Oberösterreich, 39. Jahrgang, Heft 4, 1989

Strafdrohungen der Behörden gelingt es etwa in den Kleinmünchner Spinnereien bis zur Jahrhundertmitte nicht, die Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht (gegen den Willen vieler Eltern und Unternehmer!) vollständig durchzusetzen. Die seit den dreißiger Jahren in Kleinmün chen errichteten Textilfabriken Grillmayer, Rädler und Dierzer boten Tausenden Arbei tern Verdienst und zogen viele Zuwanderer an, ruinierten andererseits viele kleine Weber und symbolisieren in Linz ein internationales Dilemma der ersten Hälfte des 19. Jahrhun derts: einem stürmischen wirtschaftlichen und technischen Fortschritt, der für die Ent wicklung der Stadt die besten Aussichten er öffnet, steht eine unkontrollierbare Bevölkerungsmassierung gegenüber, auf die die Stadt weder organisatorisch noch geistig wirklich vorbereitet ist. Nach diesem Hinweis auf einige Aspekte, die in den zeitgenössischen Beschreibungen der Stadt so gründlich fehlen, daß sie bis heute gerne übersehen werden, vertrauen wir uns wieder der Führung der Linzer Chronisten an, die der Schilderung der Sozialeinrichtun gen breiten Raum widmen. Für letztere ist charakteristisch, daß es jeweils privater Initia tiven bedurfte, sie ins Leben zu rufen: Der Priester Michael Reitter hielt 1811/12 in Linz den ersten allgemein zugänglichen „Lehrcurs" für Taubstumme, und der Bedarf erwies sich als so groß (17 Kinder schon im ersten Jahr), daß eine ständige Einrichtung daraus wurde, die von privaten „milden Spenden" bald besser, bald schlechter erhalten werden konnte. 1824 wurde daraus eine öffentliche Lehranstalt, die im ehemaligen KapuzinerLazarett untergebracht wurde (1835: 72 Zög linge) — und heute noch internationalen Ruf genießt. Fast zur selben Zeit nahm sich der Priester Engelmann einer anderen Rand gruppe der damaligen Gesellschaft an und gründete 1824 das Blindeninstitut (1836: 20 Zöglinge). Die öffentliche Hand, sei es das Kreisamt oder der Magistrat, sahen es nicht als ihre Aufgabe an, selbst solche Aktivitäten zu entfalten; Wohltätigkeit war Sache der Kir che, jedes Christen, aber jedenfalls eine Pri vatangelegenheit, die man zwar durch Wohl wollen fördern, aber keinesfalls finanzieren konnte. Bezeichnend die Wortwahl einer „Be schreibung der Stadt Linz" von 1838 bei der Vorstellung dieser beiden Institutionen: „Diese wohlthätigen Unterrichts-Anstalten sind die verhindernde Ursache, daß so viele Ungiücksgefährten der Verwahrlosung an Geist und Körper entrissen werden, und daß sie In so humanen Anstalten mit Liebe und Wohlwollen zur Sittlichkeit, Arbeitsamkeit und bürgerlicher Brauchbarkelt erzogen, und hin reichend vorgebildet werden"(Heinse S. 35). Einer der zahlreichen Stiftungen, auf denen letztlich die gesamte Sozialvorsorge beruhte, verdankt auch der erste Kindergarten seinen Bestand. 1832 eröffnet eine vermögende Lin zer Dame eine „Kinderbewahranstalt" mit dem Ziel, Kinder armer Eltern, die tagsüber unbeaufsichtigt bleiben mußten, von der Straße wegzuholen und zu beaufsichtigen, ihnen auch ein Mindestmaß an Erziehung mitzuteilen. Die Idee traf — wie nicht anders zu erwarten — auf größtes Interesse, bald sind in der Anstalt über 100 Kinder zusam mengepfercht. Von Bildung der Kinder kann da natürlich keine Rede mehr sein, aber im merhin sind die Kinder vor Unfällen sicher: durch heißes Wasser vom Herd, Stürze, Brandwunden und ähnliche Haushaltsunfälle kamen jedes Jahr Dutzende unbeaufsichtigte Kinder zu Schaden. Es ist an der Zeit, den Streifzug durch das Linz der Biedermeierzeit zu beenden. Werfen wir