Landstrich 1983, Nr. 3, Widerstand

Die Kuiturzeitschrift LANDSTRICH erscheint in Österreich und Bayern, ÖS 60, — / DM 8,50 LANDSTRICH EINE KULTURZEITSCHRIFT WIDERSTAND ; V NR. 3 t jugteej.^ » -

SIEH EINMAL, HIER STEHT ER. PFUI! DER STRUWWELPETER! an den Händen beiden LIESS ER SICH NICHT SCHNEIDEN SEINE NÄGEL FAST EIN JAHR; KÄMMEN LIESS ER NICHT SEIN HAAR. PFÜll RUFT DA EIN JEDER; GARST'GER STRUWWELPETER!

Inhalt: Landstrich „Ich bitte aber, daß mein Name nicht genannt wird!" Die Hitler-Zeit am Beispiel Oberösterreichs Dr. Siegwald Ganglmair 6 Gedichte Karl Aigner 34 Interview mit Franz Innerhofer Hans Schusterbauer 36 Gedichte Joachim S. Hohmann 45 Widerstand und Bildhauerei Sepp Auer 51 Gedanken einer Schizophrenen Briefe einer Mutter an ihren Sohn 62 „Ich werde König meiner Selbst" Gespräch mit einem Bewohner eines psychiatr. Übergangsheimes Helga Hofer 71 Eine Reise in der Heimat Fotobeitrag von Johann Kienesberger 78 Ungleichgewicht der Interessen Hermann Fried! 80 Gedichte Hans Schusterbauer 86 Das Land stirbt nie Franz Josef Heinrich 93 Laßt uns bitte unser Wehrgrabenwasser Der Wehrgraben in Steyr Dokumentation 99 Definitionen des Begriffs „Widerstand" 112 Widerstand in der österr. Rechtsordnung Manfred Matzka 115 Autoren 118 Redaktion: Helga Hofer Franz Xaver Hof er Annerose Riedl Alois Riedl Gerwald Sonnberger Hans Schusterbauer Rudolf Weilhartner Schriftführung: Dagmar Schmid Ständige Mitarbeiter: Alois Jurkowitsch D-8390 Passau, Steiningergasse Dr. Siegwald Ganglmair A-1160 Wien, Engilgasse 7/1/2 Redaktionsadressen: Österreich: LANDSTRICH Linzerstr. 294 A-4780 Schärding BRD: LANDSTRICH Löwenmühlstr. 14 D-8390 Passau Impressum: Medieninhaber, Herausgeber, Hersteller: LANDSTRICH, Kulturverein, A-4780 Schärding, Linzerstr. 294 Wir danken für die finanzielle Unter stützung dem Bundesministerium für Unterricht und Kunst in Wien, dem Land Oberösterreich und für die kleine Spende der Stadt Schärding

Vorausbemerkung Daß es in Österreich kein Widerstandsrecht gibt, daß es in der BRD eines gibt, wer weiß es? Wir jedenfalls waren überrascht, dies während unserer Arbeit an diesem Heft zu erfahren. Und noch ein Hinweis: Diese Nummer bietet einen ersten Einblick in die Archive des Wi derstands der oberösterreichischen Bevölkerung gegen das NS-Regime. Siegwald Ganglmair, Mitarbeiter des österreichischen Widerstandsarchives, hat für uns erstmals Akten und ande res Archivmaterial aufgearbeitet. Seine Belege zeigen einen spezifisch aufgefaßten Wider stand, der sich oft auf eine recht überraschende Weise darstellt: vom bemalten Schwein bis zum Schwachwerden der ländlich Schönen vor dem Fremdarbeiter. Es wurde schon oft nach dem Erscheinen dieser Nummer gefragt. Wir hoffen, daß die ge stellten Erwartungen erfüllt werden. Zugleich möchten wir eine spürbare Anteilnahme nüt zen, um eine Mitteilung in eigener Sache anzubringen. Wir haben uns als Kulturverein unter dem Namen Landstrich konstituiert, um mancher technischen Frage, wie sie mit der Erstel lung einer Zeitschrift einhergeht, besser beikommen zu können. Und es ist nicht nur mög lich, sondern sogar erwünscht, sich als Förderer unserer Gruppe anzuschließen. In diesem Falle erhalten Sie eine Radierung von Sepp Auer (Näheres auf Seite 119), dessen Arbeiten im Zusammenhang mit dieser Ausgabe übrigens im Sommer in Schärding vorgestellt werden. Unsere Abonnenten werden von der Eröffnung rechtzeitig informiert. Das Thema unserer nächsten Nummer lautet, wie schon früher angezeigt, "Amerika auf dem Land". Wer will sich mit der Aufschließung der angesprochenen Problematik befas sen? "Beim Landstrich verfolgt man diesen Zweck, indem man 'Landkultur' präsentiert. Das will heißen, daß der regionale Mikrokosmos zwar beschrieben wird, aber nicht zum Behufe der selbstgenügsamen Eigenbetrachtunq . . ." schrieb Hermann Unterstöger in der "Süddeutsche Zeitung am Wochenende" (8./9. Mai 1982) Wir erhoffen durchaus eine dialektische Auseinandersetzung, es geht nicht darum, das Ge strige vor das Heutige zu halten. Weil solche Zusammenhänge nicht zuletzt in das Gebiet der Arbeitswelt hineinführen, sind wir darauf gekommen, das übernächste Heft, also Heft Nr. 5, unter den Titel "Arbeits-Los" zu stellen. Schärding, im Mai 1982

ttitlstüliMiiiiii M dnc ZZ.IL"üi ?J7 « . V ^ VMtv vwm ^i)ototopie5cd na(4ftcf)cn5rn(»cnoarmcrieatted.3n ihrerftefeffenheii Segen öle bdfen Stoji wrloren 5ic üatcrlänber jebea «Iqb öarüber, oric (äd)crlid) jie fid) mod)teii. Qsoidameirlepoatenlconnapaa Aiii»AiCTi:«at.ftr^Baairk l^l.o.oe» E.H.2131. Baraalua/! eines Sohwlnea ■It Hakankrenaen. An die Bealrkahaaptnaimaohaft In Streng vertraulieb AnrelznriüiBter.an e.Dezemker 1033. Ried i.I. Ah Ö.Dezea^er 1933 enrde ein frei-heriuBlaufendes Soheeln des äCUlilenkealtsers fmdelf Gradlncer in Aurelzmänater rir.l07,mit roter Far be In der Fern ren 2 nelcenkreuaenbemalenund am Rttoken eine Klebenarke alt den ITekenkreuz und dem Sprttohe"Tretz Verbot nicht tefancebraoht.In diesem Zustande lief das Sohueln Im l^arkte /urelzmUnster frei herum.Sachschaden entstsrnd nicht. Der Mtthlenbesltzer Rudolf Gradlnser ^ab dem Kay.insp.Kranetrltter an:**Ioh habe dioaea Sohueln.elne 1 Jahr alte Sau,am 5.12.1?33,Rilt nooli 2 Frlsohllneen.ule üblich um etwa 11 ühr Ins Pl>ole eelassen.Als loh um etwa 16 Uhr 30**heimkam,sah Ich das Schueln In diesem Zustande. Wie durch die Srhebuneen fest{;esteilt nurde,wurde das Schwein In diesem Aufauce von Fassaaten um etwa 15 Uhr 30"bei der iSlamUndunc der wellbaeher Strasao zuerst gesehen.Dle Farbe Ist eine Wasserfarbe. Die Fersohungea nach dem Tdter blieben bisher erfolglos,werden f^tgeset^uad wird ein pesltlTos Ergebnis nachangezeigt werden.Der Klebezettel liegt der Anzeige an die Bozlrkshauptmanntchaft bei. De^PestenkoisP^ndant: Ergeht an die Bezirkshauptmannsehaft in 1 und an das Laadeagendamerlekomnando in Linz in 3 ?-:zeB^area. ni|

