Ungleichgewicht der Interessen Hermann Friedl Aus dem Buch „Aufzeichnungen eines wahnsinnigen Beamten" Mit freundl. Genehmigung des Verlages Jugend & Volk, Wien—München Fünf Jahre bevor Benedikt Mähdier aufgrund eines sich langsam verschlechternden Kriegs leidens im dreiundsechzigsten Lebensjahr endgültig invalidisiert wurde und als Weber der Fa. Thun & Söhne GmbH, nach fünfunddreißigjähriger Zugehörigkeit mit einer Urkunde für bewiesene Betriebstreue und einem Präsentkorb von Inhaber, Betriebsrat und Mitarbei tern verabschiedet worden war, bezogen er und seine Frau Katharina die neuerbaute eben erdige Eigentumswohnung der Wohngesellschaft Alpenheim am Stadtrand mit Blick ins Grüne bzw. auf die Berge, die in geringer Entfernung das Tal umschlossen. Mit Hilfe von einigen Ersparnissen, zu denen auch die Ehefrau als langjährige Bedienerin in der Firma umsichtig beigetragen hatte, und Bausparverträgen waren die Eheleute in den Be sitz dieser für sie äußerst günstig gelegenen Wohnung gelangt. Die zwei Töchter waren längst verheiratet, der einzige unverheiratete Sohn war durch einen Unfall als Bauarbeiter, die Verschuldensfrage konnte niemals eindeutig geklärt werden, ums Leben gekommen. Der Übergang in den Ruhestand vollzog sich für Mähdier ohne wesentliche Schwierigkeiten, Wenngleich die zunehmende Behinderung längere Spaziergänge verbot, in früheren Jahren war Mähdier ein begeisterter Wanderer gewesen, so ließ sich doch durch die Arbeit in einem kleinen Garten auf einem Pachtgrundstück ein zufriedenstellender Ausgleich finden. Neben der gärtnerischen Pflege von Spalierobst, Rosen, Dahlien und einem Beet mit würzigen Heilkräutern, aus denen Katharina, sie schwor darauf, alle möglichen Säfte und Mixturen zog, nebst Gemüse in bescheidenem Maß, besorgte Mähdier auch alle anfallenden Arbeiten, wie Umzäunung, Anlage zweier glasgeschützter Mistbeete. Im Laufe der Jahre hatte er auch eine kleine Hütte, die ursprünglich nur als Aufbewahrungsraum für die Gerätschaften ge dient hatte, mit viel Geschick und Liebe ausgebaut, ohne freilich hiezu eine Baubewilligung einzuholen, doch hatte sich bislang niemand daran gestört. Die beiden Eheleute konnten manch heißen Sommernachmittag geruhsam bei Kaffee oder Most darin verbringen. Im ersten Frühjahr seines Ruhestandes erfuhr Mähdier von Gerüchten, die besagten, daß der an das vierstöckige Wohnhaus angrenzende Grund von einer Firma erworben worden sei, die einen metallverarbeitenden Betrieb errichten wolle. Genauere Auskünfte waren nicht zu bekommen. Mähdier war im Gemeindeamt nach einigem Herumirren, umständli chem Fragen doch zu dem zuständigen Referatsleiter gelangt, der, überzeugt von der Würde seines Amtes und der Bedeutung seiner Persönlichkeit, mit ziemlicher Herablassung Mähd ier die Auskunft gab, daß hieramts keine auskunftweisenden Unterlagen vorhanden seien, daß er, Mähdier, aber in absehbarer Zeit, der Beamte berief sich auf einen Akt, den er wäh renddem aus einem Regal geholt, jedoch nicht geöffnet hatte, ein Verfahren wegen uner laubten Baues eines Sommerhauses zu gewärtigen habe. Mähdiers anfängliche Befürchtungen, die unfreundliche Haltung des Beamten habe es ihm unmöglich gemacht, weitere Fragen zu stellen, wurden durch Gespräche mit Nachbarn zerstreut, die versicherten, daß die angrenzenden Ländereien niemals als Baugelände ausge wiesen werden dürften. Die Vielzahl der dabei angeführten Begründungen war allerdings oh ne jede Beweiskraft, kamen sie doch lediglich aus einem hoffenden Wunschdenken. Doch Mähdier war nicht in der Lage, das zu beurteilen. 80
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