402 Ausstellungsorte Europas, die nicht nur Waren und Güter in die Stadt gebracht hatten,sondern vor allem auch Ideen, wurden unterbrochen. Der Sieg der Gegenreformation machte Steyr für Jahrhunderte zu einem verschlafenen Provinznest. Neue Industrialisierung: Die Rolle der Steyrer Waffenfabrik i Foto-Tableau des Steyrer Arbeitersängerbundes „Stahlklang", um 1888. Privatbesitz, Steyr Erst Mitte des 19. Jahrhunderts begann mit der Etablierung und Ausdehnung der Steyrer Waffenfabrik ein neuer Aufschwung des Standorts. Das Leitmotiv dieses Abschnitts bildet Analyse und Darstellung des Phänomens Josef Werndl. Es wird der Versuch unternommen, sich dem Phänomen Werndl auf verschiedene Art zu nähern. Dabei gilt es,sich vor allem mit folgenden Einschätzungen auseinander zusetzen: Werndl als Schumpeterscher „Unternehmer neuen Typs",als „Vater der Arbeiter" und als „kapitalistischer Ausbeuter". Während die erste Zuschreibung eher wertneutral auf die Funktion des innovativen Unternehmers abstellt, umfassen die Stereotype „Vater der Arbeiter" bzw. „kapitalistischer Ausbeuter" soziale Chiffren für unternehmerischen Paternalismus und Gesellschaftsbild der (sozialdemokratischen) Arbeiterbewegung. Die Dokumentation des wirtschaftlichen Aufschwungs von Steyr durch die Expansion der Waffenfabrik umfaßt zwei Stränge, die einander bedingen und duchdringen: zum ersten die Herausbildung der Monopolstellung der Waffen produktion im Rahmen des Werndlschen Unternehmens,die für das Schicksal von Steyr mehr als ein Jahrhundert lang bestimmend werden sollte. Das Leitmotiv der Darstellung der Waffenproduktion ist nicht der klinisch reine, technische Fortschritt; die Auseinandersetzung mit diesem Bereich erfolgt unter dem Blickwinkel des Verwendungszwecks der Produkte, dem Krieg mit den direkten Folgewirkungen für den „Faktor Mensch". Durch die Irritation, die durch das Zusammendenken von sauberem Fortschritt und schmutzigem Kriegshandwerk entsteht, soll die Faszination der Waffentechnik (die sich bei einer linearen Darstellung beinahe zwangsläufig einstellt) gebrochen werden. Den anderen Strang bildet die Entwicklung des„Faktors Arbeit": das Anwachsen der Arbeiterschaft,die Herausbildung ihrer Organisationen und ihrer spezifischen Lebenswelten. Charakteristisch für Steyr sind die starke Zuwanderung nicht deutschsprachiger Arbeiter,vor allem aus Böhmen,und die daraus entstehenden Konflikte mit der eingesessenen Bevölkerung,aber auch innerhalb der Arbeiter schaft. Die Organisierung der Gewerkschaftsbewegung und der Sozialdemokratischen Partei erfolgte relativ spät,auch deswegen, weil die Behörden hier, aufgrund der großen Konzentration von Arbeitern, mißtrauischer agierten und alle dementsprechenden Aktivitäten zu durchkreuzen versuchten. Aus diesem Grund über nahm der „unpolitische" Arbeitersängerbund „Stahlklang" in Phasen der Repres sion die Aufgaben der Parteiorganisation. Der Aufstieg der Waffenfabrik bedingte die Entstehung einer qualifizierten, selbstbewußten Arbeiterschaft, die ihren Lokalstolz deutlich zeigte. Auch innerhalb der österreichischen Sozialdemokratie besaßen die Steyrer immer ein besonderes Gewicht: respektvoll nannte man ihre Organisation die „Steyrer Republik".
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