Linzer Tages-Post vom 1. Jänner 1905

^7r. 1 * Jahrgang ^05. Sonntag, s. Jänner. Unterhaltungsbeilage — - Nachdruck sämtlicher Artikel verboten. dir Linker Tages-Post. Die Stiftskirche zu Garsten. Von Joses Harter. E^ahe der alten Eisenstadt Steyr, in einer lachenden Talmulde, umgeben von bewaldeten Anhöhen, am linken User der Enns, erhebt sich ein Monumentalbau ver ­ rauschter Barockkunst: das einstige Benediktinerstift Garsten. Malerisch anzusehen von allen Seiten, erhaben durch die gewaltige Hauptsassade, erhebt sich inmitten des ersten Hofes die prächtige Stiftskirche, die heute als Pfarrkirche dient. Gleich beim Betreten des reich geschmückten Hauptportales wird der Beschauer durch den tiefen Ernst, der imponierenden Gesamtwirkung und den mit verschwenderischer Pracht er ­ füllten Raum an den melancholischen Gedanken gebannt, daß selbe bessere Zeiten gesehen und so manche feierliche Vesper gehört habe. Wie alles Irdische dem Blühen, Reifen und Verwelken und selbst die Kunst dem Werden und Vergehen unterworfen ist, entging auch die Stiftskirche ihrem Schicksal nicht.- Sie sah die höchste Blüte sprießen, die größte Pracht entfalten, aber auch Kirchenspaltungen und klösterliche Strei ­ tigkeiten haben um sie und in ihr getobt und gaben die Ver ­ anlassung dazu, daß 1787 das Kloster aufgehoben und seine Kunstschätze zerstreut wurden, wobei die schöne Bibliothek nach Linz und Gleink kam, die Orgel in die Borstadtpfarrkirche zu Steyr übertragen und das wertvolle Chorgestühl des Winter ­ chores im alten Dome zu Linz aufgestellt wurde. Der Zahn der Zeit hat seine Spuren an diesem wundervollen Barockbau zurückgelassen und so manche Restaurierung wäre dringend nötig, um die Kirche in unveränderter Schönheit der Nach ­ welt überliefern zu können. Innig verknüpf! in der Geschichte der Gründung, Um ­ gestaltung und Schicksalen ist selbe mit dem Kloster, doch sei nur d->r Prachtbau der einstigen Stiftskirche erwähnt, die gewiß in den goldenen Tagen des Stiftes der wertvollste und der allgemeinen Bewunderung zugängliche Teil des Klosters war. Als der heilige Benediktus von Nursia 528 in der Erz ­ abtei von Monte Casino seine Ordensregel verkündete und zahlreichen Anhang unter feinen Mitbrüdern fand, die treu gelobten, nach den strengen Satzungen seiner Klausur zu leben, kamen Mönche aus dem sonnigen Süden in die dunklen Wildnissen diesseits der Alpen, um das Licht der Wahrheit zu verbreiten. Als eine der ersten Benediktiner ­ niederlassung kann das Kloster St. Blasien im Schwarz ­ walde bezeichnet werden, woher Markgraf Ottokar I. von Steyr für das von ihm 1060 gegründete Stift Garsten die ersten Ordensleute berief, die um das Jahr 1107 (nach vie Stiftskirche ru Karsten: Inneres unä Hochaltar. anderen Chronisten 1110) selbes bezogen. Bertold I. wird als erster Abt genannt, der mehr als zweiunddreißig Jahre segensprießend für diese junge Kulturstätte wirkte und im Rufe der Heiligkeit starb. Sein Leben ist legendarisch mit zahllosen Wundern ausgeschmückt worden; so erzählt selbe von Fischvermehrung, Verwandlung von Wasser in Wein, ver ­ schiedenen Heilungen, und unter anderm soll sein Leichnam von Engeln zu Grabe getragen wor ­ den sein. An der