»Ich bitte aber, daß mein Name nicht genannt wird!« Die Hitler-Zelt in Oberösterreich Dr. Siegwald Ganglmair „K. S. ist kirchlich eingestellt und mit dem Ortsbauernführer und dem Ortsgruppenleiter aus persönlichen Gründen verfeindet. Gelegentlich versucht er sich auch, an beiden zu rei ben. So hat er im November 1941 einmal, als die beiden, der Zeuge F. St. und der Zeuge F. V., in der Nähe seines Hofes standen, mit lauter Stimme auf sein Gespann Pinzgauer Kühe eingeredet und die Schimpfworte 'Ihr zwei braunen Krüppel'gehraucht, offensicht lich dabei aber nicht die Kühe, sondern die beiden .Zeugengemeint". (Aus einem Gerichts urteil) „Ich kann mich genau darauf besinnen, daß P. am 20.5.40 aus seinem Fenster zu mir her übergerufen hat: 'Deutschland verrecke!' Er hat außerdem dabei ausgespuckt. Ich glaube kaum, daß ich mich verhört habe, es kann aber möglich sein, daß er eine andere Äußerung getan hat, die ich dann als 'Deutschland verrecke' aufgefaßt habe." (Aus einer Zeugen aussage) Vorbemerkung Im Herbst 1982 wird die Dokumentation „Widerstand und Verfolgung in Oberösterreich 1934 - 1945" erscheinen; Herausgeber ist das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), das mit diesem zweibändigen Werk eine weitere Lücke eines Projek tes schließt, das alle österreichischen Bundesländer umfassen wird. Diese Dokumentation wurde, das sei zur Klarstellung noch erwähnt, von einer Kommission erstellt, der hauptsächlich Oberösterreicher angehören bzw. Fachleute, die mit Oberöster reich einschlägig zu tun hatten, u.a. mit Historikern der Universitäten Wien, Linz und Salz burg, mit Archivbeamten und Kirchengeschichtlern in Linz usw. Der Verfasser des folgen den Artikels, Mitarbeiter des DÖW und selbst Oberösterreicher, hatte in Wien die Aufgabe der Redaktion und Koordination über, übernahm aber auch einen Großteil der Sichtung von Archivbeständen. Der vorliegende Artikel hat mit einer systematischen Darstellung von Widerstand und Ver folgung während der NS-Zeit in Oberösterreich wenig zu tun. Vielmehr soll er den Hinter grund einer zwei Jahre dauernden Beschäftigung mit Dokumenten und Archivalien aus leuchten, gleichsam eine Geschichte zur Geschichte von Widerstand und Verfolgung sein. Das Material bezieht sich fast ausschließlich auf Oberösterreich. Die angeschnittenen Pro bleme und Verhaltensweisen haben jedoch zum größten Teil überregionale Bedeutung und sind keineswegs auf dieses Bundesland allein beschränkt. Wenn Manches der grotesken und absurden Geschichten und Bemerkungen heiter klingt, so soll nie übersehen werden, daß für die Betroffenen daran wirklich nichts erheiternd war. Die Anzahl der Verfolgten, der Opfer im Widerstandskampf, war sehr hoch. Mit Absicht wurden die Dokumente ausgiebig zitiert, da sie in ihrer Direktheit der Aussage kaum ersetzt werden können. Das Geschriebene beruht ausnahmslos auf Quellen und Schriften aus der NS-Zeit, die in der Mehrzahl im DÖW vorhanden sind.

Die "Größe der Zeit" Mit dem Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich brach eine neue Zeit herauf. August Eigruber, Gauleiter vom damaligen Oberdonau, einer, der auch nicht gerade aufs Maul ge fallen war, formulierte 1942 dieses Gefühl geradezu klassisch: „Wir müssen immer davon ausgehen, daß wir in der größten Zeit leben, in der überhaupt jemals Deutsche gelebt ha ben". M Anmerkungen siehe Seite 117) Aber Größe verdaut nicht sofort ein jeder. Der Gendarmeriepostenkommandant von Steyr beispielsweise wußte das. In seinem Lagebericht an die dortige Bezirkshauptmannschaft schreibt er zwei Wochen nach dem Anschluß: „Die Leute des hiesigen Überwachungsgebie tes können die Eindrücke der vergangenen Tage nicht alle in sich aufnehmen, und wird erst im allgemeinen das Bewußtsein der Größe und des Wertes des Umbruches nach der Abstim mung [Volksabstimmung vom 10.4.1938] zur Geltung kommen. Auch der bäuerlichen Bevölkerung von Schlierbach, so der Bürgermeister dieses Ortes, mangelte es „am Verständ nis für die Größe der Zeit"^, und H.K., Bauer aus Diersbach, den man nach der Beschrei bung des Gendarmeriepostens Taufkirchen an der Pram einen Stockkonservativen nennen kann, der sich abfällig über den Führer geäußert hatte, wird folgendermaßen charakteri siert: „Er ist streng christlich eingestellt, zwar nicht geistig minderwertig, jedoch seinem Sinne nach nicht in der Lage, sich in die Neuzeit und den Nationalsozialismus einzufinden und anzupassen. Eine Umstellung auf dieses System ist von ihm nicht zu erhoffen und auch nicht zu erwarten."'^ L.F. aus Reichenau im Mühlkreis dagegen erfaßte die „Größe der Zeit" sofort und war ein begeisterter Nazi von der ersten Stunde an. Freilich, „als nach und nach aber die Neuerungen eintraten und sich auch die Steuern erhöhten, wurde sein Inter esse immer geringer."® Er begann zu nörgeln und zu meckern, rutschte 1941 auf die Ebe ne der „Kleinen Kreaturen in großer Zeit" ab, die das nationalsozialistische Revolverblatt österreichischer Beobachter schonungslos aufs Korn nahm. Zunächst aber ging vieles aufwärts, wenigstens nach außen hin. Gra/Silberwürfel werden billiger, und Maggi zieht bald darauf mit den Rindsuppenwürfeln nach.^ Preise für Kaffee, Tee, Kakao werden infolge der Angleichung an die deutsche Umsatzsteuer niedriger, Fern sprechgebühren werden gesenkt. Bahnreisen günstiger; auf 1000 Reichsdeutsche kommen im April 1938 22 Autos, in Österreich auf dieselbe Anzahl nur sechs — ein neuer Markt tut sich auf. Es ist ganz allgemein die Stunde der Konjunkturritter. Eine noch heute gutgehen de Linzer Druckerei wirft Führerbilder, Führerbüsten, Fahnen, Wimpel, Fackeln, Umrech nungstabellen von Schilling auf Reichsmark, Spruchtafeln zum Schmücken von Auslagen („Volk steht zu Volk", „Ganz Großdeutschland — ein Ja dem Führer" etc.) auf den Markt, verlegt sich später, angesichts des nachlassenden Kriegsglücks, wieder mehr auf Verlobungs und Vermählungsanzeigen und ähnliche Drucksorten. Seltsam zweideutige Annoncen fin den ihren Weg in die Zeitungen: Darmol und Leopills kämpfen für die "Blutreinigung" Oberdonaus,' Nivea eignet sich besser denn je „zur Hautkräftigung und Bräunung"^, Amazone — „die führende arische Strumpfmarke" und andere Firmen beeilen sich, ihre Metamorphose in rein arische Unternehmen so rasch wie möglich durchzuführen, um keine Marktanteile zu verlieren. PEZ zeigt in dieser Zeit der Hochspannung über den Anschluß den besten Humor: „Durch übergroßen Jubel heiser geworden? Dann hilft P£Z-Pfefferminz."®* Und über alle Zeitläufe hinweg, selbst den Zusammenbruch überdauernd, bietet die Orienthar in Linz Gesang, Stimmung und Tanz und trotzt mit Janzgirls sogar den na tionalsozialistischen Sprachpolizisten. Firmen zur Erstellung des Ariernachweises schießen aus dem Boden. Der ehemalige Bürgermeister von Haag am Hausruck, Heimwehrführer mit bedenklich jüdischem Namen, ,,legt Wert darauf, seine arische Abstammung [in der Tages post] bekanntzugeben; sein Ariertum lasse sich fünf Generationen zurückverfolgen, was die Gestapo allerdings nicht hinderte, ihn schon in den Anfangsstunden des Dritten Reiches

