Linzer Tages-Post vom 30. Juli 1905

boote draußen über die blaue Flut dahinziehen. Das Gleiten der Wellen über den sandigen Strand klingt wie das ge ­ dämpfte Rauschen eines Bergbaches. Am Strande zieht sich ein großes Zeltlager für die Badenden hin. Jetzt werden schon 300 Zelte aufgeschlagen gegen 200 im Vorjahre. Ein einzelnes Bad kostet 50 K. Ein Privatzelt kommt auf 36 bis 40 L zu stehen. Das Seebad ist mächtig im Aufschwünge begriffen. Die flache Küste — man kann wohl 300 Schritte weit ins Meer hinauswaten — macht das Bad insbesondere für Kinder und Nichtschwimmer recht geeignet. In der Früh ist der Strand verödet, als ob ein Heer mit Zurücklassung eines Zeltlagers abgezogen wäre. Um 9 Uhr beiläufig beginnt sich's zu regen: zwischen 10 und 11 Uhr erreicht die Badc- tätigkeit den Höhepunkt. Die Zelte bestehen aus Leinwand, die um vier hölzerne Pflöcke gespannt wird, oben mit einer ebensolchen Decke gegen die Sonnenstrahlen. Am ersten Tage, bevor ich mich an das Treiben gewöhnt hatte, bekam ich den Eindruck, daß eine große Zir ­ kusbande aus dem Somali ­ lande sich hier gelagert hätte. Jung und alt wälzt sich im Sande oder stapft durch das Wasser. Die Frauen meist in tadellosem Badekostüme, das nur Hals, Hände und Füße von den Knien ab frei läßt. Die Männer find in der Regel nur in Schwimmhosen. Wilde kupferbraune Gestalten mit wallender Feder auf dem eigenartigen Kopsputze waten wie Indianerhäuptlinge durch die Flut ; ein magerer Hidalgo mit Flamingobeinen, der ge ­ radeswegs von des Tajos Ufern gekommen zu sein schien, stolziert einher. Amateure mit Photographen - Apparaten stapfen im Wasser herum, um die Leute hinterlistig aufzu- nehmen. Aeltere Herren von gelehrtem Aussehen können selbst im Wasser das Buch und die Zeitung nicht missen. Viele tragen Sonnenschirme. Ganze Familien liegen im Sande vergraben und lassen die Milch- oder Weinflasche herumkreisen. Ein Spazier- gang den Zelten entlang ist erheiternd: die einen liegen im Sande, die anderen plau ­ dern, lesen, schreiben, flirten: alles im Badekostüm. Ein Geschwirr von Kinderstimmen klingt an unser Ohr. Das junge Bölklein plätschert mit Vergnügen im Wasser herum ; viele Spiele werden getrieben: Ringelreihen usw. Die Heil ­ kraft des Licht-, Sand- und Wasserbades ist namentlich an den Kindern zu sehen. Bei stark bewegter See ist das Baden sehr interessant; man muß förmlich achtgeben, daß man von den Wellen nicht umgeworfen wird. Sich zur rechten Zeit in die Höhe zu schnellen, um dem Anpralle der Wogen- kämme auszuweichen, erfordert schon einige Uebung. Das Bad und die Luft sind ungemein einschläfernd. Man wird gleich am ersten Tage von einer ganz unglaublichen Faulheit ergriffen. Eine Menge gute Gasthäuser helfen dem Hunger und Durste ab. Recht angenehm fitzt es sich selbst um die Mittagszeit auf der länglichen, weit in das Meer hinaus sich erstreckenden Terrasse des Stabilimento. Hunderte von Köpfen sieht man von hier aus dem Wasser auftauchen. -1 vie neuen vonsu-Monitore in Linr. »,» m-i- rim Besonders erfrischend umfächelt einen abends da die kühle Brise. — Die Färbung des Meeres ist jeden Tag und zu jeder Stunde anders und bietet die schönsten Wirkungen. Es schillert in allen Abtönungen von Blau, Grün und Grau. Am Morgen schimmert es in wunderbarer Bläue vom Lust ­ hauche leicht gekräuselt. Gegen die Sonnenseite zu glitzert das Wasser silberhell. Bei Nordostwind ist das