Behandlung sein mußte, so war eine Anprangerung letztlich noch immer besser, als in die Fänge der Gestapo zu gelangen. Kein Wunder, daß „der ehemalige Systembonze" 0. B. aus Perg, vor die Alternative Anprangerung oder Gestapohaft gestellt, ohne langes Nachdenken sich für ersteres entschloß. So zog er am 15. Oktober 1938 unter Trommelgeheul der HJ, beleidigt und angespuckt, mit der üblichen Tafel um den Hals durch Perg, „zur großen Freude der Bevölkerung und zur Mahnung an diejenigen, die [wieder einmal] den Geist der neuen Zeit noch nicht begriffen haben. [. . .] Auch hier erweist es sich, wie immer, daß Selbsthilfe die beste Hilfe ist", fand der österreichische Beobachter in einem Bildbericht und fügte dem hinzu: „Es hängt immer von der Persönlichkeit, der Entschiedenheit und der Initiative des einzelnen Parteigenossen ab, wie er mit Stänkerern und ähnlich scham losen Kreaturen fertig wird. Wir sind hier für die schnelle und wirksame Methode der ille galen Zeit: Wir brauchen dazu keine staatliche Assistenz. Wir räumen selber auf!'"'^' Spätestens an diesem Punkt, bei der Behandlung der Gerichtsakten über intimen und ver botenen Umgang mit Kriegsgefangenen, wird offensichtlich, daß Aktenlesen keine staubige, womöglich weltfremde Angelegenheit ist. Gewisse Richter entpuppten sich als echte Voyeure, und auch so manche angeklagte Dame war um eine Antwort nicht verlegen. Die 20jährige J. P. aus Oberwaldschlag lachte sich einen Franzosen an und ward schwanger. „Sie verantwortet sich dahin", stellt der Richter fest, ,,daß es halt das Unglück so haben hat wollen. Sie habe bisher noch nie einen Burschen gehabt. Sie sei von ihren Eltern so streng erzogen worden".'^- „Andere Burschen seien halt keine da [gewesen]" — außer Franzosen, behauptete die 19jährige M. P. aus Obersdorf, Bezirk Gmunden, vor dem Richter; mit Rus sen oder Polen hätte sie sich ohnehin nicht abgegeben. Aber aus den Erzählungen der Sol daten wisse sie, „daß zwischen unseren Soldaten und den Französinnen ein recht intimes Verhältnis herrscht".^ A. G. aus Haag am Hausruck habe zwar von den Strafvorschriften zum Schutz der Wehrkraft des deutschen Volkes Kenntnis gehabt, „sich aber aus Liebe nicht daran gehalten",'^''^ was das Gericht „rechtlich als einen schweren Fall" einstufte und die Geschwängerte zu einem Jahr Zuchthaus verurteilte. Andere Frauen waren weniger auf richtig und schützten ein Eheversprechen oder Vergewaltigung vor; letzteres führte A. M. aus Glöckelberg, Kreis Krumau, ins Treffen, doch das Gericht nahm ihr diese Version nicht ab: „Die Angeklagte A. M. ist eine kräftige Person, und ist das Gericht überzeugt, daß sie sich gegen den Kriegsgefangenen mit Erfolg hätte wehren können. Die Anwendung und richtige Handhabung der diesbezüglichen Strafbestimmungen war nicht leicht, das bestätigen die diversen "Richterbriefe", Anleitungen des Reichsiustizministeriums zum praktischen Gebrauch, „weil hier wie auf keinem anderen Gebiete die Belan ge eines rücksichtslosen und vollkommenen Schutzes der Wehrkraft unseres Volkes und der Sicherheit des Reiches mit den oft aus Unverstand, Gleichgültigkeit, Nachgiebigkeit, Mitleid, Zuneigung, Leidenschaft oder gar Feindseligkeit geborenen menschlichen Versu chungen zusammentreffen.'"^'' In der Praxis — und aus der Sicht der Akten — galt die Häu figkeit des Geschlechtsverkehrs als Anhaltspunkt, als „Berechnungsgrundläge", was mit sich brachte, daß in Hauptverhandlungen ein Feilschen um die Häufigkeit einsetzte. Bei einer derartigen „Berechnungsgrundlage" konnte außerdem der Vergleich von Urteilen, die zur selben Zeit ergangen waren, „das Gefühl der Unbilligkeit" erregen, wenn, wie es tat sächlich in Linz geschah, Frau M. Z. für viermaligen Geschlechtsverkehr 18 Monate Zucht haus, Frau M. Ö. mit „nachgewiesenermaßen" 20 mal Geschlechtsverkehr nur 14 Monate Zuchthaus aufgebrummt erhielt.'^ ^ An diesen zwei Beispielen und vor allem am folgenden Gerichtsurteil wird der Irrsinn die ses Rassenwahns offenbar; als hätte man mitten in einem Weltkrieg nichts Wichtigeres, scheint's, zu tun gehabt, als abzuzählen, wie oft ein Übermensch mit einem Untermenschen Geschlechtsverkehr hatte. „K.G. hat, als Zeugin vernommen, angegeben, daß sie am 12. 8. 1942 mit ihrer Mutter im 28
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