Landstrich 1983, Nr. 3, Widerstand

mit irgendwelchen Leuten. Das, was er meint, und Leute, die in seiner Gunst stehen, müs sen besser herauskommen. Das findet man wiederum selten. H: Er zeigt unverblümtes Engagement, in einer recht gleichgültigen Wortwelt. Eine kostba re Haltung eigentlich. F: Er ist nicht wie andere Kritiker, die sehr abwägend formulieren. Er donnert los, und das ist ziemlich klar. Er ist eine verwegene Figur insgesamt. Er war ja alles mögliche schon. Ein mal genauso feuriger Kommunist in Polen, wie später Antikommunist. Er hat genug Mittel in der Hand. Wenn er in der FAZ eine Rezension schreibt und etwas am Anfang gleich ei nigermaßen vernichtend verreißt, kann man sicher sein, daß sehr viele das übernehmen. In sofern kann er natürlich schaden. Er besteht auf einem bestimmten Typus von Literatur. Das muß allgemein verständlich sein, realistisch. Man kanns ja sehen daran, was er dann als das beste Buch von enormem Wert bezeichnet, ich kann mich erinnern, vor einigen Jahren war das die Katharina Blum von Böll. Ich finde, das ist gar kein so überwältigendes Buch. Reich-Ranicki hat weniger Sinn für komplizierte Texte. Die wischt er einfach weg. Wenn es aber einen vielfältigen Ausdruck in der Literatur geben soll, dann muß es sehr viele ver schiedene Schreibweisen geben. Es können nicht alle in der gleichen Weise schreiben. Es ist ja gerade das Kennzeichen guter Literatur, daß der Autor das Eigene, das Echte gefunden hat. Bis man das findet, das dauert lang. H: Das Finden. Das ist das Finden des kreativen Kerns auch. Das fällt da zusammen. Spürt man, wenn man das gefunden hat? Wenn man mit seiner Wahrheit zusammenfällt? F: Ich glaube, daß man das spürt. Das kann einen zwar auch täuschen. Man glaubt, so, jetzt hab ichs, und wenn man dann ein halbes Jahr später nachschaut, dann wundert man sich, warum das so toll gewesen sein soll. Aber manchmal weiß man, das ist jetzt so fest, da kann niemand mehr daran rütteln. Man will versuchen, es zu verbessern, aber es geht nicht mehr. H; Dorthin findest du durch Entwicklung, durch Übung, durch Schulung deiner Fertigkeit, indem du deine Sensibilität entfaltest, im Hinblick auf Ausdruck. F: Das ist natürlich leichter, wenn man ein Anliegen hat. Wenn das Suchen aus einem star ken Anliegen kommt, ist das Finden leichter. Das Anliegen ist das Eigentliche. Wenn es so stark ist, daß man alles andere rundherum vergißt, hat man Glück. Ist aber von vornherein das Anliegen nicht klar, dann kann da nicht viel Gescheites werden. H: Ich habe den Eindruck, daß sehr viel anliegenlose Literatur existiert. Ich meine Ge schriebenes, das bewußt als Verkaufsartikel konzipiert ist. Leer ist, sozusagen. F: Diese Literatur taucht auf und verschwindet wieder. Das ist Saisonware. Ich kenne Leu te, die schreiben und publizieren immer, aber niemand kennt eigentlich was von denen. Manche haben schon acht, zehn Bücher, die aber niemand liest. Sie haben zwar Leserge meinden H: . . . aber über diese Gemeinde hinaus existiert der Autor nicht. F: Es gibt heute natürlich sehr verschiedene Leser . . . H: Was isoliert jemanden so, ist das die Künstlichkeit seiner Literatur? F: Der kann sich in Theorien versteigen und das bis zum Exzess treiben, wo für andere kein Anliegen mehr zu finden ist. Es gibt eben Dinge, die man allgemeinverbindlich aus drücken kann. Aber unsere Gesellschaft ist nicht mehr so leicht zu beschreiben. Die ganze Institutionenwelt ist schlicht langweilig. Dort ist zwar die Macht konzentriert, man ent scheidet über das Geschick der Menschen, aber das ist alles nicht mehr zu sehen. Die Leute haben zwar die Vorstellung, die sitzen jetzt beieinander, stimmen das ab, stimmen dies ab, aber wenn darüber ein Schriftsteller was schreiben will, stellt er fest, daß die sich gar nicht mehr voneinander unterscheiden. Die verhalten sich alle gleich, achten peinlich darauf, daß sie nirgends auffallen. Da hat die Literatur wenig Möglichkeiten. Daß sie überhaupt keine Chance hat, würde ich nicht sagen. Handke ist zum Beispiel am Anfang auf die Sprache los gegangen. Mit neuen Mitteln erwischt man dann wieder Leute. 39

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