Linzer Tages-Post vom 6. August 1905

den Pfeilern unter Baldachinen stehenden, aus Holz ge ­ schnitzten Apostelstatuen zu erwähnen, welche der Bildhauer Westereicher verfertigte, der sich Erlers berühmte Apostel ­ statuen im Presbyterium in der Votivkirche in Wien zum teilweisen Vorbilde nahm, freilich ohne sie zu erreichen. Wie man in Norwegen reist. Line RrisrPlauderei von Fritz von Votzbrrg. Während im ganzen übrigen Europa das von Jahr zu Jahr immer mehr und mehr anschwellende Heer von Reisenden vom sausenden Dampfrosse mit Blitzesschnelle auf ganze Länder verbindenden eisernen Schienen in die entlegensten Täler und zu den entferntesten Gebirgsgegenden weggesührt wird und somit ein großer Teilder früheren Reisepoesie dahingeschwunden ist, gibt es noch ein Land, in dem das Reisen wirklich diesen Namen verdient. Dieses Land ist das in unseren Tagen so viel genannte Norwegen. Hier rast man nicht, hier auf der grünen Halbinsel reist man noch. Zwar fehlt es auch in Norwegen nicht an Eisenbahnen und Dampfschiffen, aber in die schönen Gegenden dringt kein Pfiff der Lokomotive und dorthin wird bei der starren Hochlandsnatur des Landes, die den Eisenbahnen unüber ­ windliche Schranken setzt, niemals das Dampsroß seinen Eroberungszug halten können. Aber dafür hat man im norwegischen Lande vorzügliche Landstraßen, die gut im Stande gehalten werden und sehr geschickt angelegt sind. Auf ihnen kann der Tourist frei wie der Vogel wandern und sich der stets wechselnden Naturschönheiten erfreuen. Wer rascher befördert sein will, bedient sich der für Nor ­ wegen typischen leichten, zweiräderigen Wegen, die als Karriol nur für eine Person, als Stolkjärre (das ist Stuhlkarre) für zwei Personen Platz haben. Mit ihnen wollen wir uns näher beschäftigen. Betrachten wir zuerst Roß und Wagen. Das Zugtier Norwegens ist ein kleines ponyartiges, aber munteres, rasches und kräftiges Pferd, das Ermüdung kaum kennt und dabei fromm und sanft ist wie ein Lamm. Jsabell- gclb ist die Hauptfarbe der norwegischen Pferde; doch kommen auch Braune und Rappen vor. Nur auf den sehr stark befahrenen Wegen erhält man abgetriebene Mietsgäule. Gewöhnlich sind die Tiere gut genährt und dem entsprechend srisch und lustig. Verwöhnte Pferde gibt es in Norwegen nicht. Der Hafer ist ihnen eine Speise, die sie nur dann zu sehen bekommen, wenn es kein grünes Futter mehr gibt; so lange dieses vorhanden ist, ernähren die Pferde sich auf freier Weide selbst oder bekommen im Stalle Heu vorgelegt; der Aufenthalt im Freien stählt sie gegen die Einflüsse der Witterung und macht sie vertraut mit der Natur. Sie schrecken nicht, sie fürchten sich nicht vor Wind, vor Regen, sie erzittern vor keinem Donner, sie prallen nicht zurück, wenn ein Wasserfall Plötzlich vor ihnen herabbraust, sie gehen so sicher wie ein Saumtier bergauf und bergab. Das dem Lande ureigene Reisefahrzeug ist diesen Pferden ganz angepaßt. Es ist ein merkwürdiger Wagen, das Karriol, wie der Norweger es nennt; jeder Fremde betrachtet es zuerst mit Lachen und gewinnt es später so lieb, daß er es oft herbei- sehnt, wenn er statt seiner die böse Stolkjärre geliefert bekommt und sich auf ihr stunden-, ja tagelang herumschütteln lassen muß, daß ihm fast die Reiselust und Reisefröhlichkeit vergeht. Kein anderer Reisewagen kann so leicht, so zweckmäßig, so be ­ quem sein wie eben das Karriol. Auf einer Achse oder eigentlich auf der Gabeldeichsel ruht ein Sitz, halb Stuhl, halb Kutsch- kasten, in dem eben nur ein Reisender Platz hat, und wenn er Mann ist, kaum genug für seine Beine, die deshalb außen in besonderen eisernen Auftritten eingestellt werden. Hinter ihm liegt ein Brett quer über die verlängerten Deichselhölzer, und auf dieses Brett kommt der unvermeidliche Begleiter zu sitzen, wenn der Weg dieses gestattet. Die Deichsel selbst federt und läßt