Werner Konstantin - Kremsmünster in Wort und Bild

37 Schatzes nach Graz und Wien geschafft, um der Kaiserin Maria Theresia als Kriegssteuer übergeben zu werden; aber den größten Schaden unter den alten Kunstsachen richtete 1787 die Inventurs =Kommission unter Landrat Eybel an, welche die Stiftsgüter gewissenlos verschleu¬ derte und auch sonst dem Stifte unberechenbare Nachteile zufügte. Durch eine besondere Fügung der göttlichen Vorsehung hat sich der berühmte Tassilokelch, das Patengeschenk des Stifters an das 777 gegründete Kloster, durch alle Stürme der Jahrhunderte unversehrt erhalten und bildet heute vom Standpunkte der Geschichte, wie der Kunst den größten Schatz des alten Hauses. Diesen Kelch mit zwei Leuchtern und einem Evangelienkodex hat der Herzog Tassilo und seine edle Gattin Liutpirga, eine Tochter des Longobardenkönigs Desiderius dem Kloster bei der Gründung zum Geschenk gemacht, wie die Inschrift am Fuße in frühromanischen Majuskeln angibt: „Tassilo dux fortis, Liutpirc virga regalis“ (Tassilo ein tapferer Herzog, Liutpirga ein königlicher Sproß). Der Becher, welcher die Form eines Römers hat mit Kuppa (Schale), großem Knauf in der Mitte und rundem §uß, besteht aus Kupfer, in welchem zahlreiche Ornamente tief eingraviert sind, die dann in Feuer vergoldet wurden. Am oberen Teil sind fünf, am Fuße vier Silberplatten aufgelötet, auf welche der Künstler Brustbilder in Schwarzmanier (Niello) !) ausgeführt hat. Die Rundmedaillons der Kuppa zeigen Christus mit den griechischen Buchstaben Alpha und Omega (Anfang und Ende) und mit den lateinischen Buchstaben J. S. (Jesus Salvator), die deutlich auf den Heiland als Patron der Kirche hinweisen, ferner die vier Evangelisten. Die Brustbilder unter dem Knauf stellen die heil. Gottesgebärerin, Johannes den Täufer, den heil. Mar¬ tyrer Tiburtius, dessen Reliquien nach Kremsmünster kamen und den heil. Dantaleon, den Lieblingsheiligen des Herzoges dar. Die Figuren sind noch ziemlich unbeholfen ausgeführt und muten byzantinisch steif an; weit hoher stehen die Ornamente, welche aus Palmetten und band¬ artigen Verschlingungen bestehen mit eingestreuten Tier= und Pflanzen¬ motiven; sie erinnern sehr an die verworrenen Band= und Linien¬ geschlinge der irischen Ornamentik in den Miniaturen der Handschriften und stimmen auch zum Schmuck der Gräberfunde aus der Seit der Dölkerwanderung. Die Bearbeitung des Materials, die Kunstformen, die romanischen Majuskeln der Inschrift wie seine Geschichte, alles erweist den Tassilo¬ kelch als ein sicher beglaubigtes Werk der frühesten karolingischen Goldschmiedekunst. Auf der Ausstellung in München 1876 erregte er als das weitaus bedeutendste Denkmal germanischer Kunstrichtung des 1) In die vertieften Flächen der eingravierten Zeichnung wird ein Schwarzpulver Niello), das aus Silber und Schwefel besteht, eingestrichen und dann aufgeschmolzen.

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