Oberösterreich, 39. Jahrgang, Heft 2, 1989

Die Vereinfachung des Sichtbaren Zu den Aquarellen von Lutz Stadlbauer Elfriede Prillinger Der Weg, einen Maler zu verstehen, geht im mer über seine Bilder, über die Auswahl sei ner „An"sichten — darin liegt der Schlüssel zu seinen Vorstellungen. Jede künstlerische Aussage entspringt ja der einmaligen Situa tion eines individuellen Daseins. In diesem allein entwickeln sich nicht nur bestimmte Möglichkeiten, sondern vor allem ganz per sönliche Sensorien, die einen nur dieser einen Persönlichkeit entsprechenden Zu gang zur Umwelt des Innen und Außen eröff nen. Wenn ein geflügeltes Wort von den un endlich vielen Wegen spricht, die nach Rom führen, so gilt dies in erhöhtem Maß von den Wegen, die der Mensch in seine Welt hinein geht: es gibt so viele Zugänge in das Dasein, wie es jemals Menschen gibt und gab. Viel leicht ist es gerade aus diesem Grund so er regend, Bilder zu betrachten, denn sie sind greifbar und sichtbar gewordene Vorstellun gen jener Stationen, die ein Einzelner auf sei nem persönlichen Weg vom Ich in die ganze Welt gefunden und bezeichnet hat. Bilder — Graphiken, Aquarelle, Zeichnungen sind also mehr als nur rahmbare Schmuck stücke für den intimen Bereich einer Woh nung; sie sind vor allem für den Maler selbst ein Teil seines Lebens. Der Aquarellist und Graphiker Lutz Stadlbauer ist sich dessen voll bewußt. Eine der reizvollsten Villen in der Satoristraße in Gmunden ist sein Heim. Das ist ein Am biente, wie man es sich nur träumen kann: das Innere des Hauses und auch der Garten im Flair der ausklingenden Jugendstilzeit und vor den Fenstern das fließende, dauernd sich verändernde Licht auf der Landschaft um Gmunden. Vor den Augen liegt die klassi sche Ansicht mit Traunstein und Schlafender Griechin — bei Schönwetter in unnachahmli cher Majestät und an stürmischen oder reg nerischen Tagen umgeben von wilden Wol kengebilden oder verschlossen hinter dem Nebel. Das ist ein Standpunkt, von dem aus man einfach malen muß. Es gibt im übrigen viele Malerkollegen unse rer Zeit, die ebenfalls der bildmäßigen Ver lockung „Satoristraße" erlegen sind. Ernst August von Mandelsloh lebte und malte lange Jahre hier ganz in der Nähe, auch Hans Hübl wohnte bis zu seinem Tode da und liebte die gleiche schöne Aussicht. Walter Schauberger suchte ganz bewußt ein Heim in dieser Straße, vor der die landschaftliche Schönheit Gmundens ihre ganze Szenerie offen aus breitet. In den zwanziger Jahren zeichnete Karl Rössing, was er von dieser Terrasse aus, die der Eiszeit zu verdanken ist, sehen konnte und schnitt es in Holz. Lutz Stadlbauer ist also in bester Gesell schaft, wenn er seine Blicke über die Bäume hin nach Schloß Ort schweifen läßt und dann den Pinsel ergreift und in schnellen Zügen die farbigen Streifen des Himmels, das abendliche Licht oder die Linien des Wassers aufzeichnet — aufzeichnet für Betrachter, die noch nach Jahren das Vibrieren jener kur zen Stunde der „Begegnung" zu spüren meinen. Aquarelle müssen schnell hingesetzt sein, wenn sie den Stimmungen des Lichtes und den Bewegungen des Wassers folgen wollen. Lutz Stadlbauer ist ein Meister solcher poeti scher Niederschriften mit dem Pinsel — und er ist dies, weil er seit vielen Jahrzehnten in dieses Metier hineingewachsen ist. In mehr als fünfzig Jahren hat er gelernt zu schauen, zu erfassen, was sich vor seinem Auge ab spielt, um es dann so aufzeichnen zu kön nen, daß es seine