die Unebenheit des Weges sehr verschwinden: man sitzt leicht und bequem, wenn auch etwas sonderbar und ungewöhnlich darin, so ungewöhnlich, daß ein deutscher Reisender, der dies Gefährt in Bewegung, aber nur von fern gesehen hatte, sich zu dem Ausspruche veranlaßt fand: „Die Norweger haben die merkwürdigsten Wagen von der Welt, ich sah einen fahren, der hatte zwei Räder unter sich und das Pferd zwischen den Beinen und fuhr wie der Blitz davon." Der Mann hat recht, von fern gesehen, erscheint ein reisender Normann auf seinem Wagen genau in der Lage, wie jener Berichterstatter wahrzunehmen glaubte. Noch eigentümlicher aber als er nimmt sich das schöne Geschlecht im Karriol aus. Schon das für Reisen vielfach übliche Gewand macht große Schwierigkeiten, der Sonnen- und Regenschirm erschwer: das Fahren und das weibliche Ungeschick im Lenken des Wägleins tut häufig genug das Seine, um einen Schreckensschrei aus dem schönen Munde zu rechtfertigen. Eigentlich muß auch jede Dame selbst ihr Roß lenken, so lange es der dienstbare Begleiter hiezu kommen läßt; bei großen Steigungen aber ist das eigenhändige Fahren für Damen eine mißliche Sache und es ist nur ein Wunder, daß so wenig Unglück dabei ge ­ schieht. Gegenwärtig ziehen übrigens die reisenden Damen meistens einen Gesellschaftswagen vor und man liest deshalb in den Blättern, daß eine Gesellschafterin für irgendeine Reise ­ strecke gesucht wird, weil ja doch der Weg durch angenehme Unterhaltung möglich verkürzt und durch eine Gefährtin auch der Kostenpunkt bedeutend ermäßigt wird. In gleicher Lage, wie eine Dame auf dem Karriol, befindet sich oft der männliche Reisende, wenn ihm das Schicksal die Stolkjärre beschert. Dies ist eine Art Wagen, der mit dem Karriol die eine Aehnlichkeit hat, daß er eben auch auf zwei Rädern läuft; im übrigen aber ist er ein wahres Ungeheuer von Reisekutsche, eine Marteranstalt für jedes Muttersöhnchen und auch für den Nichtverwöhnten jedenfalls ein höchst un ­ angenehmes Beförderungsmittel. Auf einer Art von Kasten, der sonst auch zum Einfahren von Früchten benutzt wird, ruht ein bankartiger Sitz, der in den meisten Fällen gleich auf den Kasten angelegt ist und der seinerseits wieder ohne Federn auf der strafferen Deichsel, beziehungsweise der Achse liegt. Da gelangt dann jeder Stoß unvermindert bis zudem Körper des Reisenden und dieser wird so gründlich durchgeschüttelt und durchgewalkt, als man es nur wünschen oder vielmehr nicht wünschen kann. Die bessere, veredelte Stolkjärre ist allerdings bequemer: ihr Sitz hängt in hölzernen oder eisernen Federn und deshalb empfinden bloß die auf den Kasten gestellten Beine das Gerumple vom Wagen. Allein dieser Federsitz hat auch seine Schattenseiten. Seine Befestigung läßt ost sehr viel zu wünschen übrig, ja, sie macht die Fahrt auf der Stolkjärre oft geradezu lebensgefährlich. Dazu kommt, daß der Karren, der niemals gehemmt werden kann, bei Steigungen leicht in Schuß gerät und an dem Geschirr des Pferdes irgendetwas in Un ­ vie LtaNtpfarrlcirche in Stexr: vas Sakrsmentrbsurchen. ordnung bringt, wodurch dieses trotz seiner Sanftmut oft in große Aufregung versetzt werden kann. Unter solchen Um ­ ständen ist dann die Fahrt mit der Stolkjärre eben nicht erbaulich und, wie bemerkt, wirklich gefährlich. Nur einen Vorteil dürfte die Stolkjärre vor dem Karriol besitzen, sie vermöglicht eine leichtere, bis auf das durch die Stöße er ­ regte Zähneklappen nicht fo oft unterbrochene Unterhaltung mit dem Skydsgut oder dem Begleiter, der jedem Reisenden von der Wechselstelle mitgegeben wird, damit er Pferd und Wagen nach ihr zurückbringe. Auch diesen Mann oder vielmehr Knaben müssen wir uns etwas genauer ansehen. Jeder Beruf erzeugt seine eigenen Leute und so auch der, welcher diesen Edlen obliegt, die den Verkehr der Menschen so wesentlich vermitteln