen und das Projekt der Maschinenfabrik als bedeutende regionale Förderungsmaßnahme ge lobt worden. Der ständige Lärm durch die Baumaschinen, der an- und abfahrenden Lastwagen, trotz des herbstlichen Wetters wurde nach dem Aushub mit der Fundamentierung und dem Bau be gonnen, belästigte die Umgebung aufs heftigste. Trotz aller Versprechungen der Behörde als auch der Bauherren war deutlich zu merken, daß die angegebenen Termine nur durch den rücksichtslosesten Einsatz eingehalten werden konnten. Mähdier, der sich auch seiner Frau gegenüber kaum äußerte, wurde zwar mürrischer, wort karger, ließ sich jedoch sonst wenig anmerken, während die Frau sich in ärztliche und auf Anraten des Hausarztes in fachärztliche Behandlung wegen ihrer Depressivität und zuneh menden Schlaflosigkeit begeben mußte. Mit Hilfe einschlägiger Beruhigungsmittel trat zwar eine zeitweilige Besserung insbesondere der Schlafstörung ein, an der depressiven Grund stimmung jedoch änderte sich nur wenig. Die Bautätigkeit, die wintersüber wetterbedingt doch erheblich eingeschränkt werden muß te, sodaß die Lärmbelästigung nur wenig störend zu empfinden war, nahm im Frühjahr und Sommer ein Ausmaß an, das bis zur äußersten Unerträglichkeit führte. Wenigstens, sagte ein Bauführer zu Mähdier, habt ihr jetzt nachts noch Ruhe, aber wenn die Maschinen ein mal laufen, ist Tag und Nacht Betrieb. Davon berichtete Mähdier zu Hause nichts. Die Eröffnung des Unternehmens, die sogar einige Wochen vor dem geplanten Termin er folgen konnte, stand im Zeichen des größten öffentlichen Interesses. Der Landeshaupt mann und die Vertreter der großen politischen Parteien bedachten in den zahlreichen Reden die Bedeutung des Unternehmens in Hinblick auf Arbeitsbeschaffung, Strukturver besserung der Wirtschaft, Steueraufkommen für die Gemeinde gebührend mit Vorschuß lorbeeren: Imponierend die Zahl von über 150 Arbeitsplätzen, imponierend die ins Auge 81

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