Ausstellungsorte 483 Selbst dem erfahrenen Gewerbe-Inspector Vittorelli nötigte die Forschheit der Trattenbacher Hochachtung ab: „Die eigentlichen Absatzgebiete sind Ungarn, Galizien, Rumänien,Russland und dieTürkei;auch werden Partien nach Hamburg, Marseille und Lissabon versendet. Einer der Unternehmendsten dieser Messerer hat es mit Mustersendungen nach Algier und Marokko, nach Alexandrien und Kairo, nach China und Japan,Cuba und sogar nach Melbourne und Sidney versucht und manchen hierauf erfolgten grösseren Auftrag directe ausgeführt." Die ersten Taschenfeitel waren gemeinsam mit Maultrommeln bei Stanleys letzter Expedition als Geschenke und Tauschartikel für die Eingeborenenstämme nach Afrika gelangt,wie Ludwig Hinterschweiger berichtet. Bald darauf breitete sich der Export u. a. nach den Kolonien in Afrika und Asien rasant aus,so daß Trattenbach bis zum Ersten Weltkrieg seine letzte große Blütezeit erlebte. In der Mitte der zwanziger Jahre allerdings ging die Nachfrage nach Trattenbacher Taschenfeiteln abrupt zurück. Wurden 1924 noch 303 Tonnen Taschenmesser von Österreich in alle Welt verschickt(das sind mehr als 10 Millionen Stück),waren es ein Jahr später schon nicht einmal mehr die Hälfte:133Tonnen. In Rumänien und derTürkei waren Konkurrenzunternehmen entstanden, die den Preis enorm herabdrückten. Und zum ersten Mal in ihrer Geschichte beugten sich die Trattenbacher dem Diktat ihrer Wettbewerbsgegner: Sie produzierten den „Exportfeitel", von der Form her ein „Franzos", nur etwas größer,in der Regel rot gefärbt und mit einer Klinge versehen, die nicht einmal mehr gehärtet wurde. Noch heute schütteln einige alte Tratten bacher den Kopf über die Einführung solcher „Schleuderwar". Das Abgehen von ihrer jahrhundertelang berühmten und verteidigten Qualitätsarbeit kam die Trattenbacher teuer zu stehen. Der Vertreter für Taschenfeitel in Indonesien,John Oppenheim,schreibt im Dezember 1930 dazu an die Trattenbacher: „Was nun die Ordres auf Taschenfeitel anbelangt, so dürfte Ihnen doch bekannt sein, daß die Geschäftslage auf allen überseeischen Märkten noch stets sehr miserabel ist, was in Hauptsache darauf zurückzuführen sein dürfte, dass die Preise von Gummi,Zucker, Kaffee usw. kolossal gefallen sind, wodurch die Einge borenen nur wenig Geld in Händen bekommen und sich infolgedessen nur das Höchstnotwendige neu beschaffen. Nun kommt bei Taschenfeitel noch hinzu, daß im Laufe der Jahre die Kultur in Niederländ. Indien so weit fortgeschritten ist, dass die Eingeborenen allmählich grössere Lebensansprüche stellen und daher lieber ein billiges Solinger Kasten messer kaufen als die ganz ordinären Taschenfeitel." Im selben Jahr sank die Exportquote unter 100 Tonnen,zwei Jahre später auf67 Tonnen. Nur mehrfür 11 Werkstätten im Tal gab es notdürftig Arbeit. Als dann einer der Messerer gar einen Betrieb in Polen übernahm und von dort aus seine ehemaligen Innungsgenossen mit Billigstpreisen unterbot, war das Schicksal Trattenbachs endgültig besiegelt. Der Weltwirtschaftskrise hatten die Trattenbacher ihren ersten Erfolgsfaktor geopfert: ihre Qualitätsarbeit. Danach fiel auch rasch der zweite: ihre Zusam mengehörigkeit. Der dritte Faktor,die Familienarbeit,wurde damit rasch von selbst obsolet. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellten noch sechs Werkstätten Taschen feitel her, und seit etwa 20 Jahren existiert nur mehr ein Feitelfabrikant, die Familie Löschenkohl. Im Tal der Feitelmacher wurde es ruhig. Erich Gruber an der Ringerlmaschine, ca. ipßo
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