Ferdinand Krackowizer - Auf der Schulbank in Steyr

In diese liebe alte Stadt hielt anfangs Juni 1850 mein Vater als neuernannter Kreisgerichtsassessor mit zwei sehr munteren Buben, die neugierig aus der Familienarche her¬ ausguckten, feierlichen Einzug. Das Haus, das wir bewohn¬ ten, lag in der Badgasse und gehörte früher dem Lederer Kaindl. Gegen die Gasse zu besaß es nur ein Stockwerk, gegen den tief gelegenen Garten hinaus war es zweistöckig. Ein großer Seitenflügel hatte dem Lederergewerbe gedient und im Erdgeschosse standen die großen Bottiche eingemauert, teilweise noch mit faulem Wasser gefüllt. Sie übten auf uns Buben starke Anziehungskraft aus, ebenso wie der geräumige Trockenboden unter dem Dache, in dem noch eine Anzahl von Kuhhäuten auf Stangen hingen und vergebens auf ihre höhere Ausbildung warteten. Der frühere Besitzer schien sie völlig vergessen zu haben. Ueberall krochen wir Buben neu¬ gierig herum. Den liebsten Aufenthalt jedoch gewährte der Garten, an dessen Südseite der Wehrgrabenkanal seine Flu¬ ten wälzte. Dort gab es immer etwas zu schauen. Besonders der große Kupferhammer gegenüber mit dem dumpfen Po¬ chen, den russigen Gesellen, die am Feuer hantierten, der herrliche Funkenregen, der in der Dämmerung dem Rauch¬ schlote entströmte, beschäftigte uns fortwährend. Gerne saßen wir auch in der dichten Laube des Gartens, hörten den Bach unten rauschen und blätterten, ein ausgiebiges Butterbrot in der Hand, kreuzvergnügt in einem Bilderbuche. An der anderen Seite des geräumigen Hofes lag ein Gipsstampf. Stundenlang sahen wir dem Auf= und Niedergehen der glat¬ ten Baumstämme zu, deren Eisenschuhe Gips oder Knochen zu weißem Mehl verarbeiteten. Vom Familienzimmer aus gewährte das schräg gegen¬ überliegende Wirtshaus „zum goldenen Faßl“ oft Gelegen¬ heit, Auge und Ohr zu beschäftigen. Besonders die Jahrtage, welche die ehrsamen Meister der verschiedenen Gewerbe in der großen Wirtsstube abhielten, eröffneten uns Einblicke in das damalige Zunft= und Handwerkerleben. Offen standen die Fenster des Fasselwirtes, Trinksprüche und Gesänge ertönten aus rauhen Kehlen. Am meisten machte auf uns Eindruck, wenn ein Meister den mit Wein gefüllten Zinnpokal, an dem alte Schaumünzen an Ketten funkelten, erhob und nach län¬ gerer Anrede mit den Worten schloß: „Das ehrsame Hand¬ werk der Feilenhauer soll leben! Hoch! Hoch! und abermals Hoch!“ Darauf ein allgemeines dröhnendes „Vivat! Hoch!“

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