einzusperren.!0 Die Besitzer des Kaffeehauses auf dem umgetauften Adolf-Hitler-Platz 34 in Linz, F. und E. S., warnen in der Ta^es-Post unter Androhung gerichtlicher Schritte jene „unverantwortlichen Elemente, welche die völlig aus der Luft gegriffene Behauptung" auf stellten, „daß wir nicht rein arischer Abstammung seien. Die amtlichen Urkundenbeweise, aus denen unsere rein arische Abstammung eindeutig und restlos hervorgeht, stehen bei un serem Rechtsanwalt [. . .] jedermann zur Überprüfung zur Verfügung."!! Auch sie fürchte ten um das Geschäft genauso wie der Bäckermeister und Parteigenosse F. L. aus Nußbach, der Mitte 1939 von der Kanzel der Ortskirche herab verkünden ließ, daß er und seine Frau nicht aus der Kirche ausgetreten seien, sie das auch nicht im Sinne hätten, und er warnte vor Weiterverbreitung dieser Lüge. Die Ursache zu diesem Vorgehen, meint der Landrat vom Kreis Kirchdorf an der Krems, „soll dem Vernehmen nach der zurückgegangene Brot absatz sein", den der Bäcker mit diesen Gerüchten in Verbindung brachte.! ^ Ähnlich er ging es einem Kaufmann in Windischgarsten, dem Ortsbewohner androhten, ihm nichts mehr abzukaufen, wenn er sich nicht kirchlich trauen lasse.! ^ Dr. Rudolf Lonauer schließ lich, bald ein eifriger Verfechter der Vernichtung "lebensunwerten" Lebens in Hartheim, annonciert Anfang 1939 in der Tages-Post als „Facharzt für Nerven- und Gemütskran ke".^^ -Es gibt unmittelbar nach dem Anschluß nicht wenige Fälle öffentlicher Selbstanklage: Un ternehmer J. B. aus Wels bedauerte, „die nationalsozialistische Arbeiterschaft [seines Be triebes] in gröbster Weise beleidigt und sie in ihrem freien Bekenntnisse zum Nationalso zialismus in unzulässiger Weise behindert zu haben." Er, der erklärt hatte, „nur Verbrecher und Gauner grüßen mit 'Heil Hitler' ", gewährte wieder den Hitler-Gruß und beließ seine Nazis am Arbeitsplatz.!' Viele Firmen feiern den Anschluß auf ihre Weise und setzen ein Zeichen des National"Sozialismus der Tat"; so gewährte „zum Zeichen der Siegesfreude und der Besiegelung der Volksgemeinschaft" die Spedition Intercontinentale ihrer Beleg schaft eine zehnprozentige Gehaltserhöhung, die Erste Allgemeine Unfall- und Schadens versicherungsgesellschaft zahlte zusätzlich einen halben Monatslohn, die Welser Papierfa brik den Angestellten einen Monatslohn, den Arbeitern aber nur einen vollen Wochen lohn.! 6 Am sichtbarsten ist die Aufbruchsstimmung auf Gemeindeebene. Neue Besen kehren gut. ,,Zeitgemäße Einrichtungen" treten auf den Plan. „Wir beginnen im nationalsozialistischen Staat sofort mit der Arbeitsschlacht!"! ^ Eine echte Entstaubung, nicht nur der Gemeinde räte, Ehrenbürgerlisten und politischen Gremien, sondern auch der Straßen und Plätze, hebt an. Viele Ortsplätze werden erstmals geteert. Leonding verbessert im Hinblick auf den Besucherstrom die Zufahrtsstraßen zur Grabstätte von Hitlers Eltern,!^ Braunau kanali siert und gestaltet den Palm-Park neu, erbaut die modernste Badeanlage weit und breit und hat neben Linz und Steyr nun ein ständiges Theater.!^ Beuerbach pflastert den HermannGöring-Platz und gibt somit der Steinindustrie neuen Anstoß.^" „Auch an Mauthausen ist die neue Zeit nicht spurlos vorübergegangen", berichtet die Tages-Post im Dezember 1938, also fünf Monate nach Errichtung des dortigen Konzentrationslagers. „Heute kann mit Genugtuung festgestellt werden", heißt es in zitierter Tageszeitung weiter, „daß es auch in Mauthausen keine Arbeitslosen mehr gibt. [. . .] Jetzt hört man wieder das altvertraute lu stige Hämmern aus allen Steinbrüchen.[. . .] Die Bevölkerung hat wieder neuen Lebensmut und neues Vertrauen in die Zukunft bekommen. Davon zeugen u.a. die vielen Eheschließun gen.! Selbst die Natur spielte mit. 1938 ist ein Jahr des „verfrühten Frühlingserwachens", alles grünt um etwa vier Wochen früher als üblich.22 Und gleichsam als Sinnbild des politischen Rechtsdralls wird noch im Jahre 1938 die Rechtsfahrordnung in Österreich auf der Straße und im Frühjahr darauf auf der Schiene eingeführt.^' Mit dem Anschluß werden nun die nach Deutschland führenden Straßen und Schienenwege in Oberösterreich besonders be-

deutend. Der Ableger der Kaiserin-Elisabeth-Bahn, die eingleisige Strecke Wels — Passau, war dem Ansturm bald nicht mehr gewachsen, der zweite Schienenstrang wurde „eine zwingende Notwendigkeit", und noch im Sommer 1938 im Rekordtempo von knapp zwei einhalb Monaten legten 1600 Arbeiter entlang der 81 km 140 000 Stück Schwellen, so daß am 22.9.1938 die Inbetriebnahme vollzogen werden konnte. „Der Kraftstrom, der sich aus dem Altreich in die Ostmark ergießt, findet nun keinen verkehrstechnischen Widerstand mehr", lautet der Bericht.^4 Auch auf kulturellem Gebiet bricht „nach einer Zeit beispiellosen kulturellen Niedergangs"2 5 zu guter Letzt das Volk der Dichter und Denker in eine größere Zeit auf. Anton Bruckner wird nachträglich zum Großdeutschen, und seine Grabstätte, die Stiftskirche St. Florian zur „Gauorgelhalle", der Musikwissenschaftler Hans Joachim Moser überdenkt das Thema „Österreich in der deutschen Musikgeschichte", als könnte man den Titel nicht ge nauso gut umkehren.26 Oberösterreichs Maler und Bildhauer seien im Vergleich mit Italie nern und Reichsdeutschen „gutes Mittel" und vor allem von keinen „mißverstandenen Zielsetzungen" geleitet. Sie, aus denen man zu Ausstellungszwecken „restlos alles heraus geholt" habe, seien lediglich älter und reifer geworden, und außer einer „leichten Quali tätsverbesserung" sei zu früheren Jahren kaum ein Unterschied feststellbar, „da es wohl in Oberdonau nie eine 'entartete Kunst' gegeben hat."^^ Die Dichter schmieden an der vordersten Front und einstweilen noch ohne Frontbegradi gung. „Wie nicht anders zu erwarten, ist die Großtat unseres Führers, die dem Land das heißersehnte Glück der Vereinigung mit dem Mutterreich brachte, nicht nur mit dem Ver stand aufgenommen worden. In allen Herzen ist die Freude aufgebrochen. [. . .] Viele gös sen die drängenden Gefühle in ein Lied, ein Gedicht. [. . .] Vorweg sei gesagt: Alle sind getragen von edler Begeisterung, sind glühende Bekenntnisse zu unserem Führer, sind Ver herrlichungen des Ausbruchs unserer deutschen Zukunft." Doch vor der Masse — und, wenn man zwischen den Zeilen liest, wahrscheinlich auch vor der Qualität — kapituliert die Tages-Post. „Wohl sind auch Poeme darunter, denen ein Grad von dichterischer Befähi gung nicht abzusprechen ist. [. . .] Aber es ist nun einmal so: Nur ganz wenigen ist es ver gönnt, im Gewände hoher Dichtkunst zu sagen, was uns alle bewegt." Aber vorläufig wei gert sich die Tages-Post, Gedichte aus dem Volk zu veröffentlichen, nicht ohne unerwähnt zu lassen — und das wäre vielleicht ein Fingerzeig für einen Germanisten —, diese Produkte im Archiv der Schriftleitung aufbewahrt zu haben, „als dauernde Zeugen des unvergleich lichen Geschehens, als die schönsten Seiten in der Geschichte unserer Zeitung. Der Hitlerkult in Oberösterreich „25.1.1938. Am Abend dieses Tages war am Firmament eine Naturerscheinung, das soge nannte Polarlicht, zu sehen, Dieses Zeichen wurde von der Bevölkerung dahin ausgelegt, daß etwas Besonderes eintreten werde, was sich schließlich auch bewahrheitete. Auf diese Weise hat ein kleiner Postenkommandant und Chronist die Ankunft Hitlers in Österreich mit einem überirdischen Ereignis in Verbindung gesetzt, um zugleich auch das Außergewöhnliche der neuen Zeitrechnung zu markieren. Über den Kult, der mit Hitler betrieben wurde, gibt es viele Bücher. Hitler, „der geliebte Führer", war ein Ersatzkaiser für viele Deutsche, das ist hinlänglich bekannt. Für viele war er auch so etwas wie ein Ersatzgott, ein Reservechristus. Diesbezüglich genügt der Hinweis auf den Tages-Post-ßiti\ke\ "Christus und Hitler". Herr L.J. aus Wels, der Autor und auf grund seiner beträchtlichen Kenntnis der hl. Schriften vielleicht ein Priester, peilt den Kern der Hitler-Verehrung kerzengerade an: Sie ist in erster Linie „religiösen Momenten" ent sprungen; der Führer ist „der gottgesandte Verwirklicher der Lehre Christi", und wer Hit lers Größe nie erkannt hat, hat auch niemals die Lehre Christi ganz begriffen.^

