Ferdinand Krackowizer - Auf der Schulbank in Steyr

Außer bei der lieben und gütigen Großmutter, die in Steyr ihre letzten Jahre verlebte, war es besonders das Haus des Dr. Josef Krackowizer, in der Stadt von jedermann der „Doktor Sepp“ genannt, wo wir ein= und ausgingen. War Tante Marie, die sehr auf gutes Benehmen hielt, mehr eine Respektperson, so flog dem lieben Onkel mit seinem goldenen Humor unser ganzes Herz entgegen. Er war ein Original. Beliebt bei jung und alt, als tüchtiger Arzt und Menschenfreund überall herzlich willkommen. Ein mittelgro¬ ßer Mann mit blondem Haar, das die breite Stirne umgab, mit einem Knebelbarte und buschigen Schnurrbart, starken Augenbrauen, unter denen zwei helle, gescheite Augen die Mitwelt hinter der Brille froh anblickten, die wanderlustigen Beine etwas krumm, wie ein Reitersmann, in der Linken die unvermeidliche Pfeife, aus der schlicht duftender „Vei¬ gerlknaster“ Rauchwolken entsendete, einen derben Knoten¬ stock in der Rechten. Das war der Doktor Sepp, der fünfzig Jahre als Stadtarzt unermüdlich bei Tag und Nacht nur für eine Kranken lebte. Auch von der Ferne war seine treffende Diagnose, seine ärztliche Kunst oft begehrt. Selbst in den Kinderstuben fand er Liebe. Er wußte mit den Kleinen gut umzugehen. Trank wohl auch, wenn die Patienten sich da¬ gegen sträubten, vor ihnen einen tüchtigen Schluck aus der verhaßten Flasche, an der die lange Apothekerfahne mit der Aufschrift „Alle Stunden einen Eßlöffel voll“ aneifernd glänzte. Und wie eingehend besprach der Arzt den Küchen¬ zettel, um die Bettlägerigen aufzurichten. Zu jeder Stunde konnte man den Doktor Sepp haben. Wurde er gerufen, so ließ er sofort, war er noch so ruhebedürftig, Speise und Trank und eilte, die unvermeidliche Pfeife im Munde, hin¬ aus in den Herbstnebel oder in die stürmische Winternacht. Er war ein Original! Wilhelm Raabe hätte ihn seinen Ge¬ stalten seltsamer Käuze einverleiben können. Auch die Welt der Pflanzen war ihm teuer und seine emsige Feder verherrlichte mehrere hundert Bergpflanzen in ebenso vielen Sonetten. Nur eines haßte er, dieses aber grimmig: Statistische Ausweise an vorgesetzte Behörden. Er, der von früh bis abends unermüdliche Arzt, hatte gar kein Verständnis für die „Ziffernspatzen“. Meister Josephus von Steyr war auch ein Feind der Fremdwörter. Seine lustigen Verdeutschungen gingen in der Stadt von Mund zu Mund. Hier eine kleine Auswahl: „Heilen“ nannte er „Anbrauchen“ 6

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