226 Politik und Alltag der Eisenwurzen Umsiedlung der deutschen Bevölkerung aus der Welt zu schaffen. Die Menschen hatten die Wahl,die italienische Staatsbürgerschaftzu behalten oder die deutsche anzunehmen und ins Deutsche Reich abzuwandern. Ein bürokratischer Akt, ein rasches Ausfüllen eines Formulares- weiß für Italien, orange für Deutschland -, und der weitere Weg war entschieden. Nach Oberösterreich kamen nur wenige Familien, die meisten wurden in Tirol und Salzburg angesiedelt. Ab 1940 liest man Namen wie Alber, Gantioler, Iiiner, Pollin, Raffeiner und Larch in der Eisenwurzen. Sie alle wählten die deutsche Staats bürgerschaft, aber niemand den neuen Wohnort. Für die Menschen war es Zufall, wohin sie übersiedelten. Sie stiegen in einen Zug, nahmen alles mit, was sie konnten, und an der Endstation fanden sie ihre neue Fleimat; die Möbel wurden nachgeschickt. Die Familie Larch kam so nach Weyer. Auf dem Weg von Sterzing machten sie gerade noch in einem Innsbrucker Flotel Station. Sie sind 1940 „herausge kommen".Vor allem, weil es „daheim nichts zu essen" gab. Der Vater war Eisen bahner, und vor dem Abschied versprach er seinen Kindern ein schöneres Leben: „Nach den Straßen werden die Obstbäume stehen." Sie sollten sich freuen. Und wirklich gab es im Ennstal Baumalleen, nur leider mit Mostbirnen und nicht mit süßem Fallobst, wie es die Kleinen sich vorgestellt hatten. Aber trotzdem ging es ihnen besser. Sie zogen zu sechst in eine Wohnung über einem Geschäft in Weyer, und ihr Vater bekam Arbeit in den Steyrer Werken in Münichholz. Arbeit und Unterkunft bestimmten die Wahl des neuen Fleimatortes für die Ankom menden. Ein großes Flüchtlingslager in Spital/Pyhrn leerte sich bald, weil es keine freien Arbeitsplätze in dieser Gegend gab. In Nußbach und Wartberg wiederum entstanden kleine Siedlungen der Donauschwaben, weil Bauern billig Gründe verkauften und weil der Weg nach Linz in die VOEST überbrückbar war. Die Vertriebenen ausGablonzsuchten nichtArbeitsplätze,sondern schufen welche. Sie bauten nicht nur Wohnhäuser,sondern auch Werkstätten. Wenn sie aus ihrer Heimat in Nordböhmen auch sonst nichts mitnehmen konnten, hatten sie doch ihr Know-how und ihr handwerkliches Geschick für die Fortsetzung ihrer berühmten Glasindustrie. Oberösterreich wurde zum neuen Zentrum der ModeschmuckHersteller. Durchaus mit Unterstützung des Landes Oberösterreich gründeten sie im Schatten alter Klöster der Region Eisenwurzen und auf historischem Boden neue Betriebsstätten: in Gleink und Kremsmünster, in Losensteinleiten und in Enns. 1951 gab es in Österreich 150 Betriebe, die sich ausschließlich mit der Erzeugung oder Herstellung von Halbfabrikaten für die Gablonzer Industrie befaßten. In diesem Jahr übernahm die Gablonzer Genossenschaft die Lerchentaler Kaserne in Enns, die zum Zentrum eines „Neu-Gablonz" wurde. Auch im Süden von Kremsmünster entstand ein neuer Ortsteil namens„GablonzerSiedlung". Die Häuser entstanden anstelle eines Barackenlagers, das - ursprünglich für Fremdarbeiter errichtet-den Vertriebenen wenn schon nicht erste Heimat,dann wenigstens ersten Lebensraum bot. Im Mai 1945 gab es in Oberösterreich rund 700.000 Flüchtlinge. Der amtliche Ausdruck der Alliierten für diese Personen lautete „Displaced Persons",kurz: D.P. Amtlich definiert waren das sämtliche bei der Besetzung des Deutschen Reiches angetroffenen Ausländer. Dazu gehörten Reichsdeutsche, die sich seit 1938 in
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