Derartige Sprachgewalt war keineswegs allein auf sprachbegabte Wortführer beschränkt, sie sickerte bis in die*untersten Etagen der Gesellschaft. Der Dietwart des Turnvereins von Neu markt-Kall harn beispielsweise gedachte bei einer „stimmungsvollen Weihestunde" im März 1938 „des großen Sohnes unserer engeren Heimat" mit folgenden Worten: „Daß Gott ihn uns geschickt, ist unser Glaube, und keine Macht der Welt, kein Papst und kein Kaiser sind imstande, uns diesen Glauben aus dem Herzen zu reißen. Im Geiste und in der Form, die uns der Führer gewiesen, gehen wir ans Werk." ^ Als 1940 vier christlichsozial eingestell te Frauen des Bezirkes Kirchdorf an der Krems wegen Heimtückevergehens abgeurteilt wur den, mußten sie als straferschwerend zur Kenntnis nehmen, daß ihre Äußerungen gegen den Führer gerichtet waren, „dessen Person jedem Deutschen heilig ist." Den Führer zu be leidigen, zeugte grundsätzlich von „niedriger Gesinnung"' und Gendarmen waren angewie sen, Parteigenossen oder Angehörige von Parteigliederungen, „die sich an Ort und Stelle für Beleidigungen des Führers oder der Partei an den Beleidigern durch Schläge oder Mißhand lungen Genugtuung verschafften", nicht anzuzeigen, also wegzuschauen, denn solche Schläge seien „vollauf berechtigt oder verständlich".^ Was wunder, daß der Zeuge G., „als rückgewanderter Buchenländer" über eine Führerbeleidigung im Wirtshaus noch mehr er regt als ein Reichsdeutscher, nur mit Mühe von einer Schlägerei zurückzuhalten war.^ Der Bürgermeister von Oberplan ging noch einen Schritt weiter und feuerte, durch Beleidigung der deutschen Führung aufgebracht, nach Austeilen von mehreren Ohrfeigen gegen den Be leidiger einen Schuß ab.® Der „Heimatgau des Führers" nahm im Großdeutschen Reich einen besonderen Platz ein. „Ist uns doch der ganze Boden seiner Heimat heilig", schrieb der Linzer Schulkollege Hit lers, Hugo Rabitsch, der bedauert, daß aus der Knabenzeit Hitlers in Leonding und Linz bis auf vereinzelte Stücke nicht einmal „unscheinbare Besitztümer des Knaben", wie Schuihefte und Zeichnungen, erhalten geblieben seien. So muß „der Ortsfremde, der die Knaben heimat des Führers sucht [. . .] aus der eigenen Stimmung sein Erlebnis schöpfen: Im Den ken, daß hier jahraus, jahrein ein Knabe Hitler gegangen ist. Sei es, daß er vor den noch heute erhaltenen Bienenstöcken des Vaters steht, deren dreißigmal verjüngte Völker wie einstens schwärmen, da sie Honig für den kleinen Adolf heimtrugen, sei es im Kürnberger Wald an der Ruine der sagenumwobenen Nibelungen-Dichterburg oder an den donauseitigen Hängen des Pöstlingberges. [. . .] Mögen diese Blätter manchem deutschen Jungen die Wege zeigen, die er, nachsinnend über seines Führers Jugendjahre, gerne gehen wird!"'-' Bildbände über die Heimat des Führers waren allemal krisensichere Unternehmen. Der Ruf, Heimatgau des Führers zu sein, verpflichtete natürlich. So hatte Gauleiter Eigruber den Ehrgeiz, Oberösterreich als ersten Gau des Reiches „judenfrei" zu machen,'und in einer Rede in Gmunden bald nach dem Anschluß forderte er die Existenz einer besonderen Ein richtung gerade für jenen Gau, der eben dem Reich den Führer "geschenkt" hatte und so mit ein gewisses Vorrecht vor anderen besaß, nämlich die Errichtung eines Konzentrations lagers.' ' Obwohl gerade das Innviertel, „eine gesegnete Gegend, wo die größten und schwersten Bauern des Gaues sitzen"'2, den Führer hervorgebracht hatte, kommt dieser Landstrich in den Dokumenten nicht immer am besten weg. Die dortige Landbevölkerung hat „einen verhältnismäßig niedrigen Lebensstandard [. . .] es fehlt an hygienischen Einrichtungen", was anscheinend besonders stark auffiel, wenn evakuierte Reichsdeutsche in Orten des Innviertels einquartiert wurden — ein ohnehin nicht immer reibungsfreies Vorgehen.'' Der Innviertier war immer ein kerniger Typ, und der Einzelrichter des LG Ried im Inn kreis, OLGR Dr. Rieseneder, wußte wahrscheinlich, was er sagte, wenn er in einem Urteil gegen einen Schwarzschlächter seiner Meinung über seine Pappenheimer freien Lauf ließ: „Jedem langjährigen, im Innviertel judizierenden Strafrichter ist hinlänglich bekannt, daß bei der Mentalität und Psyche der zu den schwersten Gewalttätigkeiten neigenden Bevölke10

