3.3.82 Nun ist die Katze aus dem Sack: Das Erhalten des Wehrgrabengerinnes und der Bau des notwendigen Kanalsammlers außerhalb des Wasserlaufes sind doppelt so teuer wie die Führung des Rohres im Wehrgrabenbett mit anschließendem Zuschütten. [.. .] Der Steyrer Gemeinderat wurde gestern in einer Informationssitzung mit der Kostenstudie vertraut gemacht, die vom Ingenieurbüro Dipl.-Ing. Doktor Helmut Flögl für beide Varian ten angefertigt worden ist. Das Ergebnis: Innerhalb der nächsten zwanzig Jahre fallen bei Auflassen des Wehrgrabens etwa 46 Millionen und bei Erhaltung etwa 95 Millionen Schil ling Gesamtkosten an. Der derzeitige Zustand des Gerinnes ist nicht zuletzt deshalb erbärmlich, weil im vergange nen Jahrzehnt nur wenig für die Erhaltung der Wasserbauwerke getan wurde. [. . .] Bei der Erhaltung des Wehrgrabens müßten die Wehre und Zeugstätten saniert und ein gro ßer Teil der Uferverbauung erneuert werden. Die restlichen Arbeiten könnten sich auf 20 Jahre erstrecken. Aber auch bei Auflassen des Gerinnes fallen nicht unbeträchtliche Arbei ten an: Abtrag der Brücken, Wehre, Zeugstätten und Ufermauern, Auffüllung des Wehrgra bens und seiner Neben- und Entlastungsgerinne, Rekultivierung der neu gewonnenen Flä chen sowie Beweissicherung und Maßnahmen gegen allfällige Schäden durch lokale Grund wasserabsenkung. Bekanntlich ist ein erheblicher Teil der Häuser auf Holzpiloten erbaut, die bei Sinken des Wasserspiegels abfaulen könnten. Während im Fall des Auflassens des Wehrgrabens die Trassenführung des Kanalsammlers fixiert ist, gibt es bei der Verlegung außerhalb des Flußbettes mehrere Möglichkeiten. [. . .] 10.3.82 Zwölf Vereine und Organisationen haben sich nun in Steyr zusammengetan, um ei ne schlagkräftige Basis für den Kampf um die Revitalisierung des Wehrgrabens unter Erhal tung des Gerinnes zu bilden. Aktionen werden bald anlaufen. Eingeladen von den Serviceklubs Round Table und Club 41 kamen Montag abend Vertreter von so verschiedenen Gruppierungen wie Verein Heimatpflege, Fischer, Bürgerinitiative Wehrgraben, Lions-Club, Künstler und Naturschutz zusammen. Auch die im Gemeinderat für den Wehrgraben eintretenden Oppositionsparteien VP, FR und KP waren vertreten. Alle Teilnehmer waren sich einig, daß vom derzeit laufenden Architektenwettbewerb nichts zu halten ist, weil er von einem zugeschütteten Gerinne ausgeht. Angegriffen wurde auch die Kostenstudie, in der den einzelnen Varianten auch eine Abschreibung für 60 Jahre zugerechnet wurde, was bei Gemeindeprojekten noch nie vorkam. [. . .] 24.3.82 Die Unterstützung für den in Gründung befindlichen Verein „Rettet den Wehrgra ben" nimmt immer größere Dimensionen an. Zusammen mit dem Österreichischen Kunst senat fordern nun sämtliche 32 Professoren für Architektur und Raumplanung der Kunst akademien und Technischen Universitäten den Schutz des Steyrer Wehrgrabens. In einem Brief an Steyrs Bürgermeister Weiss und die Ingenieurkammer für Oberösterreich und Salzburg protestieren die Wissenschaftler gegen die Zuschüttung des Gerinnes. „Damit verliert dieses Stadtgebiet seinen auf der Beziehung von Wasser und Bebauung beruhenden unverwechselbaren Charakter, dessen Aufopferung für 'Neuplanungen' keinesfalls vertret bar ist", heißt es darin. „Die Unterzeichneten fordern daher die selbstverständliche Rücksicht auf das historische Stadtbild durch volle Erhaltung des Wehrgrabens und die sofortige Abänderung einer un verständlichen Wettbewerbsausschreibung, die die Zerstörung des Ortscharakters von Steyr durch Zuschüttung eines 600 Jahre alten Gerinnes voraussetzt", schließt das Schreiben, das die Unterschriften von Architekten wie Rainer, Peichl, Koepf, Pentilä und Hollein trägt. In einem ähnlichen Schreiben wenden sich auch die 54 Assistenten der einschlägigen Hoch schulen an den Bürgermeister und den Gemeinderat. Grundtenor der Kritik, die von Archi tekt Gustav Peichl artikuliert wird: „Wenn der Wehrgrabenkanal zugeschüttet wird, kann man Steyr als Kulturstadt vergessen." 101
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