Meer gegen Westen hellgrün, gegen Osten dunkelblau, der Himmel im Westen dunkelblau, im Osten hellblau: Eine ganz großartige Gesamtfarbenwirkung. Wenn die Bora weht, erscheinen die Gebirgszüge sehr rein. Oft erscheint die weite, grüne Wasserfläche am Horizonte durch einen blauen, dunklen Streifen begrenzt. Bei dem Sonnenuntergange glüht das Meer in purpurner Glut. Ein großartiges Schauspiel bieten die Blitze, die bei einem Gewitter über das Meer hin zucken. Bisweilen ist es weithin fahl beleuchtet. Wenn bei starkem ? Ver alte 6emeinaeratssaat m Lmr. daher ein neuer gemelnderstssasl, in dem such für luhörer eine Valerie hergestellt wurde, geschaffen werden muffte. M der hauptwsnd, die sm kiide ersichtlich ist, war ein groffes ksiserbiid angebracht, vor diesem hatte der Bürgermeister seinen Sitz; links befand sich das Tischchen, wo der Schriftführer ssff, rechts, im traulichen Lrker, hatten die Leitungsberichterstatter ihren Platz. Näheres über diesen Saal ist enthaften in Nummer 171 der „vages-post" vom Sreltag den 28. Juli 1905. Winde sich das Meer mit Schaumkämmen bedeckt, scheinen Schneeflocken über die weite Wasserfläche hin zu treiben. Die Schneeflocken werden immer größer, sie werden zu Schneeflecken. Man glaubt in eine Winterlandschaft hinaus zu schauen. Die Schönheit von Hamerlings Meeresschilde ­ rungen ist mir erst in Grado so recht klar geworden. Inter ­ essant sind die sogenannten Blinkfeuer an der istrischen Küste. Wenn man ins Dunkel der Nacht hinausstarrt, glüht Plötzlich in weiter Ferne ein Licht auf, um rasch wieder zu ver ­ glimmen. Diese Blinkfeuer dienen zur Sicherung der Schiff ­ fahrt. Eine merkwürdige Erscheinung ist das Meerleuchten zur Neumondszeit. Schaum ­ kämme, die sonst in der Nacht nicht zu sehen sind, leuchten in langer Lime. (Fortsetzung folgt.) für 10.000 vollar AM. SelektivröeschiHle von wild. Neter iMSlNÄ. Mein letzter Auftrag war wieder einmal mit Glück er ­ ledigt und ich hatte nichts zu tun. Also bummelte ich im Schalterraum der Staatsbank herum und sah mir die Men ­ schen an. Denn in einem großen Bankhaus passiert immer was. Richtig, da kam auch schon der hochachtbare Notar Mister Reuten und bei ihm war, oder vielmehr er schleppte mit sich einen Mann — das reinste Jammerbild! Das Haar hing ihm ins bleiche Gesicht, Tränen liefen ihm über die bärtigen Wangen und in den zitternden Händen hielt er mit ängstlicher Sorgfalt ein Kästchen. — Der Notar sprach eifrig auf den Kassier ein und ich drängte mich — natürlich möglichst unauffällig — hinzu. Das war ja eine ganz schreckliche Geschichte! Der Notar hatte seinen erprobten Schreiber fortgeschickt mit zehntausend Dollar in Scheinen, die er bei der Staats ­ bank einzahlen sollte. Der Schreiber war aber erst noch einmal nach Haus gegangen, um nach seiner Frau zu sehen, weil die Aermste gerade heute in eine Irrenanstalt gebracht werden sollte. Und da war das Unglück geschehen. Der Schreiber, dem sein Prinzipal, der Notar, das glänzendste Zeugnis ausstellte, hatte das Päckchen mit den Scheinen auf den Tisch gelegt, und wie es kam, konnte man sich nicht erklären: kurz und gut, auf einmal hatte die Irre die Scheine erwischt und ins Feuer geworfen. Kaum, daß es noch gelang, die verkohlten Blätter zu retten, die jetzt der Bank gebracht wurden. — Der Notar, das muß man ihm lassen, legte sich für seinen Schreiber mächtig ins Zeug, und der Direktor, der gut mit ihm