Epistelseite in einer Nische befindet sich sein Grab. Der Heilige liegt auf einer Marmorbahre mit den äbtlichen Jnsignien, jedoch ohne Mitra bekleidet, da; eine rote Marmortafel mit folgender Inschrift besagt die Ruhestätte des großen Wundertäters von Garsten: „Hie Ruhet Der Heillige Bertholdus Erster Abbt Zu Gärsten, ein Befreundter Der Alten Fürsten vnd Marg- grasen Zu Oessterreich Dessen Heilligkheil Gott mit Villen Wunder Zaichen Erklährt vnd Under andern Seinen Leich­ namb Durch Die Engl zür Begrebnus Hat Thragen lassen a 1142." Von der ersten in romani ­ schem Stile erbauten Stifts ­ kirche ist der Nachwelt nicht einmal ein. Fragment der da ­ maligen Kunst überliefert. Ob dieser eine Jmerimskirche folgte, ist unbekannt; ein Chronist er ­ zählt uns nur, daß 1677 die alte Stiftskirche abgetragen wurde, ob dies wegen Bausälligkeit oder um den neuen Prachtbau aufzuführen geschah, läßt sich nicht ersehen. Vom Abbrüche bis zur Vollendung der Stiftskirche wurden die kirchlichen Funktionen gemeinsam mit den pfarrlichen in der unter Abt Bertold VI. 1464 in gotischer Bauart vollendeten Pfarrkirche gehalten, die sich neben der Stiftskirche, hart am Ufer der Enns, befand und 1792 niedergerissen wurde. In der großen Zeit des Barocco, die aus dem Menschen ­ geiste die gewaltigsten Ideen reiste, in Architektur, Plastik und Malerei sich nicht mehr mit dem Alltäglichen befaßte, sondern weit über die Grenzen des Zugänglichen hinaus griff, große, mit Licht durchflutete Räume konstruierte, Gesimse und Säulen nach seinem Ge ­ schmacke und seiner Willkür bog und drehte, und das Prinzip der Schwere aufzuheben schien, da schuf der große Bildhauer der barocken Plastik, Lorenzo Bernini, seine schwebenden Marmorgestalten zu St. Maria della Vittoria zu Rom und begeisterte mit diesem Freien, Kolossalen und Bizarren nicht nur den kunstverständigen Südländer, sondern rief auch sonst überall die höchste Bewunderung hervor. Auf den Adel und Klerus schien diese pompöse Bauart den nachhaltigsten Eindruck ausgeübt zu haben, indem ersterer seine düsteren Burgen, dieser seine dumpfen Klosterräume zu Palästen und Hallen umgestalten ließ. Als Kremsmünster, Schliersee und andere österreichische Slifte ihre Kirchen barockisieren ließen, erweckte dies auch in dem Abte Roman I. von Garsten die Baulust und sein Ehrgeiz spornte ihn an, seinen Nachbarklöstern in dem glanzvollen Werke des Barocco nicht nachstehen zu dürfen. Im Jahre 1677 begann er mit dem Bau, der nach den Plänen Giovanni Baltisch Cartone ausgeführt wurde. Der Nachfolger Romans, der kunstsinnige Abt Anselm I., der bedeutende Künstler, wie Carlo Antonio Carlone, Antonio Galliardi, Michael Christoph Gräminger, die Gebrüder Grabenperger und Johannes Petrus de Busfier, sowie die Maler Steindorfer und Reselfeld zur weiteren Ausschmückung berief, vollendete 1693 den Prachtbau. Die späteren Neble suchten die großen Ideen Anselms I. plangemäß sowohl zur Verschönerung der Kirche, sowie den Aus ­ bau des Stiftes zu verwirklichen, um selbem die abgeschlossene Gestalt eines Viereckes zu geben, so daß die Stiftskirche das Zentrum bilden sollte, was leider infolge mißlicher Umstände nicht zustande kam. Maurus Gordon war der letzte