482 Ausstellungsorte Umstände zu Hilfe: die Gewerbefreiheit und das Ende der Reichraminger Schar sachproduktion. Mit der Gewerberechtsnovelle wurden die maroden Zunft strukturen abgeschafft,jedoch die Möglichkeit eröffnet,freie Genossenschaften zu gründen. Das taten die Trattenbacher. 1867 gründeten sie eine Gewerbe-Genos senschaft mit Unterstützungsverein. Diese nannten sie wie seit jeher gewohnt „Scharsacher-Innung", versprachen in ihren Statuten etwas mehr Liberalität gegenüber Lehrjungen und Gehilfen, verblieben ansonsten jedoch bei ihrem Denken in zünftischen Traditionen - vor allem, was die Beschränkung auf ihren engen Kreis betraf. Als das Reichraminger Hammerwerk aufhörte,Scharsach herzustellen,gerieten die Trattenbacher unter weiteren Innovationsdruck. Wenn schon der Scharsachstahl, der nur heiß und mit dem Fausthammer zu Feitelklingen verarbeitet wurde, nicht mehr problemlos lieferbar war,konnte man ja auf mechanische Schmiedeverfahren umrüsten, bei denen der neue kaltschmiedbare Bessemerstahl verwendet und größere Stückzahlen billiger produziert werden konnten. Und so gingen die Trattenbacher im letzten Drittel des vorigen jahrhunderts daran, ihre Betriebe zu modernisieren. Ringsherum schössen Industriebetriebe in die Höhe, moderne Technik,Maschinen,Motoren eroberten die Produktion. Und in Trattenbach hängte man an die von Wasserrädern angetriebenen Transmissionen selbstgebaute Schwanzhämmer an,wie sie seit dem Mittelalter in der Region bekannt waren.Was aufden ersten Blick als törichte Rückständigkeit erscheint,war in Wirklichkeit sehr klug. Gekoppelt an den verbissenen Widerstand der Trattenbacher gegen das Verlagswesen, blieben alle Werkstätten beim Manufaktursystem;es schwang sich kein Meister zum Fabriksherrn empor; man hielt mit der neuen Zeit dennoch Schritt, produzierte jährlich immerhin 7-8 Millionen Taschenfeitel, und alle Messererfamilien überlebten das große Werkstättensterben am Ende des vorigen jahrhunderts. just zu diesem Zeitpunkt erfolgte Gewerbe-Inspector Vittorellis Ausflug nach Trattenbach, und er konstituierte vor allem die „inneren Verhältnisse dieser Indu striegemeinde (als) besonders wohlthuend: Ein strammes Zusammenhalten aller Mitglieder derselben wird zur Wohlfahrt Aller. Keiner concurrirt mit seiner Ware nach dem Absatzgebiete des Anderen; jeder beherrscht sein eigenes Gebiet und hat seine bestimmten Abnehmer. Keine Spur von Abhängigkeit gegenüber dem Kaufmanne; die Geschäfte werden glatt und gegen Bargeld abgewickelt. (...) Der Gemeinsinn dieser Genossenschaft äussert sich auch darin, dass, wenn einer der Meister zufällig weniger Arbeit hat, und ein anderer mehr als gewöhnlich, der letztere dem ersteren einen Theil seiner Bestellungen überträgt." III. Mit ihren selbstgebauten Wasserrädern, Transmissionen, Schwanzhämmern und all den anderen selbstkonstruierten „Maschinen", mit denen sie sich die vielen Arbeitsschritte bei der Feitelherstellung erleichterten, mit ihrem Gemeinsinn und ihrem Produktstolz fühlten sich nun die Trattenbacher gerüstet, den Weltmarkt zu erobern.
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