helfen. Der vielfache Umgang mit allerlei Volk hat sie gebildet oder wenigstens gewitzigt: mancher Reisende hat ihnen aus lauter Langeweile seine Reiseanekdoten erzählt; ein anderer hat sich mit ihnen in ernstere Gespräche eingelassen und der oder jener Professor hat ihnen Wohl gar ein Stück Weltweisheit oder andere Wissenschaft mitgeteilt: kurz, die Leute haben Erziehung genossen und sind als Gebildete zu betrachten und auch danach zu behandeln. Damit ist noch nicht gesagt, daß sich ihre gei ­ stigen Fähigkeiten weit über die ihrer Mitbürger erheben; sie haben eben einen gewissen Schliff erlangt und verstehen es, sich in die Laune der Reisenden vortrefflich zu schicken, weil sie gelernt haben, daß ihnen doch nur derjenige ein Trinkgeld verabreicht, dessen Wohlwollen sie sich erworben haben. Hierin beruht wesentlich der Zauber, der ihr Betragen gegen Reisende regelt. Sie sind sehr artig, dienstfertig, unterhaltend und zuvor- kommend gegen den, welcher ihnen freigebig erscheint; sie find liebenswürdig gegen das schöne Geschlecht und wissen den taufenden Bedürfnissen desselben billig Rechnung zu tragen, ohne jemals die Geduld zu verlieren; sie sind aber auch grob und unverschämt, sobald sie merken, daß ihnen kein Trinkgeld zuerkannt wird und verstehen es dann meisterhaft, Reisende zu ärgern und zu Plagen. Was natürlicher, als daß man sich mit ihnen auf den möglichst besten Fuß zu stellen und sich ihre Freundschaft vermittelst eines in Aussicht gestellten Trink ­ geldes zu erkaufen sucht?! Dann erfährt man von ihnen, was man erfahren will und hat einen flinken und geweckten, dabei auch wohlerfahrenen Begleiter sich erworben, der in allen Lagen und Fährlichkeiten entschieden besser Bescheid weiß als der Reisende selbst und dabei durch seine geistigen und leib ­ lichen Fähigkeiten von großem Nutzen sein kann. Ein solcher Skydsgut verkürzt den Weg oft in angenehmer Weise und hilft einem glücklich über manche langweilige Stelle hinweg. Mit solchem Roß und Wagen und mit solcher Begleitung durchzieht man nun nach Belieben das schöne Land. Obdach und Nahrung gewährt die Wechselstelle selbst; das Zimmer, das sür den Reisenden bestimmt ist, enthält die notwendigen Bequemlichkeiten und vor allem regelmäßig gute und reinliche Betten; die Bedienung läßt nichts zu wünschen übrig und die Zeche wird so billig berechnet, als man verlangen kann. An Nahrungsmitteln ist sreilich manchmal einiger Mangel; aber die Freundlichkeit des Wirtes ersetzt ja viel und für den Genügsamen ist immer genug vorhanden. Man bricht ge ­ wöhnlich mit Tagesanbruch auf und durcheilt rasch einige Meilen, dann wird ein kleiner Halt gemacht und die Reise nach Belieben fortgesetzt bis gegen Abend, wo man dann die Hauptmahlzeit zu sich nimmt, um durch das Warten auf diese nicht zu viel Zeit zu verlieren. In höheren Gebirgen, über die Hochstraßen führen, sind diese Wechselstellen oft die einzigen Gebäude weit und breit und die Bewohner leben wie die Einsiedler, da sie bloß mit den eilig Vorüberziehenden und ihren beiden stetigen Nachbarn an der Straße in Berührung kommen. Sehr angenehm berührt es den Reisenden, daß an allen Stationen, die zugleich Wirtshäuser find und in nicht gleichen Abständen von einander liegen, die Preise sür die Fahrt nach der nächsten Station verzeichnet sind. Die Taxe für einen Kilometer beträgt 17 Ore für 10 Irm also 170 Ore (190 Pfennige) ohne das kleine Trinkgeld für die Postjungen. Ganz besonders rühmenswert mag auch noch hervorgehoben werden, daß selbst junge Damen ganz unbesorgt sich auf ihren Fußwanderungen in die ein- famsten Hochregionen wagen können, wo sie sicher sind, niemals belästigt zu werden. Und wer sich mit den Landes ­ sitten erst ein wenig vertraut gemacht hat, wird sich an ­ genehm dadurch berührt finden, daß hier die in so vielen Touristenländern lästige