Landstrich 1983, Nr. 3, Widerstand

»Ich werde König meiner Selbst« Helga Hofer Zusammenfassung eines Gespräches mit einem Bewohner eines seit Juni 1981 in Linz be stehenden Übergangsheimes. Die Absicht dieses Heimes ist es, psychisch Erkrankten die Rückkehr ins Alitagsleben zu erleichtern. Alle Namen sind von der Redaktion geändert. Da im Übergangsheim geht's mir besser, weil ich mich entfalten kann. Ich könnte mir in der Anstalt keine Bilder aufhängen, zum Beispiel. Durch die Vielfalt der Bilder aber werden meine Halluzinationen zergliedert. Wenn ich auf eine nur weiße Wand schau, sehe ich die Halluzinationen deutlicher. Bei den Bildern denk ich mir etwas dabei. Das ist der ganze Wahnaufbau. In meinem Zimmer ist der ganze Wahn von mir aufgebaut. Was ich im Kopf hab, das laß ich jetzt alles heraus, ünd ich glaub, daß das Forschung ist — wie ich die Bilder aussuche, ünd die Psychiatrie lacht dich aus, wenn du sagst, du betreibst Forschung. Du hast überhaupt kein Recht zu forschen. Weil du sowieso spinnst. Aber ich sag mir so: falls der Patient intelligent ist, darf er teilnehmen an der Forschung. Ich finde, die Psychiatrie sollte mit den Patienten forschen. Natürlich, wenn man sagt, da hast eine Tablette, so ist das ja keine Forschung. Forschung ist ja interessant. Ein guter Arzt redet mit einem. Lang. Das müßte lang dauern. Ich vermute, daß alles so arg in den Anstalten ist, liegt an der Architektur, an den langen Gängen, ünd am Gewand, an diesen gestreiften Pyjamas. Für mich hat das Lagercharakter, so wie Auschwitz und [^chau. Jedes Mal, wenn ich die Pyjamas seh, denk ich, ich bin in einem Lager. Also, ich glaub, die psychiatrischen Kliniken sind eine Vorstufe zu einem La ger. Es gehört schon etwas gemacht. Ihr braucht ja nur hineinzugehen in die Psychiatrie. Ja, gut, wenn du nur auf Besuch dort bist, ist das nicht so arg. Aber wenn'du länger dort bist — die sind alle so geschockt durch das Krankheitsbild, üas ist wie ein Todesurteil. Das wär so schön, ernst genommen zu werden von den Psychiatern, Hand in Hand, daß der Patient und der Psychiater gemeinsam durch das Mikroskop schauen . . . aber die Kliniken . . . drum heißt's ja, Klinik macht Mimik. Widerstand muß es auf alle Fälle geben. Aber ob die Kranken das schaffen, weiß ich nicht. Widerstand in der Architektur und in der Farbe. Ich mache geistigen Widerstand, denkeri schen Widerstand. Aber ich führe ihn nicht aus, weil ich zu schwach bin. Der Widerstand kann nur in der Architektur liegen, größtenteils. Dann in dem, daß du wählen kannst, ob du Tabletten nimmst oder nicht. Ich meine, das ganze ist ja furchtbar, die Kliniken. Man kann ja keine Menschen einsperren. Das geht ja nicht. Ich hab nie Widerstand gemacht. Ich hab mir nur meinen Teil gedacht. Das war allerdings auch Widerstand. Sonst spritzt man dich nieder, wenn du lang herumschreist oder so. Ich hab höchstens Tabletten ausgespuckt, das schon. Die Gesellschaft ist ja auch ein Wahnsinn. Das Schlimme ist, daß sie nicht weiß, was sich in der Klinik abspielt. Sie wird auch nicht informiert darüber. Meine Tante hat zum Beispiel gestern wieder gesagt: Was hast denn gegen die Klinik? Da frag ich mich, spinn ich oder spinnt sie? Ich hab schon Angst vor der Zukunft. Gelt. Ich hab schon Angst. Das sind so Kleinigkeiten. Zum Beispiel müßte man trainieren, um sechs ühr in der Früh aufzustehen. Nicht um elf oder zwölf ühr. Damit verbaust du dir deine ganze Zukunft, ünd das ist dir hier freigege71

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