Politik und Alltag der Eisenwurzen 229 Die,die bleiben durften,irgendwann einmal die österreichische Staatsbürgerschaft erhielten, rechtlich abgesichert waren, ein fixes Arbeitsverhältnis fanden, integrierten sich in ihrem Wohnort durch ihre Aktivitäten. Mitspielen, Mitmachen, Mitmischen waren die Rezepte. Manche gingen zur Blasmusik, andere zum Eisstockschießen; die einen engagierten sich kirchlich, halfen etwa beim Bau der evangelischen Kirche in Bad Hall, die anderen sportlich. Herr Larch, der kleine Südtiroler Junge in Weyer,wurde zum begeisterten Bergsteiger und zum gefeierten Helden, weil er an der Erstbegehung eines Achttausenders im Himalaya teilgenommen hatte. Eine zweite Heimat schufen sich die Vertriebenen auch mit der Gründung von Landsmannschaften. Neben rechtlichen und materiellen Motiven standen ideelle Gründe für das Zusammenschließen. Heimatsehnsucht und Erinnerung, Gesellig keit und Pflege der Kenntnisse von der alten Heimat vereinten die Menschen innerhalb der so völkisch klingenden „Landsmannschaften". Johannes Weidenheim,ein donauschwäbischer Literat, beschreibt den Wandel des Heimatgefühls, den die Vertriebenen in den ersten Jahren ihrer Integration durchlebten: „Auch in ihr [einer Heimatvertriebenen; Anm. d. Verf.] begann sich allmählich jene Zweiteilung zu vollziehen, die jetzt ungezählte Menschen durchmachten: Sie begann ein doppelter Mensch zu werden,einer, der im Begriff stand,sich in der fremden Steiermark zurechtzufinden (...), und einer,der weit fort von hier, im milden Tiefland zwischen den Strömen, ein zweites Leben zu leben begann (...), so daß sie jede Einzelheit ihrer Arbeit doppelt verrichtete,einmal hier mit ihren Händen, einmal dort mit ihren Gedanken, und von Tag zu Tag mehr bröckelte unter dem Strahl ihrer Verklärung alles Unvollkommene vom Bilde der Heimat ab wie dunkler Firnis, unter dem die verlorene Welt (...) In einem ganz neuen, helleren Licht zu leuchten begann." Ein widriges Schicksal verschlug die Flüchtlinge und Vertriebenen ins Öster reichische. Mittellos, mit wenigen Habseligkeiten mußten sie bei Null anfangen. Mit ihren Händen bauten sie sich eine neue Existenz auf, mit dieser Arbeit schufen sie sich auch eine neue Heimat. Mit jedem Spatenstich für das Eigenheim bereiteten sie auch den Boden für ihre neuen Wurzeln. Mitjedem Schilling,den sie aufs Sparbuch legten - auch wenn es in der Hoffnung war, noch einmal zurückzukehren -, beschwerten sie auch den Grund, hier zu bleiben und heimisch zu werden.Jeder Kontaktzu Nachbarn,Arbeitskollegen und Mitbürgern verringerte die Fremdheit, weitete die Aussicht, hier in Freiheit und Frieden zu leben, wenn auch nicht immer in Problemlosigkeit. Die Flüchtlingsintegration in Österreich seit 1945 ist eine Erfolgsgeschichte. Bleibt sie es auch weiterhin? LITERATUR Brandstetter, Alois: Vom Schnee der vergangenen Jahre. Salzburg 1979 Kraus, Maximilian: Ein Jahr Völkerwanderung in Oberösterreich 1945-1946. Linz 1947 Kraus, Maximilian: Flüchtlinge in Ober österreich 1945-1955 Weidenhelm,Johannes: Pannonische Novelle. Salzburg 1991 Weigl,Johann: Eine neue Heimat. Noch unveröffentl. Manuskript (wird abgedruckt im Bezirksheimatbuch Kirchdorf) Zeitzeugen-Interviews
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