Der Ländliche Raum — in seiner formalen, gesellschaftlichen und baulichen Struktur jahrhundertelang auf die evolutionär heraus gebildete, bäuerliche Wirtschaftsweise zuge schnitten (in deren Blickpunkt immer pflegli che Nutzung und Kreislaufdenken und nicht Raubbau gestanden hatten) — war diesem Wechselbad entgegengesetzter ökono misch-gesellschaftlicher Anforderungen mangels rechtzeitig einsetzenden (räum-) ordnungspolitischen Zielvorstellungen und Instrumenten schutzlos ausgeliefert: traditio nelle Kulturlandschaft, Wegenetz, Parzellen struktur und traditionelle Bauformen verloren zuerst ihre Bedeutung, schließlich auch ihre Berechtigung. Beispiele dafür sind das stete Zurückdrängen des früher regional dominie renden Materials Holz durch die Bauordnun gen und die bis vor kurzem praktizierte, radi kale Ausräumung von Hecken, Alleen und Feldrainen aus der Agrarlandschaft Im Zu sammenlegungsrecht. Spätestens nach den letzten vier Jahrzehn ten anhaltender Baukonjunktur ist Bauen in unserem alltäglichen Sprachgebrauch kaum mehr aus dem gemeinsamen Wortstamm des althochdeutschen „buan" (mit den gleichberechtigten Bedeutungen von sich aufhalten = wohnen = den Acker bebauen) zu erklären, sondern wird Immer öfter mit den eindeutig negativ besetzten verwandten Be griffen des Verbauens, Überbauens, Zubauens gleichgesetzt, also mit Tätigkeiten, die gegen die Natur gerichtet sind und bei wel chen zerstörerische Kräfte überwiegen. Umbau und „Neugestaltung" eines Hofraumes Und nun plötzlich kennt das öffentliche La mentieren um die verlorene Unschuld des Ländlichen Raumes keine Grenzen mehr: Ei lig werden Kommissionen zusammenge stellt, Manifeste verfaßt und öffentliche Mittel für Rettung, Erneuerung und Entwicklung nach dem bewährten Gießkannenprinzip ab gefüllt, während einstweilen die, um die es gehen soll, die sogenannten „Betroffenen", nach wie vor die vermurkste Lebendigkeit ih res Lebensraumes der propagierten (Rück-) Besinnung vorziehen. Wo die schweigende Mehrheit die eben erst vertraut — und lieb gewordenen Klischees des wirtschaftlichen und sozialen Aufstiegs nicht aufs Spiel setzen will und mit Hart näckigkeit und Konsequenz die gutgemein ten ehrenamtlichen bis hochqualifizierten Ratschläge überhört, wird man sich eben mit Trivialkompromissen bescheiden müssen. Repertoire der „Dorfplatzgestaltung": Parkplätze, Koniferen und Bodendecker Der Ländliche Raum ist heute sicher alles an dere als eine romantisch heile Welt — doch das war er auch früher nur in einer bestimm ten Kategorie von Schul- und Kinderbüchern. Was sich heute als Ergebnis dieser Entwick lung im Ländlichen Raum darstellt, kann auch keinesfalls als Urbanisierung bezeich net werden, sondern höchstens als Suburbanisierung, diese letzte Landnahme Ist man gels planender Verantwortlichkeit und Vorausschau zwangsläufig mehrZersiedlung als Besiedlung, und der Wettlauf von Ma klern, Geometern, Bauträgern und Siedlern ist bis heute eine unentschiedene Sache. Vielmehr ist anzunehmen, daß dieses Nie mandsland zwischen Stadt und Land auf Dauer überhaupt keine Sieger, sondern im mer nur Verlierer kennt. Die kulturelle Komponente der Bedarfs befriedigung oder: Bauen als Abbild ökonomi scher und gesellschaftlicher Prozesse Zweifelsfrei kann jede Bauaufgabe — nicht nur auf dem Lande — unter dem Aspekt eines bestimmten latenten oder akuten Be darfs erklärt — und wenn nötig — auch „wis senschaftlich" begründet werden. Viel wichti ger ist heute jedoch, kritisch zu analysieren, welche kulturellen Wert- und Zielvorstellun gen hinter jedem „Bedarf" stehen, welche möglichen Alternativen zur Befriedigung tat sächlich zur Auswahl gestanden hätten und welche weiteren Bedürfnisse eine einmal er folgte Bedarfsbefriedigung nach sich zieht. Der administrativ-industrielle Komplex unse rer Gesellschaft hat bisher allerdings nichts anderes gelernt, als Bedarf von vornherein primär als Bauaufgabe zu verstehen und durch Bautätigkeit zu befriedigen: Das gilt für die milliardenschweren, erst nachträglich als notwendig erkannten Infrastruktur- und Ab wasserentsorgungsprogramme der krebsar tig wuchernden Siedlungen genauso wie für die bauliche Konzentration der Alten In der mehrgeschossigen Endzeitarchitektur von Bezirksaltenheimen. Lange war Bauen im Ländlichen Raum eine reine Sache des Handwerks, das sich auf die Befriedigung konkreter Aufträge aus vor nehmlich existenziellen Bedürfnissen zu be schränken hatte. Die heute Maß und Rhyth mus vorgebende Industrie will jedoch zusätzlich noch die Früchte jener Träume, Sehnsüchte und Wunschvorstellungen ern ten, die sie vorher gezielt über Werbung und Marketingstrategien gesät hat. 60 bis 80 Prozent der Bevölkerung — der Pro zentsatz schwankt lediglich mit der Intensität der in regelmäßigen Abständen gestellten (Suggestiv-)Umfragen der Bausparkassen zeitschriften — träumen vom Einfamilien haus im Grünen. Jedem sein eigenes Häuschen — dahinter steckt ein Bündel von kulturellen Wertvorstel lungen, die Sicherheit, Abgeschlossenheit, vor allem aber Besitz und Eigentum aus drücken sollen, was den Bauten — vor allem den Distanz bis Abwehr symbolisierenden Einfriedungen — dann auch deutlich anzu merken ist. Einfriedung als Besitzabgrenzung Heutzutage kann jeder, der die Behördenwe ge studiert und sich halbwegs im Kreditwe sen zurechtfindet, ein Haus bauen — ohne Fachwissen und fast ohne Eigenmittel. Noch weniger Sorgfalt wird in der Regel für Suche (gegebenenfalls Auswahl) und Kauf des Bauplatzes aufgewendet. Gestaltung orientiert sich am kleinsten gemeinsamen Nenner von Bauvorschriften, für die als Zu36
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