Politik und Alltag der Eisenwurzen 255 Zur Bedeutung des Bauernstandes für die Volkskultur der Eisenwurzen Nicht nur die Handwerker der oberösterreichischen Eisenwurzen prägten die regionale Volkskultur. Auch die Bauern, die mit den Handwerkern durch deren Versorgung mit Proviant und durch die Übernahme bestimmter Transport leistungen wirtschaftlich eng verbunden waren,fungierten als bedeutende Träger der Volkskultur in der oberösterreichischen Eisenwurzen. Ihr Einfluß auf diese Volkskultur kommt zunächst in der Verbreitung des immateriellen Kulturgutes zum Ausdruck. Diese Verbreitung ist ein Ergebnis der bäuerlichen Lebensweise und des bäuerlichen Jahresablaufes, die - stets dem Rhythmus der Natur folgend - in ihren Grundzügen seit vielen Jahrhunderten unverändert geblieben sind; damit kam es zum Beispiel zu einer Weitergabe des regionaltypischen bäuerlichen Brauchtums über viele Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte, kontinuierlich von einer Generation zur anderen. Der Einfluß der Bauern auf die regionale Volkskultur manifestiert sich aber auch in den Besonderheiten des von ihnen hervorgebrachten materiellen bäuerlichen Kulturgutes. Besonderheiten,die-wie in anderen Regionen auch- meist in einer bestimmten, regionaltypischen Färb- oder Formenwahl zum Ausdruck gebracht werden und aufgrund der Vielfalt an bäuerlichem Hausrat, an Bewirtschaftungs geräten, aber auch an bäuerlichem Kunsthandwerk natürlich in entsprechender Bandbreite vorkommen. Stellvertretend für diese zahlreichen kulturellen Äußerungen, mit denen die Bauern die Volkskultur in der oberösterreichischen Eisenwurzen geprägt haben, darf daher an dieser Stelle nur eine näher dokumentiert werden, die allerdings Österreich- und europaweit wohl einzigartig ist: der sogenannte „Sierninger Rudenkirtag". Bei dieser nach der Teilnehmerzahl größten regelmäßigen Brauchtumsveran staltung der oberösterreichichen Eisenwurzen handelt es sich um dasZusammen treffen zahlreicher Landlertanzgruppen (sogenannter Rüden)aus ganz Oberöster reich und dem benachbarten Niederösterreich in Sierning. Die Rüden treffen sich jeweils am Faschingsdienstag eines jeden Jahres,wobei der Höhepunkt des Treffens-neben einem Gedenkgottesdienstfür verstorbene Kame raden und einem Kirtag-das sogenannte „Gstanzlsingen" ist. Die einzelnen Rüden treten dazu jeweils wechselweise für einen Halbtag im Pfarr heim oder im Gasthof Forsthof auf und tanzen zu den von ihnen dargebotenen „Gstanzln" den typischen Traunviertler Landler. Die volkskulturelle Bedeutung dieser bäuerlichen Brauchtumsveranstaltung liegt neben dem Landlertanz auch darin, daß in den Strophen der Gstanzln - dem Faschingsdienstag entsprechend - Mißgeschicke oder Verfehlungen von bekannten Persönlichkeiten des Ortes oder der Region auf lustige Weise rezitiert werden. Dies führt natürlich zunächst zu einer Belustigung des zahlreich erschienenen Publikums, weil - unter Berufung auf die am Faschingsdienstag geltende Narrenfreiheit - nun „geheimes Wissen" über Personen preisgegeben wird, das sonst eher tabuisiert wird. Analog dazu wächst aber mit dem Absingen der „Gstanzln" auch die Identifikation mit diesen berühmten Persönlichkeiten, weil durch das Preisgeben ihrer Mißgeschicke bzw.ihrer menschlichen Schwächen „Gstanzlsänger"am Sierninger Rudenkirtag
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