2i6 Politik und Alltag der Eisenwurzen Soldatenräte,die in der Frühphase der Ersten Republik tonangebend waren,doch mit zunehmender Stabilisierung der innenpolitischen Situation wieder ver schwanden. Verschärfend wirkte sich aus, daß viele ehemalige Soldaten ihre Waffen behalten hatten und im Umgang mit diesen vertraut waren. In Steyr wurde die Versorgungssituation im Winter 1918/19 katastrophal.AufGrund des Kohlenmangels mußte schließlich sogar der Bahnverkehr reduziert werden, wodurch noch weniger Lebensmittel in die Stadt gelangten. Die Bevölkerung versuchte durch „Hamsterfahrten" zu den Bauern der Umgebung zusätzliche Nahrungsmittel zu bekommen, doch dort hatten die übertriebenen Zwangs ablieferungen während des Krieges nachhaltige Schäden, beispielsweise ein dramatisches Sinken des Viehbestandes, verursacht. In der Stadt selbst ließ eine enorme Teuerungswelle selbst Grundnahrungsmittel für die Mehrheit der Bewohner unerschwinglich werden. Bald kam eszu den ersten Plünderungen,die sich oft gegen kirchliche Einrichtungen richteten. Am 9. Jänner 1919 drang eine aufgebrachte Menge in den Stadtpfarrhof ein und plünderte ihn. Am darauffolgenden Tag stürmten 300 bis 400 Menschen, unter ihnen auch rund 60 hungernde Volkswehrmänner, auf der Suche nach Nahrungs mitteln den bischöflichen Maierhof in Gleink. Die anschließende bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Angehörigen derVolkswehr und der herbeigeeilten Gendarmerie forderte zwei Todesopfer. Außerhalb der Industrieregion um Steyr war Windischgarsten ein Zentrum der Proteste.So forderten am 30. März 1919 Arbeiter und „NichtSelbstversorger", die sich zu einer Demonstration aufdem Marktplatz versammelt hatten,den Rücktritt des Bürgermeisters und einiger Gemeinderäte, die Aufbringung erschwinglicher Lebensmittel,die Schaffung gesünderer Wohnverhältnisse,das Requirierungsrecht von Versorgungsgütern für die Arbeiterräte sowie die Kontrolle über das örtliche Krankenhaus. Zwei Jahre später gingen noch einmal rund 300 Arbeiter auf die Straße und protestierten gegen die politische Agitation des Kooperators der Pfarre. Im Gegensatz zu Steyr verliefen alle Protestmaßnahmen in Windischgarsten allerdings weitgehend friedlich, und die Situation beruhigte sich bald wieder. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen und das herrschende Elend führten jedoch generell zu einem immer stärker werdenden Gegensatz zwischen Arbeiterschaft aufdereinen Seite und „bürgerlichen Kreisen"sowie Bauern aufder anderen. Die verhängnisvolle Lagerbildung der ersten Republik nahm ihren Anfang. In den ohnehin schwierigen ersten Jahren der Nachkriegszeit entwertete eine galoppierende Inflation die Ersparnisse und die ohnehin niedrigen Löhne der Menschen. Die wenigen vorhandenen Lebensmittel wurden dadurch zusätzlich verteuert. Beispielsweise kostete ein Kilo Butter, das 1919 noch um 12 Kronen zu kaufen war,1922,als die Inflation ihren Höhepunkt erreichte,55 000 Kronen. Die Löhne - von der Arbeitslosenunterstützung ganz zu schweigen - konnten bei dieser Teuerung nicht mithalten. Die Geldentwertung brachte auch die kommunalen Finanzen in Unordnung, wie etwa in Windischgarsten, wo 1921 der Betrieb des Krankenhauses aus Geldmangel eingestellt werden mußte. Nur noch sieche und bedürftige Gemeindeangehörige wurden aufgenommen;später wurde daraus das Armenhaus des Gerichtsbezirkes.
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