EINWOHNERENTWICKLUNG VERDICHTUNGSGEBIETE - LÄNDLICHER RAUM 800.000 600.000. 400.000. 200.000. EINWOHNER • ••••• f.v.vXvg '•Vi96iiV<::i97i ixl VERDICHTUNGSGEBIETE LÄNDLICHER RAUM Wohnfunktion des ländlichen Raumes „Unser Haus steht beim Bauplatz. Unser Haus stand schon da, als noch niemand ein Wort über den Bauplatz verloren hatte. Eines Tages beginnt man, über den Bauplatz zu reden. Während des Geredes über den Bauplatz glaubt noch niemand an die Möglichkeit eines Bauplat zes. Durch die vielen Bauplatzdiskussionen, die nicht sehr interessiert und in fast jeder Hinsicht teil nahmslos verfolgt werden, nein, nicht verfolgt, son dern übergangen werden, entsteht zur allgemei nen Überraschung ein Bauplatz. Wir müssen uns wohl oder übel an die Tatsache des Bauplatzes gewöhnen; der Bauplatz wird zu einem Begriff, zu einer Selbstverständlichkeit. Wahrscheinlich könnten wir uns unser Haus ohne den Bauplatz daneben gar nicht mehr vorstellen. So verwandeln sich endlose Bauplatzdiskussionen in einen Bauplatz." G. F. Jonke, Glashausbesichtigung, edition Suhrkamp, S. 7. Der Verbrauch der Flächen, die dem Wohnen dienen, ist explosiv angewachsen. Zuerst be stand ein großer Nachholbedarf für die erlitte nen Zerstörungen und Entbehrungen des Krieges, der nicht nur in den Städten, son dern wegen der billigeren Bodenpreise auch auf dem Land befriedigt wurde. Später, bis in die Gegenwart herauf, ist es der tiefgreifende Wandel der Familienstruktur, das immer stärkere Aufsplittern der Groß- in mehrere Kleinfamilien, die einen immer noch anwachsenden Wohnungsbedarf hervorru fen. Die durchschnittliche Haushaltsgröße hat sich in Oberösterreich von 1971 bis 1981 von 3,13 auf 2,9 Personen verringert. Die großzügigste Bereitstellung bzw. private Schaffungvon Wohnraumist in unsererGe sellschaft ein von allen politischen Parteien mitgetragenes Ziel. Der dadurch hervorgeru fene Flächenverbrauch wurde lange Zeit nicht als Problem anerkannt. Versuche der Raumplanung, die Zersiedelung zugunsten einer unberührten Landschaft hintanzuhal ten, wurden jahrzehntelang als eigentums feindliche Reaktionen auf den individuellen Wohlstand mißverstanden. Freizeit und Erholung im ländlichen Raum „Der Besucher zerstört durch seine Anwesenheit die Einsamkeit, die er aufsucht." (Lucius Burckhardt)^ Die neuentdeckte Wertschätzung des ländli chen Raumes bewirkte neben einer vermehr ten Nutzung für Wohnzwecke auch eine ver stärkte Nutzung für Freizeit- und Erholungs aktivitäten. Hier sind vor allem die landschaftlich beson ders wertvollen Berg- und Seengebiete des inneren und äußeren Salzkammergutes so wie die stadtnahen Zonen des Mühlviertier Hügellandes einer starken Belastung aus gesetzt. Die Beanspruchung von Flächen für Freizeit und Erholung wird immer größer, nicht nur weil stets mehr Menschen ihre Freizeit im ländlichen Raum verbringen, sondern auch weil die Aktivitäten selbst flächenraubender werden. Genügten einst Postauto, Fahrrad oder Wan derweg und ein natürliches Flußufer für einen gelungenen Sonntagsausflug, so ist es heute ein Tennisplatz, ein Hallenbad, ein Skilift oder eine Seilbahn mit entsprechenden Zu fahrten und Parkplätzen, von der „unsichtba ren" Infrastruktur (Wasserversorgung, Kanali sation, Müllbeseitigung) ganz zu schweigen. Die zur Zeit allenthalben entstehenden Golf plätze haben einen Flächenbedarf von min destens 30 ha, dies entsprach bis vor kurzem noch der Größe eines landwirtschaft lichen Vollerwerbsbetriebes. Auswirkungen der Verstädterung auf den ländlichen Raum — Ästhetik Die sinnliche Wahrnehmung von Landschaft ist abhängig von der Möglichkeit, Zusam menhänge zu sehen und sichtbar zu ma chen. Für den Bauern, der das Land bewirt schaftet, ist jene Landschaft die schönste, die diesen Bewirtschaftungserfordernissen am besten entspricht. Einen anderen Landschaftsbegriff hat der Städter, der in den ländlichen Raum einen Wunschtraum nach möglichst unberührter, „heiler" Welt als Gegensatz zum eigenen, städtischen Lebensraum projiziert.^ Landschaft ist jedenfalls das Ergebnis von Menschen, die sie bewohnen, somit die Pro jektion der gesellschaftlichen Verhältnisse auf den Raum. Man könnte sagen, jede Ge sellschaft hat die Landschaft, die sie verdient. Unsere Gesellschaft hat insbesondere fol gende landschaftswirksamen Rahmenbedin gungen aufzuweisen: — Ausgeprägtes Besitzdenken, damit ausge prägte rechtliche Verfügungsgewalt des Ei gentümers über Grund und Boden — hochentwickelte Finanzierungssysteme für das Bauen („Bauen leicht gemacht") — eigenes Haus bzw. Eigenheim ist ein aner kanntes politisches Ziel, mit dem sich alle Parteien identifizieren. Damit ist die die großflächige Landbeanspru chung vorgegeben. Landbeanspruchung durch Verbauung be wirkt eine Veränderung der Semiotik des Raumes. Das überstürzte Verschwinden ge wohnter Zeichen und Botschaften zugunsten neuer, ungewohnter erschwert dem Betrach ter das Auffinden vertrauter Inhalte, mit de nen er sich identifizieren kann. Die wieder entstandene Heimat-Diskussion ist auf den Verlust der gewohnten „Zeichen" im Raum zurückzuführen. Auch die Bemühungen um die Dorferneue rung sind als Versuch zu werten, diesen ra santen Prozeß des Landverbrauches, der baulichen und geistigen Verstädterung auf zuhalten. 6
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