Ingeborg Krenn - Häuserchronik der Altstadt Steyr

22 Weltliche und geistliche Macht ordnet so jede ihren Teil der Gasse ihrer Sphäre zu. Im Laufe der Entwicklung gelang es der geistlichen Macht, der weltlichen den Boden abzugraben: die Benefiziatenhäuser (H. 114, 115) und das Cölestinerinnenkloster mit seinen Nebengebäuden dehnten sich bis an die Schlossgärten aus. Merian sagt von der Berggasse „ein lange breyte Gassen am Berg genanndt“. Breit kommt sie uns freilich nicht mehr vor; Bis vor einigen Jahren war sie noch stiller und verträumter als heute, ein altes Kugelpflaster hatte jeden Verkehr zurückgescheucht. Die Stifthäuser wurden teils als unmittelbare Folge der Josefinischen Reformen, teils nach Einziehung vom Religionsfond zu Beginn des 19. Jhdts., teils erst bis in die Mitte des Jhdts., durch den Magistrat als Vogtobrigkeit der Pfarrkirche an bürgerliche Käufer versteigert; doch hat auch nach der Eingliederung dieser Häuser in den bürgerlichen Hausbestand das Gewerbe sich nicht festzusetzen verstanden, wie die wenigen radizierten Gewerbe (2) zeigen. 3. Bau- und Stilperioden Während aus der romanischen Zeit wenig Greifbares erhalten ist außer ein paar Säulen (H. 134, 167), die durch ihre Wuchtigkeit auffallen, einigen Türgewänden und Kellerräumen, ist die Gotik jene Stilperiode, die den Grundton in der Stilharmonie der späteren Zeit anschlägt. Nicht nur in rein erhaltenen Exemplaren (wie das Bummerlhaus, H. 62, 53, und 14) sondern im Grundriss der Häuser, in der Einteilung der Innenräume und in den Außenlinien dringt immer wieder das gotische Element bestimmend durch. Alle späteren Veränderungen geschahen auf dieser Basis. Der Steyrer Kaufmann lernte auf seinen Fahrten nach Venedig die profanen Gebäude der Renaissance kennen; kein Wunder, wenn er, dem die Mittel reichlich aus dem welschen Handel flossen, sein Stadthaus zu „modernisieren“ bestrebt war. Nicht das Brecheisen, sondern das einfühlende Können geschickter Baumeister setzte dieses Streben in die Wirklichkeit um: bei H. 61 kragen die Stockwerke weithin über das Erdgeschoss vor, die Fassadenmauer wurde so weit erhöht, dass sie den gotischen Giebel verdeckt; der geräumige Hof erhielt zweistöckige logenartige Verbindungsgänge vom Vorder- zum Hinterhaus, die das bekannte Diamantenmuster tragen. So war mit wenigen Kunstgriffen das Neue mit dem Alten vermählt. Oder der Besitzer beließ nach außen das Haus im alten Stil und befriedigte seine Neuerungssucht mit der Anlage eines schönen Renaissancehofes (H. 133) oder er stattete die rein gotische Fassade nur mit einem ornamentalen Sgraffitoschmuck aus (H. 151, 32). Mancher verbarg seinen spitzbogigen Hauseingang hinter einem von zwei, dem Tor vorgebauten Säulen gestützten, die ganze Front durchlaufenden Mittelerker (H. 158). Nur ein Bürgerhaus ist, gotische Traditionen missachtend, von Grand auf im Renaissancestil erbaut worden (H. 15). Wahrscheinlich war hier der Anstoß nicht allein die geschmackliche Änderung, sondern eine gewisse Baufälligkeit, die noch vom Brand des Jahres 1522, oder vielleicht einem späteren lokalen Brand herrührte. Wie ja überhaupt auch damals, wie heute, trotz des größeren wirtschaftlichen Wohlstandes so große kostspielige Modernisierungen vor allem begünstigt wurden durch Naturkatastrophen und Brände, welche auf jeden Fall eine Renovierung erfordern. Vor allem der Brand des Jahres 1727, in dessen Gefolge wir alle jene Barockisierungen der Fassaden anzusetzen haben, die dem Stadtplatz, der Enge und dem Grünmarkt ihre reizvoll heitere Rote verleihen (z.B. H. 148, 170, 73, 80), begünstigte eine Stiländerung. Wiederum finden wir nur einen reinen, von Grund auf barocken Vertreter des Wohnhausbaues (H. 114) der nach dem Brand vom Jahre 1727 errichtet wurde. So wird der Charakter der Altstadt bestimmt durch den Stildreiklang Gotik, Renaissance, Barock. Spätere Veränderungen mochten ihn nicht mehr zu stören: die klassizistische Fassade des H. 120, die dem 20. Jhdt. angehörenden der Häuser 9, 68, 69 und 146. Nicht so einheitlich ist die Steyrer Altstadt dem Stil nach wie z.B. die Tiroler Städtchen Rattenberg und Sterzing, die seit dem 16. Jhdt. einem Dornröschenschlaf verfallen scheinen denn Steyr ist nach einem kurzen Rückgang in der Gegenreformation im Strom der Entwicklung geblieben und hat sich heute um ganze Viertel (Wehgraben, Ennsleite, Münichholz) vergrößert. Glücklicherweise

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2