Aufdringlichkeit der Gasthaus ­ wirte unbekannt ist. Nie würde es einem solchen ein ­ fallen, den Reisenden zu fragen, ob und was er zu essen wünscht. Man muß alles bestellen und wird dann ordent ­ lich bedient. Aber selbst Abendbrot oder Frühstück wird ohne Bestellung nicht gebracht. So gehört denn das Reisen in Norwegen nach wie vor zu den Genüssen, die wir im alten Europa nicht mehr kennen, und es ist bei dem gesunden Sinne der Bewohner zu hoffen, daß auch die neue Ordnung der Dinge in dieser Hinsicht keinen Wandel herbeiführen wird. Ueber Berg und Tal 1904. Von Dr. Iran; Schrichl. (Fortsetzung.) Wie in dem Prospekte, den die Kurkommission von Grado herausgegeben hat, eingehend auseinandergesetzt wird, war Grtldo die Tochterstadt Aquilejas, ein Teil der ausgedehnten Hafenanlagen dieser großen, römischen Stadt. Grados Blüte fällt in die Zeit vom sechsten bis zum zehnten Jahrhundert nach vielen Kämpfen mit Aquileja. Im fünfzehnten Jahrhundert kam Aquilcja unter Venedigs Herrschaft. Grado muß einstens eine bedeutende Stadt gewesen sein, deren Kirche und Paläste vom Meere verschlungen wurden. Seine ältesten Kirchen: Santa Maria delle Grazie und der Dom stammen aus dem fünften Jahrhundert. Der letztere ist eine dreischiffige Basilika mit altchristlichen Mosaikresten, einer romanischen Kanzel und sehenswerten Fresken. In der Sakristei wird eine Anzahl Kleinodien ausbewahrt. Das Museum enthält einige gut erhaltene Sarkophage aus der Römerzeit. Der 46 m hohe Campanile bietet eine hübsche Aussicht auf das Meer, die winkelige Stadt und den vernachlässigten Friedhof. Die Glocken haben einen schönen Klang. Auf der Piazza della Corte sind die Grundmauern einer alt ­ christlichen Kirche bloßgelegt worden. Die Altstadt ist meist winkelig und russig mit äußerst engen, kaum drei Schritte breiten Gäßchen und sehr merkwürdigen Schornsteinen. Im übrigen gibt es auch einige breite schöne Straßen, wo sich der ganze Verkehr zusammendrängt. Die neuerbauten Villen sind sauber und behaglich eingerichtet. Durch einen im Jahre 1900 bis in die Tiefe von 217 w getriebenen arte- fischen Brunnen wird Grado nun reichlich mit gesundem, trinkbarem Wasser versorgt. Immerhin muß man hinsichtlich des Trinkens, da das Wasser in Eis gekühlt ist, sehr vor ­ sichtig sein. Dasselbe gilt vom Bier. Die ärmeren Volksschichten sind sehr schmutzig, besonders die Kinder, deren Verwahrlosung einen bedenklichen Grad erreicht. Sie gleichen vielfach herumziehenden Zigeunern: Zerlumpt, zerrissen und ungewaschen, betteln sie jeden an. Der sonntägliche Gottesdienst wird den Damen, wie ich mir erzählen ließ, durch die eigentümliche, kaum als Wohlgeruch zu bezeichnende Ausdünstung des schmierigen Volkes (trotz des vielen Wassers!) sehr verleidet. Nirgends noch in Italien habe ich so ausgehungerte Katzen gesehen, wie in Grado, wie zum Wegblasen — wahre Scheusälchen, abgemagerte Teuselchen. Nach dem Italienischen ist das Deutsche unter den Kur ­ gästen vorherrschend. Viel wird auch ungarisch gesprochen. Die slawischen Idiome treten mehr zurück. An Unterhaltungen fehlt es nicht. Um die Mittags ­ stunde spielt ab und zu die gute Kurmusik. Ein großer Lawn-Tennisplatz gibt den Pflegern dieses schönen Sportes reichlich Gelegenheit, ihre Geschialichkeit zu erproben. Doch muß es bei der großen Hitze nur ein mäßiges Vergnügen sein. Ab und zu wird ein Serenata auf dem Wasser ab ­ gehalten mit bengalischer Beleuchtung, Feuerwerk und Musik. Sehr anregend ist eine Bootfahrt am frühen Morgen ins Meer hinaus. Ich nahm, weil das billiger war, ein Boot mit zwei Schiffern, das nur für die Lagunen gebraucht wird, und hätte es bei der starken See beinahe bereut. Wir wurden recht unsanft herumgeschüttelt und herumgerüttelt. Hoch hob sich der Bug, die Wellen spritzten ab und zu recht

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