Werner Konstantin - Kremsmünster in Wort und Bild

42 gehen aus von seinem göttlichen Haupte, von den Speichen der Räder, von den schwebenden Genien, welche die Zügel der Renner halten. Dorne vertreibt die rosenfingrige Eos, die voraus eilende Göttin des Morgenrotes, mit weit geschwungener Fackel die in einen dunklen Schleier gehüllte Gestalt der Göttin der Nacht. Rückwärts schwingen sich die leichtgeschürzten Töchter des Zeus, die drei Chariten oder Gra¬ zien, äglaia, die Strahlende, Euphrosyne, die Frohsinnige und Thalia, die Blühende in heiterem Reigen und bestreuen als holdselige Spen¬ derinnen erfreulicher Naturgaben den Lichtweg des Sonnengottes mit Rosenblättern. Links am Rande schwebt seine jungfräuliche Schwester, die wald¬ durchstreifende Göttin Diana auf lichten Wolken, umgeben von Hunden und Hirschen. Rechts ist behaglich eine Göttergruppe gelagert, von denen uns Seus und Hermes das Antlitz zuwenden, während die schaumgeborne Aphrodite nur die blendende Schulter und die schwarze Flut ihres dunklen Gelockes zeigt. jeder Besucher, der schon das Glück hatte, sich an den Kunst¬ schätzen der ewigen Stadt zu erfreuen, wird sich bei Betrachtung dieses herrlichen Gemäldes, welches das heitere Schönheitsgefühl und die zauberhafte Dracht der italienischen Renaissance wiederspiegelt, lebhaft an die schönen Freskogemälde erinnern, welche den Palazzo Farnese und Rospiglioso zieren, nämlich den Triumphzug des Bacchus von Carracci und Guido Renis Aurora, wo auch die Grazien das Vier¬ gespann des Sonnenjünglings in anmutigem Reigen umtanzen, während Aurora mit Blumen und Eros mit der Fackel voraneilen. jeder Renner und Bewunderer des großen Tragikers Sophokles wird aber auch beim Sauber unseres Gemäldes der Derse gedenken, mit denen der grollende Hias seine Umgebung täuscht, indem er sagt, er werde dem Atriden nachgeben, so wie die Nacht dem Tage weichen muß: „So weicht der düst’re Kreis der Nacht dem Tag, Der hell mit weißen Rossen strahlt in seinem Glanz.“ Dieses blendende Kunstwerk der barocken Illusionsmalerei über einer idealen Drachtarchitektur verdanken wir dem Münchener Hofmaler Johann Melchior Steidl, der aus der Schweiz stammt und auch in St. Klorian und Lambach herrliche Fresken ausgeführt hat. So oft man in den Saal kommt, wird man wie gebannt die Augen zur Decke erheben und die Kunst des Meisters, seine fruchtbare Phantasie und die Farbenpracht des Riesengemäldes immer von neuem be¬ wundern. Da der Raum bei feierlichen Anlässen als Speisesaal verwendet wird, ist er auch mit einer Wasserleitung versehen, die in der Mitte der Längswand einen stilvollen Auslauf hat in Form eines steinernen Hundes über einen Marmorbecken, von dem sich ein getreues Abbild

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