Land der Hämmer - Heimat Eisenwurzen

i88 Politik und Alltag der Eisenwurzen Verhüttung gelangte vom kleinasiatischen Bereich einerseits über den Kaukasus nach China, andererseits über das Mittelmeer und den Balkan nach Zentral- und Westeuropa,wo die Kelten zu den großen Lehrmeistern in der Herstellung und im Umgang mit Eisen wurden. Geheimnisvolle Erzählungen von hinkenden und mißgestaltigen Berggeistern und Schmiedegottheiten, von reichen Zwergen und listigen Wassermännern, die die Menschen zwischen kurzfristigem Reichtum durch Gold, vergänglichem Glück durch Silber oder immerwährendem Wohlstand durch „Eisen auf immerdar" wählen ließen, sind weltweit verbreitet und ziehen sich durch viele Kulturen der Erde: Man findet mit Gehgebrechen behaftete Berggeister und Schmiede in der chinesischen, tibetischen, japanischen und sibirischen Mythologie ebenso wie in der afrikanischen Tradition und in den Sagen des klassischen und germanischen Altertums. Von den dunklen, mißgestaltigen Teichinen, den Ureinwohnern der Insel Rhodos, erzählen die Mythen,daß sie dem Göttervater Kronos die Sichel schmiedeten, mit der er seinen Vater Uranos entmannte, und dem Meeresgott Poseidon den Dreizack, mit dem er das Meer aufwühlte, und daß sie vom erzürnten Zeus zur Strafe für ihre Vermessenheit in Erdklumpen verwandelt wurden. Der griechische Schmiedegott Hephaistos,der Sohn von Zeus und Hera,der die Schilde von Achill und Athene schuf, aber auch Jungfrauen aus Metall als Gehilfinnen und Arbeitssklaven benutzte, und ebenso sein römisches Pendant Vulkanus, der auf Bitten der Liebesgöttin Venus die Waffen für Aeneas schmiedete: beide werden hinkend dargestellt.Auch der germanische Schmied Regin, bei dem der strahlende jungheld Siegfried in die Lehre ging, war der Sage nach verkrüppelt. Wieland der Schmied, gefangen vom gierigen König Nidhad, war gelähmt, weil ihm der eifer süchtige König die Sehnen der Füße durchschneiden hatte lassen, um ihn an der Flucht zu hindern. Doch der geniale Erfinder entfloh, nachdem er grausige Rache genommen hatte, mit selbstgeschmiedeten Flügeln. Von Afrika bis Sibirien, von der Mittelmeerwelt bis Nordeuropa trifft man auf Mythen und Erzählungen von hinkenden Magiern als Mittlern zwischen dem Dies seits und dem jenseits, gleichzeitig Zauberern und Schmieden, die, wegen ihrer Kenntnisse und Künste geschätzt und gefürchtet,gleichzeitig eine Ehren- und eine Außenseiterstellung innehatten. Die Gründe für diese transkulturelle eurasische Tradition liegen im Dunkeln. Manches bietet sich zur Erklärung an: Natürlich die Enge der Bergwerksschächte, möglicherweise auch Fuß- und Beinverletzungen,die durch abplatzende Hammerschläge zustandekamen;am wahrscheinlichsten aber Folgewirkungen von bei der Verhüttung der Metalle ausgelösten Kupfer-ArsenVergiftungen, die immer wieder zu Lähmungserscheinungen führten. Der Berg werksprediger Johann Mathesius, ein Freund Georg Agricolas, schreibt jedenfalls von dieser Erfahrung: „(...) wie der Hütt- und Bleyrauch / vil Schmelzer und abtreyber verlehmet / und umbringet (...)" In der Volksmeinung wurden den rußigen, mißgestalteten Schmieden besondere Heilkräfte zugeschrieben: Der Kurschmied war tatsächlich häufig darauf einge richtet, Krankheiten bei Tier und Mensch mit geheimnisvollen Rezepturen und vielerlei Erfahrungen zu heilen. Auch das eisenhältige Schleifwasser, das beim Schleifen derSchwerter und Messer entstand,wurde in derVolksmedizin nicht nur

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