noch einen Blick auf das gesellschaftliche Leben der Bürger, das unter dem Druck Metternich'scher Regierungskunst sich völlig un politisch und überwiegend in sehr privaten Formen entwickelt. Bei Schönwetter ist einer der beliebtesten Treffpunkte der Linzer Bürger die Promena de: „Mehrere Bänke und wohl angebrachte Dachschirme stehen für jedermann da, es ver sammeln sich auch f=^rsonen von allen Stän den, um der reinen Luft zu genießen, beson ders an schönen Sommertagen des Abends, wenn die blasende Instrumentalmusik der k. k. Garnison aufgeführt wird" (Gielge S. 135). Ein weiterer besonders beliebter Platz ist die Restauration bei der Schloßeinfahrt, berühmt wegen der schönen Aussicht über die Stadt und auch für die Ausschank guten Weines: nicht zuletzt Schubert hat sich dort bei Linzbesuchen wohl gefühlt. Ein schwieri ges Schicksal hatte der Gründer des Volks gartenrestaurants Festorazzi, dessen 1828 angelegten Park, den heutigen Volksgarten, die Linzer zwar recht gerne und zahlreich be suchen — dem Restaurant selbst aber fern bleiben. Gefragt sind eher billige Vergnügun gen: allgemein beliebt ist z. B. in zahlreichen Gastgärten das Kegeln. 1803 hatten die Stände ihr neuerbautes Theater eröffnet und „überließen es, um von Ihrer Seite möglichst zur bessern Unterhal tung des Publicums beyzutragen, dem Unter nehmer ohne Pacht Zudem hat dieser auch Im Hause ein bequemes Quartler, die Benüt zung des Redouten-Saales, welche Im Fa sching eine nicht unbedeutende Einnahme bringt, den MIeth-Zlns des Caslno-Pächters und den Zins des Zuckerbäckers für sich. Bey der jetzigen Vorliebe des Publicums für Thea terfreuden kann es also dem Unternehmer kei neswegs fehlen. .(Heinse S. 70 f.) Erlauben wir uns noch einen kurzen Blick auf ein beliebtes Klischee: „Der gewöhnliche ge sellschaftliche Umgang In Linz gewinnt da durch seh,r daß das schöne Geschlecht von allen Glessen lebhaften Anteil nimmt. Der Ruhm der Schönhelten von Linz hat sich durch mehrere Reisende allgemein verbreitet; findet man auch nicht viele griechische Profile, so sieht man doch eine Menge reizvolle,r blü hende,r volle,r zum Thell hoher und schlanker Gestalten. Die LInzerInnen haben meistens einen leichten Conversatlonston. Selbst unter denen vom Bürgerstande findet man zuweilen eine nicht gemeine Bildung, da manche der reichern Bürger Ihre Töchter Im Clavier, Sin gen, Im Französischen und Italienischen un terrichten lassen." Da die Pferdeeisenbahn im vorliegenden Bei trag nicht besonders gut wegkam, soll auch sie noch zu Ehren kommen: Schließen wir diesen „Gesellschaftsteil" des Beitrages mit einem „typischen" Auszug aus Heinsens Be schreibung des gesellschaftlichen Lebens in Linz: „So hat das Bestehen der Elsenbahn auf die Vergnügungen, auf die heitere Laune und auf das gesellschaftliche Leben der Linzer einen unverkennbar mächtigen Einfluß. An Sonn- und Feyertagen sieht man ganze Coterlen auf mehreren Wägen In der freudigsten Stimmung nach dem nahen St. Magdalena, ZIzlau, Neubau, Wels etc. dahlnrollen und sich dort Im geselligen Vereine zu unterhalten und zu ergetzen"(S. 73). Dieser „Rundgang" durch Linz war weder sy stematisch noch erschöpfend. Aber vielleicht hat er ein wenig Gefühl für die Zeit vermittelt — dann kommt die Lust zum Weiterlesen von selbst, womit der Zweck dieses Beitrages voll und ganz erreicht wäre. Seite 23: Linz vom Schloßberg, 1975, Tusche ünd Feder, 45,5 X 62 cm, Privatbesitz; Blick: Altstadt, Rückseite des Kremsmünsterer Stiftshauses, Turm der Stadtpfarrkirche, Alter Dom 22

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