rung selbst Mord und Totschlag nicht ausgeschlossen sind, falls es sich um Durchsetzung ei nes unbedingt Gewollten handelt, und war es nicht nur einmal, sondern öfters der Fall, wie die hiesigen Strafakten beweisen, daß Bäuerinnen von ihrem Bauern erschlagen bzw. aus dem Wege geräumt wurden, wenn sie hinderlich waren. Diese Verhältnisse, wie sie hierzu lande sind, sind doch jedermann bekannt. Über Antrag der oberösterreichischen Landesdenkmalstelle wurde schon im Mai 1938 be schlossen, alle mit der Person des Führers in Verbindung stehenden Erinnerungsstätten un ter Denkmalschutz zu stellen; das waren gezählte neun Wohnhäuser, ferner die Volksschu len von Fischlham und Lambach sowie die Realschulen in Linz und Steyr.i' Qer Erwerb des Elternhauses in Leonding ging relativ reibungslos vor sich; ein Privatmann kaufte es und schenkte es der NSDAP. Bäckermeister H. aus Leonding, der noch vom seligen Vater Hit lers die Bienenstöcke persönlich aufgekauft und über 30 Jahre kultiviert hatte, trat diese bereitwilligst wieder ab, wobei sich die berechtigte Frage anschließt, wie viele Bienen von anno dazumal übriggeblieben sein mochten. Weniger reibungslos war der Kauf des Ge burtshauses Hitlers in Braunau. 1912 kauften die Wirtsleute J. und M. P. das Haus, ohne zu ahnen, weichen unschätzbaren Wert sie damit erworben hatten, denn 1933 setzte der Zu strom der Parteigenossen ein, „die alle neugierig oder ehrfürchtig erschauernd die Räume besichtigen wollten." Die Verbotszeit ab 1934 brachte wohl einen Rückschlag, doch ganz zum Versickern kam das Geschäft nie, und im März 1938 schlugen die Herzen der beiden Wirtsleute sehr hoch. Doch die Partei fand Mißfallen am Geschäftemachen mit dem „Hei ligtum der Nation", und unter sanftem Druck seitens der Reichskanzlei entschloß sich das Ehepaar zum Verkauf, trauerte der "Goldgrube" nach, bis es einige Jahre später während des Krieges starb. Die Partei versetzte daraufhin das Haus in den "Originalzustand" von 1889. Braunau und Leonding, letzteres die Grabstätte von Hitlers Eltern, entwickelten sich zu re gelrechten „Wallfahrtsorten des deutschen Volkes." Dieses Idealbild war lediglich durch die Tatsache leicht getrübt, daß anläßlich der Volksabstimmung vom 10.4.1938 und besonders bei Berücksichtigung der großen Anzahl von "Führerorten" (100 % Ja-Abstimmungsergeb nis) gerade beide Orte diese Hürde nicht geschafft hatten; Braunau vereinigte fünf NeinStimmen auf sich, in Leonding stimmte ein Einwohner gegen Hitler. Anfang April 1938 drehte die UFA in Braunau einen Tonfilm, dankbare Volksgenossen aus dem Reich boten armen Braunauer Kindern kostenlosen Aufenthalt an, und im November 1938 liegt ein Rückblick Braunaus auf die erste "Saison" vor: „Die Öffnung der Grenzen hat die Geburts stadt des Führers über Nacht zu einem Fremdenverkehrszentrum gemacht. Tausende und Abertausende pilgerten zu jener Stätte, wo Adolf Hitler das Licht der Welt erblickte, ließen sich dort im Lichtbild festhalten und besichtigten andächtig das einfache Zimmer, in dem der größte aller Deutschen geboren wurde. Trotz der in diesem Jahre noch sehr beschränk ten ünterkunftsmöglichkeit — die Stadt war auf Massenübernachtungen nicht vorbereitet — übernachteten in Braunau in der Zeit vom Mai bis Oktober 7834 Fremde mit 10 132 Übernachtungen, was einer Verdreifachung der Zahlen des Vorjahres gleichkommt. [. . .] auch die Fremden, die sich nur für Stunden in der Stadt aufhielten, belebten das Geschäft außerordentlich."! Im Falle Leondings legen die Berichte das Gewicht mehr auf die emotioneile, ideelle Seite des "Wallfahrtsortes" und weniger auf das Geschäft; das Bestreben herrscht vor, „daß es [das Eiterngrab des Führers] uns heiliger Wallfahrtsort bleibt, nie aber Fremdenort oder Museum wird."*'-! Das Grab glich meist einem Blumenhügel. Besucher kamen busweise, ganze Belegschaften hatten nun ein neues Ziel und setzten zum Sturm auf Leonding in ähnlicher Art an, wie das heute bei den Landesausstellungen üblich ist. Selbst Amerikaner, Engländer und Franzosen fanden sich ein, denen man freilich ihre ernsten Absichten nicht ganz abnahm: „Vielleicht hoffen sie, dort etwas Sensationelles zu sehen, oder vielleicht 11

machen sie es, damit sie zu Hause erzählen können, sie seien dort gewesen. Die heilige Wei he, die jeder Deutsche an diesem Ort empfindet, wird vielleicht nur den wenigsten unter ihnen zu Bewußtsein kommen."2o Einige Hitler einst Näherstehende, wie der Vormund, der 70jährige Landwirt J. M., oder der Sohn des ehemaligen Lehrers von Hitler und dessen Leondinger Spielgefährte in früher Jugend,fügten zu Hitlers Apokryphen neue hinzu. Der Spielgefährte schreibt in der Zeitung: „Im kleinen Dorf Leonding ist ja Adolf Hitler herumgetollt, er hat dort Tage der seligsten Kinderzeit verbracht. Schon in der Jugendzeit brach bei ihm sein soziales Denken durch, denn er hat oft und oft mit uns Spielkameraden sein Stück Butterbrot geteilt, und sehr oft ist für den kleinen Adolf — nichts übriggeblieben!"^ i Dem stehen allerdings jene Worte ge genüber, die es der Frau M. W. im September 1940 leichtfertig herausgerissen hat: „Ihr könnt mir nichts sagen. Ich bin von Fischlham und mit dem Führer in eine Schule gegan gen. Als lOjähriger Bub war er schon ein Gauner. Die Tierquälerei war ihm das Liebste. Den Vögeln hat er bei lebendigem Leib die Haxerl ausgerissen." Wie immer man zu dieser Äußerung stehen mag, besonders im Licht der späteren NS-Verbrechen, dem Sondergericht Linz war diese heimtückische Äußerung wichtig genug, und es verdonnerte Frau W. zu sechs Monaten Gefängnis.2 2 Neben den beiden genannten Führerorten und anderen NS-Kultstätten wie Kollerschlag im Mühlviertel, wo sich Nazis ,,heilige Erde" in Erinnerung an die gefallenen Haudegen bzw. "Märtyrer" des Jahres 1934 mitnahmen,2^ profitierte auch die "Patenstadt" Hitlers vom neuen Boom, und die Pläne, mit denen sich Hitler im Zusammenhang mit Linz trug, sind verhältnismäßig bekannt. Die Begeisterung beim Eintreffen des Führers auf dem Haupt platz in Linz war groß, der Jubel "umbrandete" Hitler, und wenn man dem Kinderbuch ,,Mutter, erzähl von Adolf Hitler. Ein Buch zum Vorlesen, Nacherzählen und Selbstlesen für kleinere und größere Kinder" von Johanna Haarer trauen kann, schämten sich selbst hartgesottene oberösterreichische SA-Männer nicht, „vor Freude zu weinen, als der Führer vom Balkon des Rathauses zu ihnen sprach."2-^ In der Tat, es kam zu so vielen hysteri schen Ohnmachts- und Schwindelanfällen, daß der Linzer Rev.ung in einem speziellen Zei tungsartikel der Dank ausgesprochen wurde.25 |n Linz war in diesen Märztagen auch kein Fahnenstoff mehr zu kriegen, alles war aufgebraucht, das Fahnenmeer "unvergleichlich", und der Hauptplatz erhielt „endlich seine Ewigkeitsbezeichnung Adolf-Hitler-Platz".2<^> Eine Form politischer Demonstration, die nach dem Zweiten Weltkrieg völlig außer Mode gekommen zu sein scheint, war in den dreißiger und vierziger Jahren das Gießen von Doll fuß- und Hitlerglocken2 2 sowie das Pflanzen von Eichen, seien es nun Dollfuß- oder Hitler eichen gewesen. Bereits in Hitlers Untersekunda in Linz (1901/02) war das Thema „Die Eiche, ein Baum voll Leben und Bedeutung" im Deutschunterricht behandelt worden.2» Was ist aus all diesen „deutschen Eichen" in Leonding, Gaspoltshofen, Rohr oder in Kirchberg-Thening nach 1945 geworden,2 ^ abgesehen von jener in Eberschwang, die schon Ende 1943 „unbekannten Tätern" zum Opfer gefallen war?^" Die Kirchberg-Theninger hatten besondere Veranlassung, ,,am Sonntag, den 24. Ostermond 1938 |. . .] zur Erinne rung an die größte Tat unseres herrlichen Führers wieder einen jungen Eichenstamm [. . .] den kommenden Geschlechtern [als] Künder und Mahner" in den Boden zu rammen, zumal doch die "Systemregierung" ihre erste Hitlereiche im Jahre 1933 hatte ausreißen lassen.^' Am 24. Ostermond regnete es allerdings in Thening, ,,die Stimmung aber konnte er [der Regen] nicht beeinträchtigen". Zirka 2000 Leute waren zugegen, und wie in Leonding beim selben Anlaß der Festredner ,,markige Worte"^2 gn die Anwesenden gerichtet hatte, so sprach hier der festredende Parteigenosse „zündende Worte", schloß mit dem Befehl ,,Pflanzet die Eichel", worauf der Männergesangsverein Thening mit dem "markigen" Lied „Wo gen Himmel Eichen ragen" einfiel.'^ Im April 1939 feierte Hitler seinen 50. Geburtstag. Braunau gab ,,ein überwältigendes Be12