bekannt und auf seinen Wunsch herbeigeholt worden war, versprach denn auch, die Aschenreste sofort im Labora ­ torium prüfen zu lassen und sein möglichstes in der Sache zu tun. Glücklicherweise waren ja auch die Nummern der Scheine beim Notar vorher ausgeschrieben worden. Der ganz in Schluchzen aufgelöste Schreiber reichte dem Direktor das inhaltsreiche Kästchen und — da durchzuckte es mich, als wäre mir ein elektrischer Strahl über den Rücken gefahren. Dieser Daumen! Diesen glatten, abgestumpften Dau ­ men, an dem das oberste halbe Glied fehlte, den kannte ich. Ich dachte gar nicht daran, das Gesicht des Menschen zu studieren, denn das läßt sich anstellen. Aber der Daumen, da war nichts dran zu machen. Und richtig, jetzt wußte ichs wieder! --------- „Also, Herr Notar! Das sind die Nummern der ver ­ brannten Scheine? Na, ich danke bestens. Aber das inter ­ essiert mich eigentlich weniger. Ich möchte lieber wissen, in welche Irrenanstalt die arme Frau Ihres Schreibers ge ­ bracht werden soll." „In die öffentliche Anstalt nach Grealfield. Es sind halt arme Leute." Ich nickte gerührt. „Und Wer bringt die Frau fort?" „Mein Schreiber selbst. Er hat sich dafür einige Tage Urlaub geben lassen. Natürlich will er jetzt erst die Ent ­ scheidung der Bank abwarten und der Direktor hat mir darum auch noch für heute Erledigung zugesagt." Da kam sie schon selbst: Ein vertraulicher Privatbrief des Direktors, wonach schon die oberflächliche Untersuchung gezeigt hätte, daß die Asche tatsächlich von den verbrannten Scheinen herrührte. Nach Erledigung einiger notwendigen Formalitäten stände der Rückerstattung nichts mehr im Wege. Der gute Noiar glänzte vor Freude! Ja, ja, die Pro ­ tektion. Was sonst Monate gedauert hätte — mit ein bißchen Freundschaft wurde es in ebensoviel Stunden erledigt! Natürlich wollte der Notar den Aermsten nicht länger warten lassen. Er rief ihn herein und der Schreiber kam schon fix und fertig zur Reise angezogen. Nein, wie der sich freute und sich in Danksagungen überschwenglich erging. Es tat mir wirklich leid, diese reizende Idylle stören zu müssen. Aber mir blieb nichts weiter übrig. So legte ich ihm denn mit raschem Griff Handschellen an und lachte: „Fred Paulso», Sie sind verhaftet!" Auf meinen Signalpfiff kam sofort der bestellte Kriminal ­ schutzmann herauf. „Hatte das Frauenzimmer-die Scheine?" fragte ich. „Nein," erwiderte er und begann sofort kunstgerecht den Schreiber, der sich übrigens vollkommen ruhig in sein Schicksal ergab, zu untersuchen. Nach einer halben Minute hielt er richtig das Paket in der Hand und legte es vor den Notar auf den Tisch. „Aber sie sind doch verbrannt," stammelte der ganz verwirrt. „Was haben Sie denn mit meinem Schreiber?" Ich entgegnete mit der mir eigenen Höflichkeit. „Ihr Schreiber ist Fred Paulson, einer der berüchtigtsten Banknotenfälscher in Amerika. In seinen Kreisen heißt er der »Klumpdaumen«. Und an dem Daumen habe ich ihn auch erkannt. Was aber die verbrannten Scheine anbetrifft, so waren sie — ein neuer Gaunertrick — natürlich ebenso falsch, wie der Irrsinn seiner Geliebten, die wir ebenfalls schon verhaftet haben. „Aber die Prüfung der Asche im Laboratorium ... ?" Da lachte der Halunke mit Galgenhumor: „O, Herr Notar, die war ja nur — eine oberflächliche, dank Ihrer Protektion." — Für die Redaktion verantwortlich: Artur Ziedek.

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