Abt, der diese stolzen Hallen mit seinem prunkvollen Gefolge durchschritt, und als 1786 sein Auge brach, erloschen mit ihm Pracht und Glanz des Klosters und das stolze Stift sank für immer ­ währende Zeiten ins Grab. Im nahen Garten, einsam und verlassen, vom Efeu umrankt, bezeichnet eine schlichte in die Mauer eingelassene Grabplatte mit der Inschrift: „Hier ruht Maurus Gordon, der letzte Abt von Garsten, der erste Vie Stiftskirche ru Karsten: Sommersakristci. unter dieser Erde", die Ruhestätte des 54. und letzten Abtes von Garsten. Nicht nur das Interieur sollte dem beschauenden Auge die gewaltigsten Eindrücke einflößen, sondern auch die von zwei mächtigen Türmen flankierte Hauptsassade verleiht durch ihre ruhigen Flächen, athletischen Mastern und Architraven, den reichumrahmten Fenster- und Staturnischen dem Ganzen das Aussehen eines glanzvollen Barockbaues. Am Haupt- portale steht eine sehr bewegte Statue, Benediktus von Nursia, zu beiden Seiten knien aus Voluten Engel mit den äbtlichen Jnsignien, während im zweiten Geschosse nach dem Systeme Palladios die überlebensgroßen Standbilder Leopolds des Heiligen und seiner Gemahlin Agnes aufgestellt sind, am Giebel thront eine Kolossalfigur Mariens. Gewölbe, Bögen, Architrave und Fensterfüllungen des Innern sind mit schweren Fruchtgehängen, Kränzen und Ornamenten, sowie Rankenwerk, Kartuschen, Muscheln, alle ­ gorischen Gestalten, Engeln und Pullen in Stukko durch Carlo Antonio Carlone reich dekoriert worden, die dem Ganzen Leben und Bewegung, wie auch heitere und frohe Feststimmung verleiht, an dem sich der Beschauer nicht satt sehen kann. Oben im Gewölbe des Presbyteriums sind zwei quadratische Deckengemälde angebracht, den Sieg der heiligen Eucharistie über die heidnischen Opfer, das andere den Triumph derselben über die Häresie darstellend, letzteres mahnt an Rubens gleichbenanntes Werk im Prado zu Madrid. — Die Fresko-Deckengemälde im Schiffe stellen Episoden aus dem Alten Testamente vor, Esthers Bitte vor König AhasveruS zu Susa, Judith übergibt ihrer Magd das Haupt Holofernus, Salomon cmpiängt die Weise Königin von Saba und Jepbtes Schmerz bei seiner Rückkehr zu Maipha. Die zu beiden Seiten entstehenden Zwickelselder bergen die zwölf Apostel. Die Deckengemälde in den Ora ­ torien bilden einen Zyklus aus dem Leben Mariens, während jene in den sechs Seitenkapellen die Leidensgeschichte des Herrn erzählen. Carlo Carlone schuf im Vereine mit dem Benediktiner- Frater Marion Rittinger den Hochaltar und die Kanzel. Der aus schwarzpoliertem Holze verferligte und mit schweren, vergoldeten Ornamenten reich gezierte Hochaltar ist im Kunst- werte und in Stilgerechtigkeit vollkommen harmonierend mit den Stukkoarbeiten. Er besitzt als Altarbild die Aufnahme Mariens in den Himmel, wahrend im Rundbilde die Drei ­ einigkeit ihre Ankunft erwartet und Christus seiner Mutter entgegeneilt; beide wurden von Franz de Neve aus Ant ­ werpen gemalt, der gewiß unter dem Einflüsse von Rubens stand. Zwischen den mit Rankenwerk und Pulten zierlich dekorierten, gedrehten Säulen stehen die gigantischen Statuen Petrus und Paulus, Benediktus und Bertoldus, auf dem

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