kenntnis der Liebe und Treue zu Adolf Hitler" ab. Vor dem dortigen Sonderpostamt drängten sich die Leute, die Stempelung der hunderttausend Sendungen nahm mehrere Ta ge in Anspruch, das Geburtshaus selbst war in den Schein tausender Glühbirnen getaucht, und es gab einen 800 Mann starken Sprechchor.L.K. (Linus Kefer) schrieb in der TagesPost aus diesem Anlaß einen poetischen „Gang durch die Heimat", beginnend am Inn, der Grenze „zwischen der verlangenden Heimat und dem harrenden Vaterland".^' In der Ge gend von Windischgarsten, zugegebenermaßen etwas abseits der großen Wallfahrtsroute, hatten allerdings an diesem 20. April, der ein Feiertag war, einige Bauern Feldarbeit ver richtet. „Unter den Übertretern des Feiertagsgesetzes der Gemeinden Pichl und Windisch garsten sind, wie bis nun festgestellt, nur solche, wo die Einstellung zum Staate nicht gera de die zuverlässigste ist", schreibt der Gendarmeriepostenkommandant von Windischgar sten an seinen Landrat in Kirchdorf an der Krems und fügt dem hinzu: „Ob bei der Ent würdigung des nationalen Feiertages eine Absicht vorgelegen hat, kann jedoch nicht bewie sen werden. Sämtliche Übertreter werden mit separaten Anzeigen dorthin angezeigt."^ ^ Zwangsbeglückung ist gewiß auch ein Kennzeichen einer Diktatur. Sprachterror Bei intensiverem Aktenstudium der NS-Zeit wird der Sprachnerv gereizt, und zwar in der Hauptsache wegen des Pathos' einerseits und der Wort- und Sprachmanipulation anderer seits. Es sei hinsichtlich des zweiten Punktes nur an die sprachlichen Neuschöpfungen eines Dr. Goebbels im Angesicht des stetigen deutschen Rückzugs erinnert, den er dem deut schen Volk als Abwehrkampf, Frontbegradigung oder elastische Verteidigung interpretier te. Es ging im Dritten Reich schließlich so weit, daß bestimmte Wörter und Begriffe tabu waren. So teilt der Generalstaatsanwalt in Linz seinen untergebenen Staatsanwälten und Vollzugsanstaltsleitern im Dezember 1943, also nach den Katastrophen von Stalingrad und Tunis mit: „Das Wort 'Katastrophe' ist allein und im Zusammenhang mit anderen Wörtern (Katastrophenfall, Katastropheneinsatz usw.) nicht mehr zu verwenden." Er schlägt ganz im Sinne der Goebbelschen Verschleierungstaktik die Ersatzwörter wie "Soforteinsatz", "Soforthilfe" vor.i Für eine ähnliche Verdrehung der wahren Absicht standen schließlich auch die Wörter Schutzhaft, Endlösung, Umsiedlung, der Anschluß für Annexion oder sogar die Bezeichnung Donau- und Alpenreichsgaue für Österreich. Gewisse Begriffe wie die Arbeitsmaiden sind inzwischen gänzlich ausgestorben; zum Glück auch coventrisieren oder das alliierte Gegenstück aachenisieren . Es werden heute auch weniger kernige und markige Sprüche geklopft. Bei entsprechender Wortmanipulation kann jedes eigenständige Denken vollständig blokkiert werden. Der Begriff "Heldentod" sei dafür ein Beispiel. Diesen zu sterben war eine Ehre, das höchste Opfer für das Vaterland — in diese Richtung arbeitete zumindest die reichsdeutsche Gehirnwäsche, und wie man sieht, mit Erfolg. Anders läßt sich nicht er klären, daß — als Beispiel von mehreren — eine Mutter eines Gefallenen sich äußerte, „sie verstehe nicht, wie Leute über den Heldentod eines Sohnes jammern könnten, das sei doch eine Ehre."^ Worte und Begriffe sind Sprachsymbole, und wer das Wort attackiert, trifft zugleich den Symbolträger. Ein Beispiel dafür bietet das OLG Wien 1939 in einem Schreiben an alle un terstehenden Gerichtshöfe, im Schriftverkehr mit Bischöfen Titulaturen wie Eminenz, Exzellenz, fürsterzbischöfliche Hochwürden fortzulassen.^ Desgleichen wurde in einem Er laß vom Jänner 1942 die Anrede Herr in Briefen gegenüber Juden und Polen eliminiert; die se Bestimmung ließ sich freilich nicht so leicht durchführen, weil nicht immer klar hervorging, ob der Empfänger Jude/Pole war oder nur einen jüdisch/polnisch klingenden Namen trug."^ 13

Mit diesen Beispielen befinden wir uns bereits mitten auf dem Feld des Sprachterrors, der nicht die unwichtigste Sparte des NS-Terrors war, denn wer so spricht und denkt, wie wei ter unten angeführt wird, in dessen Bewußtsein ist der Weg für jeglichen Terror schon ge ebnet. Beginnen wir mit den eher harmlosen Einpeitschversen: „Unser Hermann [Göring] hat befohlen. Wir sollen altes Eisen holen" (für Alteisensammlungen) „Herr Meck muß hintendrauf eins kriegen. Denn 'meckern' dürfen nur die Ziegen" (gegen Meckerer und Nörgler) „Lieber Führer komme bald, Unsre Füße werden kalt" (als Jugendliche auf dem Linzer Hauptplatz auf die Ankunft Hitlers warteten) Weniger harmlos waren die ätzenden Sprüche des Osteneichischen Beobachters: „Erhalte Blut und Rasse rein. Dann wird Dein Volk auch ewig sein" „Wer in den Ö.B. [österreichischen Beobachter] gehört, kommt bestimmt hinein." Dieses Kleinstformat war, wie schon angedeutet, eines der gemeinsten Mittel sprachlichen Terrors, in welchem Leute und deren Schwächen ohne Achtung auf Intimbereiche bloßge stellt und angeprangert wurden, jeden Funken Fairness, die man selbst noch dem ärgsten politischen Gegner entgegenbringen sollte, hinter sich lassend. Die Schreiber dieses Blattes waren keine Dummköpfe, sie waren witzig, geistreich, aggressiv, ihr Produkt las sich schlichtweg gut und wurde gern gelesen (wie sich der Verfasser noch persönlich in Ge sprächen überzeugen konnte), und die Redakteure trugen gerade in dieser attraktiven Auf machung des Blattes bei. Anstand und Menschenwürde zu untergraben und zu vergiften. Ganz im Sinne dieses östeneichischen Beobachters benahmen sich Parteigenossen in Schwertberg am Tage der Volksabstimmung im April 1938: Wegen einer Nein-Stimme, die einer gewissen A. Str. angedichtet wurde, verpaßte man das Ziel, Führerort zu sein. Tags darauf stand auf der Hauswand der A. Str. zu lesen: „Dieses Schwein sagt nein!"^ In Un terweißenbach drohte man damals: „Jeder, der eine Nein-Stimme abgibt, wird an die Wand gestellt"^, und ähnliche Erpressermethoden in anderen Orten waren gang und gäbe. Bei all diesen Aktionen zeichneten sich insbesondere die kleinen Funktionäre auf dem Land aus, die Ortsgrößen, die — wie es in Landorten üblich ist — gute Kenntnis des Milieus besaßen und durch den Nationalsozialismus Macht in größerem Ausmaß überantwortet bekamen als ihrer moralischen Potenz und Toleranz entsprach. Ihre Machtanmaßung spiegelt sich deut lich in den politischen Leumundszeugnissen bzw. Beurteilungen von angeklagten Volksge nossen wider, die sie den Gerichten und der Gestapo ausstellten. Auf diesem Gebiet regiert unverblümter Sprachterror. „Der Mann gehört unschädlich gemacht. Jetzt bietet sich Gelegenheit dazu. Ich erhebe da her noch einmal die Forderung: Überstellung in ein KZ." (Ortsgruppe Micheldorf)^ „Dieses gefährliche Subjekt gehört von hier sofort für immer weg. Er ist dann unschädlich gemacht [. . .] Bitte veranlassen Sie, daß der Mann weggebracht wird, aber ohne Aufsehen, damit niemand weiß, wo er ist und was mit ihm geschehen ist, die Ungewißheit macht erst richtig mürbe (am besten vom Arbeitsplatz weg). Bei uns muß einmal etwas geschehen, sonst leidet das Ansehen des Staates und der Partei im Orte in einem unerträglichen Maße, wir wären sonst gezwungen, uns selbst zu helfen." (Ortsgruppe Stadl-Paura)® „Es wäre nur zu wünschen, daß auch M.G., die keineswegs besser ist als ihre Schwester, auch einmal hinter Schloß und Riegel käme." (Kreispersonalamt Linz-Land)^ 14

