Landstrich 1983, Nr. 3, Widerstand

Hatte sich das Bundesdenkmalamt bisher eher mit Stellungnahmen zum Problem Wehrgra ben zurückgehalten, so will es nun nicht mehr tatenlos zuschauen. Für Präsident Erwin Thalhammer wäre das Zuschütten des Gerinnes „ein eindeutiger Verstoß gegen das Denk malschutzgesetz, den wir nicht dulden werden". Landeskonservator Hofrat Dr. Wibiral de finierte den Kanal als „zwar natürliches, aber von Menschen eingefaßtes Gerinne", das für die Wirtschaftsgeschichte Steyrs von außerordentlicher Bedeutung ist und daher unter En sembleschutz zu stellen ist. [. . .] 2.4.82 Mit einer Überrumpelungstaktik sondergleichen wollte am Donnerstag abend die SP-Fraktion für eine Beendigung der Diskussion über die Erhaltung des Wehrgrabens sor gen. Im Gemeinderat wurde ein Dringlichkeitsantrag eingebracht, in dem das geforderte Zuschütten des Wasserlaufes in einen Erneuerungskatalog des Stadtteiles verpackt wurde, der zwei Dutzend „Zuckerl" für die derzeitigen und künftigen Bewohner vorsieht. Begonnen hatte die Sitzung mit der Beratung über die Finanzierung des Architektenwett bewerbs über den Wehrgraben, der 1,2 Millionen Schilling kosten wird. Vizebürgermeister Fritsch (VP) bezeichnete den Wettbewerb als „Fopperei", weil bekanntlich unter der Vor gabe des Zuschüttens geplant werden muß. Er stellte deshalb einen Abänderungsantrag mit dem Zusatz im Ausschreibungstext, daß die Einreichungen auch unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung des Gerinnes zulässig ist. Auch die beiden kleinen Oppositionsparteien setzten sich für eine solche Abänderung ein. [. . .] Nach Beendigung der offiziellen Tagesordnung verlas Vizebürgermeister Schwarz (SP) den Dringlichkeitsantrag seiner Fraktion. Nach einer Präambel, in der von einem Nachholbedarf an infrastrukturellen Einrichtungen die Rede war, ließ er die Katze aus dem Sack: ,,Die rasche Errichtung des bereits geplanten, vom Gemeinderat der Stadt Steyr und vom Reinhaltungsverband Steyr und Umgebung einstimmig beschlossenen großen Abwasserka nalstranges ist daher ein dringendes Gebot unserer Zeit und Bestandteil unserer Auffassun gen über eine saubere Umwelt. Zu diesem Zweck soll im Bett des Wehrgrabenkanals ein Abwassersammler verlegt werden und nach Einbindung aller Kanalanschlüsse eine Auffül lung erfolgen. Die dann gewonnenen Grundflächen sind überwiegend für öffentliche Nut zung zu widmen und mit allgemein zugänglichen Einrichtungen zu versehen. Eine Hinaus schiebung dieser Arbeiten und Offenhaltung des Wehrgrabenkanals kann aus sanitären und hygienischen Gründen im derzeitigen Zustand nicht mehr verantwortet werden", verlas Schwarz. [. . .] 3.4.82 Wie nicht anders zu erwarten, wurde der SP-Dringlichkeitsantrag über die Zuschüt tung des Wehrgrabens in der Marathonsitzung des Steyrer Gemeinderates am späten Abend des Donnerstag von der Mehrheitspartei im Alleingang beschlossen. Vorher lieferten sich die Sprecher der Fraktionen heftige Wortduelle, bei denen auch vor Beleidigungen nicht zurückgescheut würde. Erzürnt zeigte sich Bürgermeister Weiß über die Äußerung des Architekturprofessors Peichl, der gemeint hatte, man könne Steyr als Kulturstadt vergessen, wenn man den Wehrgraben zuschütte. „Peichls Aussage ist eine Beleidigung der Verantwortlichen Steyrs, eine glatte Verleumdung", schäumte Weiß, der bezweifelte, ob der Professor den Wehrgraben über haupt kenne. Aufruhr in den SP-Reihen verursachte auch die Wortmeldung des VP-Sprechers Holub, der davon sprach, daß sich die SP, wenn sie nicht von ihrem Vorhaben abrücke, gefallen lassen müsse, daß sie in der Öffentlichkeit als „Mörder des historischen Gepräges" hingestellt wird. [. . .] 102

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