„Wir wissen auch, daß wir nicht antragen können, [Taxifahrer] B. zum Militärdienst, viel leicht als Kraftfahrer einzuziehen, er kann ja schneidig und schnell fahren, aber der Volks mund sagt bereits so und glaubt, es wäre das beste Heilmittel für diesen Berufsmeckerer." (Ortsgruppe Ried im Innkreisj^® „Ich glaube, es wäre angezeigt, wenn wir diesen Herrn [Stadtpfarrer von Schwanenstadt] einmal im österreichischen Beobachter etwas beleuchten." (Ortsgruppe Schwanenstadt)^ ^ Es blieb nicht bei den Drohungen mit dem österreichischen Beobachter, man drohte auch mit dem KZ, weil einer zum Beispiel zu wenig bei Sammlungen zahlte,^^ ein anderer sei nen Arbeitsplatz wechseln wollte.^ ^ Zu den wenigen heiteren Seiten des Dokumentelesens gehören Amtsdeutsch und Stilblü ten, zugegeben, ein von der NS-ldeologie ziemlich unabhängiges Feld. Berichte wandern von hierorts/hieramts/hierrayons/hieranstalts zu dortorts/dortamts; Vorfallenheiten sind anher zu melden; es ist auch, so oft es geht, amtszuhandeln; zwischenzeit lich (in der Zwischenzeit) wurden in \J\nz aufhältliche Persouen, glaublich im April, auf grund des obbezogenen Runderlasses haftiert, dermalen in ein Lager verbracht oder mittels Sammeltransports woandershin verschubt; vermutlich wurden sie zuvor niederschriftlich vernommen; vielleicht waren sie teilgeständig, vielleicht sogar nicht zuchthauswürdig; Reli gionslehrer wurden entpßichtet, Soldaten einrückend gemacht,- Oberösterreicher, wenn sie mit Fremdarbeitern intimen Umgang hatten, waren normalgeschlechtlich; Bürokraten emp fahlen Erlässe zur Kenntnis und Darnachachtung, Gendarmen legten im Nationale Wert auf "Spitz- und Gaunername". Der Gendarmeriebezirksinspektor von .Schwertberg versuchte einmal, „mehreren Gerüchten auf ihren Ursprung nachzugehen und konnte dabei feststel len, daß schließlich fast jede Spur ohne Resultat in eine feine Versandung mündete."!"^ Es gab unter den Richtern große Sprachtalente. Die Argumentation bei Hauptverhandlung und Urteil verbeißt sich oft genug auf einen Punkt der Anklage, und fortdauerndes Umspie len eines Punktes und Wiederkauen desselben durch Richter, Staatsanwalt, Verteidigung, Zeugen, Angeklagten etc. schafft sprachliche Dichte und inhaltliche Geschlossenheit, nicht unähnlich modernen literarischen Texten. Ein Beispiel von vielen: Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, daß er am 1.5.1938 durch die Äußerung: „Die Wahl war eigentlich keine Wahl, bei einer Wahl muß doch jeder Partei die Agitation er laubt sein, die stattgefundene Wahl ist nicht mehr wert, als daß die abgegebenen Stimmen beim Fenster hinausgeworfen wären", also durch Schmähungen in einem Gasthauszimmer gegenüber den dort anwesenden Gästen die Anordnung der Behörde bezüglich der Volksab stimmung vom 10.4.1938 herabzuwürdigen gesucht hat. Der Angeklagte gab zwar zu, am 1.5.1938 im Gasthauszimmer des Gasthauses Schützeneder in Julbach zu den dort anwesenden Gästen gesagt zu haben, daß die Wahl vom 10.4. 1938 keine freie Wahl gewesen wäre, wir keine 96 % der Stimmen erhalten hätten. Er gab auch zu, daß ein anwesender SA-Mann ihn deshalb zur Rede gestellt habe und er dann zu diesem gesagt habe, daß das schon eine freie Wahl gewesen sei, es sei aber nicht so wie die früheren Wahlen gewesen, wo noch die Parteien gewesen seien, die vor der Wahl agitieren hätten können und dies dieses Mal nicht der Fall gewesen sei. Der Angeklagte behauptete noch in der Voruntersuchung bei derselben Gelegenheit auch gesagt zu haben, die Schuschnigg-Wahl sei nicht mehr wert gewesen, als daß die abgegebenen Stimmen beim Fenster hinausgeworfen worden wären, er stellte aber entschieden in Abrede, letztere Äußerung in bezug auf die Volksabstimmung vom 10.4.1938 gebraucht zu haben. Vor dem erkennen den Gerichte bestritt er aber, diese letztere Äußerung überhaupt gemacht zu haben und be hauptete, daß diese ein anderer, nämlich ein gewisser Äug gebraucht hätte. Demgegenüber gab der Zeuge F.L. an, daß er zur Zeit, als der Angeklagte obige Äußerung gemacht hätte, im selben Gastzimmer wie der Ängeklagte mit anderen Gästen gesessen sei und er gehört habe, wie der Ängeklagte gesagt habe, die Wahl vom 10.4.1938 sei nichts 15

wert gewesen; daß es so viel wäre, als daß man die abgegebenen Stimmen beim Fenster hinausgeworfen hätte und daß das keine Wahl gewesen sei. Zeuge habe Angeklagten dann gefragt, warum das keine freie Wahl gewesen sei, worauf der Angeklagte ihm zur Antwort gegeben habe, daß Zeuge noch viel zu jung sei und daß er damals (als Angeklagter schon wählte) noch nicht auf der Welt gewesen sei. Weiters gab dieser Zeuge noch an, er könne sich genau an die Äußerung des Angeklagten erinnern, daß dies deshalb keine Wahl gewe sen sei, weil man nicht nein stimmen hätte können und weil die Parteien nicht hätten agi tieren können, und daß damals von der Schuschnigg-Wahl nicht die Rede gewesen sei. Auch der Zeuge H.Th. gab an, daß er am 1.5.1938 im Gasthauszimmer des erwähnten Gasthauses in Julbach gehört habe, wie der Angeklagte zu dem L. auf dessen Frage gesagt habe, daß sie (die Wahl vom 10.4.1938) keine Wahl gewesen sei und daß er (L.) noch gar nicht auf der Welt gewesen sei, wie sie gewählt hätten. Mehr habe der Zeuge nicht verstan den, gab aber noch an, daß von der Schuschnigg-Wahl nicht die Rede gewesen sei und er das hätte hören müssen, da er am selben Tisch wie der Angeklagte gesessen sei. Mit Rücksicht darauf, daß der Angeklagte gestand, vor mehreren Leuten im Gasthauszim mer des Gasthauses Schützeneder in Julbach gesagt zu haben, daß die Wahl eigentlich kei ne Wahl gewesen sei, bei einer Wahl müsse doch jeder Partei die Agitation erlaubt sein, der Angeklagte, wie oben bereits erwähnt, sich in der Richtung widerspricht, daß er in der Vor untersuchung zugab, er habe die Äußerung, daß die Schuschnigg-Wahl nicht mehr wert ge wesen wäre, als daß man die abgegebenen Stimmen beim Fenster hinausgeworfen hätte, gemacht, während er diese Äußerung in der Hauptverhandlung dem A. in den Mund legte, die Aussagen der Zeugen L. und Jh., welche Zeugen auf das Gericht im Gegenteil zu dem Angeklagten einen sehr günstigen und glaubwürdigen Eindruck machten, sich gegenseitig ergänzten und im wesentlichen übereinstimmen, schenkte das Gericht diesen Zeugen vol len Glauben und nicht der Verantwortung des Angeklagten, und zwar dies auch trotzdem der Zeuge Fr. A. den Angeklagten zu entlasten versuchte. Da dieser aber mit seiner Behaup tung, Zeuge und nicht Angeklagter habe gesagt, die Schuschnigg-Wahl sei nicht mehr wert, als daß die Stimmzettel beim Fenster hinausgeworfen wären, mit dem gegenteiligen Zuge ständnisse des Angeklagten in der Voruntersuchung selbst in unaufklärbarem Widerspruche steht, dieser Zeuge in seinen Angaben sehr unsicher war, und er auch selbst erklärte, daß er sich an die damalige Äußerung nicht mehr genau erinnern könne und außerdem viel über hört habe, da er auch mit anderen Personen im Gespräch gewesen sei, war dessen zeugenschaftlichen Angaben keine Bedeutung beizumessen.' ^ (6 Wochen Arrest) Übertriebenes Interesse am Nächsten Indem das NS-Regime jede kritische, geschweige denn abträgliche Äußerung der Volksge nossen als eine Form des Defaitismus und der Gegnerschaft einstufte, schuf es ein Klima des gegenseitigen Mißtrauens, gegenseitiger Bespitzelung; und weil es zur Aufspürung defaitistischer Volksgenossen Helfer benötigte, gab es dem Mann der Straße innerhalb seines Bereiches beträchtliche Macht in die Hand; es öffnete damit dem Denunziantentum Tür und Tor und setzte jenes übertriebene Interesse am Nächsten in Gang, das dazu führen mußte, daß schlimmstenfalls Eltern durch Kinder, Lehrer durch Schüler usf. überwacht wurden. Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieser Terror vom Anfang an vom System be wußt gefördert war und dessen Zugriff mit abnehmendem Kriegsglück immer gewalttäti ger wurde. So mußte es kommen, daß gerade der mündliche oder individuelle Widerstand, das Meckern, Nörgeln und das abträgliche-Stimmung-Schaffen oder, wie der Fachbegriff aus der NS-Zeit heißt, daß die Vergehen gegen das Heimtückegesetz sowie die wehrkraft zersetzenden Äußerungen einen ungeahnten Behördenapparat und damit eine Überfülle 16

von Akten und Dokumenten in die Welt setzten, die dem Historiker ein ungemein leben diges Bild von der Stimmung und Lage der Bevölkerung während dieser Periode geben. Dieser „Widerstand von unten" findet in der Fachliteratur zusehends mehr Beachtung. Der hier gestellten Aufgabe entsprechend soll aber in erster Linie über den Hintergrund dieses „Widerstandes von unten" geschrieben werden. Groß ist die Zahl der Denunzianten — auch im ,,Heimatgau des Führers". Sie sind, der Voll ständigkeit halber sei's gesagt, in den Akten mit all ihren Personenstandsdaten fest veran kert. Tiefgehende emotioneile Gräben tun sich auf, Werte werden umgepolt: K.P. aus Stei nerkirchen an der Traun heiratete Mitte 1942; die Ehe gestaltete sich anfangs recht harmo nisch, im Jänner 1943 ergaben sich dann Mißhelligkeiten. K.P. reichte die Ehescheidungs klage ein. „Daraufhin — aus Rachsucht wegen der eingebrachten Scheidungsklage — erstat tete seine Gattin am 5.4.1943 gegen ihn die Strafanzeige, welche den Gegenstand vorliegen den Strafverfahrens bildet" (zehn Monate Gefängnis wegen Schwarzhörens).' M.J. aus Kirchham beleidigte in Gegenwart seiner Frau den Führer. „Diese Äußerung wurde unter Mithilfe meiner Frau zur Anzeige gebracht", behauptete M.J. später, der für dieses Verge hen zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt worden war.^ Th. W. aus Pegau ließ ihren vertrau lichen Mitteilungen im Akt anfügen: „Ich möchte bitten, daß mein Name nicht genannt wird, weil mein Gatte der Bruder zu I.W. ist."^ J.L. aus Tumeltsham ging am 3. September 1939, wie's bei den Bauern Brauch ist, in die Kirche, nachher unterhielt er sich auf dem Kirchenplatz mit F. B. aus Peterskirchen, der Reden führte, die „eines deutschen Mannes unwürdig" waren und so „große Erbitterung" hervorriefen, daß J. L. dem dortigen Orts gruppenleiter Mitteilung machte, der dann zur Gendarmerie ging."' Ein anderer denunzierte Herrn L., fügte aber seiner Aussage hinzu: ,,lch bin mit L. gut befreundet und bin ihm in keiner Weise feindlich gesinnt. In einem Lokal in Altheim saßen an einem Tisch der Sohn des Lokalbesitzers und Herr M., am Nebentisch Angestellte der Firma Wiesner, u.a. Dr. H. Zuerst ging das Gespräch dieser Angestellten um private Dinge, als dieses jedoch eine politische Wendung nahm, stieg das Interesse des Duos am Nebentisch. „M. hat mir [so die Schilderung des Lokalbesitzersohns] bedeutet, daß Dr. H. ein verbissener Feind des Nationalsozialismus sei, und er [M.] sowie ich müsse daher den Worten die größte Aufmerk samkeit schenken, die zu einer sicheren Beweisführung unter allen Umständen schriftlich festgehalten werden müssen. M. hat sich auch dann anschließend auf seinem Tische einen Zettel zurechtgelegt und alle die Wörter, die Dr. H. sprach, mitstenographiert. Ich habe M. bei seiner Tätigkeit insoferne unterstützt, als ich zur Täuschung der Gesellschaft des Dr. H. am Tische des M. sitzen blieb und mich, so gut es ging, mit ihm unterhielt." Fazit: 13 Mo nate Gefängnis für Dr. H." Verdruß, persönliche Animositäten, Feindseligkeit, Neid, Weibergeschichten, pure Tratsch sucht sind der Mutterboden fast aller Denunziationen. Konferenzzimmer, Büros, Werk stätten, Bauernhöfe, Gasthäuser im besonderen, also Plätze, wo Menschen sich regelmäßig trafen, wo Meinungen ausgetauscht und unter Umständen Reibungsflächen gegeben waren, verstärkt womöglich durch hierarchische Abstufungen, waren ideale Brutstätten für Denun zianten. Die Gerichte zeigten für die Motivation solcher gehässiger Anzeigenerstattung rela tiv viel Gespür, besonders wenn Anzeigen Monate oder gar Jahre nach der Tatzeit eintrafen. Einige Beispiele: „Gegen Ende Oktober 1940 entstand wegen einer Mädchengeschichte zwischen den beiden Angeklagten eine Feindschaft, infolge deren Zweitangeklagter den Erstangeklagten wegen angeblich parteifeindlicher Äußerungen des Erstangeklagten ihn bei dem als alten Illegalen bekanntgewesenen K. P. verschwärzte."'' „Der Anzeiger scheint bei der Erstattung der Anzeige nicht völlig frei von persönlichen Gründen gewesen zu sein, weil er schon seit längerer Zeit mit A. H. einen Streit wegen rück ständigen Mietzinses für eine im Hause der H. gemietete Werkstätte hat."'' 17

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