Lebendigkeit nicht verliert. Zu einer derartigen Fähigkeit gehört neben einer wortlos zu nennenden Feinfühligkeit auch so etwas wie ein „Sich in die Landschaft und in die Stimmung verlieren können", denn erst in der persönlichen Identifikation mit dem Gesehenen entsteht jenes absolute Ver ständnis des Wesentlichen, das selbst in der notwendigen Abstraktion der Wiedergabe noch den gesamten Umfang der Wirklichkeit ahnen läßt. Die unauffällige, von ihm selbst skizzierte Biographie Lutz Stadlbauers spart diesen wichtigen geistigen Entwicklungsprozeß aus. Es ist nur die Rede von der beruflichen Lauf bahn, die bis zur Pensionierung im Jahre 1975 die anstrengenden Aufgaben eines Hauptschullehrers und Direktors in Gmun den umfaßte, allerdings mit der besonderen Betonung des Bildnerischen, denn schon in den Jahren nach der Matura zwischen 1931 und 1937 bereitete sich Lutz Stadlbauer aus dauernd und intensiv auf die Fachprüfung für Zeichnen vor; ein Akademiestudium, das sei nem Wunsch entsprochen hätte, war aus finanziellen Gründen — wie für viele begabte junge Österreicher jener Zeit — nicht im Be reich der Möglichkeit. Nur zwei kurze Jahre der Entfaltung waren dem jungen Lehrer ver gönnt, dann mußte das Malen den geistigen Ausgleich während der Kriegsdienstjahre bil den; als sollte aber diese Zeit vergessen wer den, gingen sämtliche Bilder jener Jahre verloren. Den Anstoß für einen neuen malerischen An fang im Jahre 1947 verdankt Lutz Stadlbauer seiner verständnisvollen, leider viel zu früh verstorbenen Frau. Dieser Anstoß war nach haltig und daher ist die Ernte all der gemein samen Erlebnisse und Spaziergänge über das Land hin entsprechend umfangreich: un zählige Zeichnungen und Aquarelle. Immer spielerischer bewegte sich der Pinsel, immer intensiver erschloß sich dem Maler das Ant litz der Natur. Beim Durchblättern der verschiedenen Map pen öffnet sich dem Betrachter das Besonde re am Aquarellisten Lutz Stadlbauer: seine Fähigkeit, die leisesten Nuancen in der Land schaft, die von Stunde zu Stunde, von Tag zu Tag ihre eigenen Aussagen bieten, klar zu be greifen und wiederzugeben, jedoch nicht etwa sklavisch im Abbild, sondern bereichert durch die Anteilnahme des schauenden Künstlers. Und dabei erscheint auch eine wichtige Ergänzung, die den Lokalhistoriker erfreut: die Darstellung verschiedener vom Vergehen bedrohter Hausformen und Archi tektursituationen in kleinen Städten oder auf dem Land; so werden topographische Zu stände fixiert und vor dem Vergessenwerden gerettet. Manchmal ist man versucht, die Aquarelle Stadlbauers mit Tagebuchaufzeichnungen zu vergleichen; sie stehen da wie graphische Gedanken, da und dort offenbaren sich wie derkehrende stilistische Metaphern: Him melsbeleuchtungen, Wolkenzüge, die über Bergen und Seen ihr Spiel treiben. Man spürt dann förmlich, wie jede Sekunde ihr eigenes unwiederbringliches Gesicht hat. Trotzdem steht der Betrachter nicht vor der Momentauf nahme einer einzigen Zufallssituation, son dern findet sich selbst miteingebunden in ein fließendes, niemals endendes Schauspiel, in ein Kaleidoskop von Erscheinungen, in wel chem sich jeder kleinste Augenblick seine neue bildmäßige Zukunft vorbereitet. Die malerische Handschrift Lutz Stadlbauers in seinen Blättern ist klar, zurückhaltend, in Farbe und Licht dezent. Unwesentliche De tails verfallen der notwendigen Abstraktion und dadurch werden Blickpunkte deutlich, die sonst in der Fülle der gesamten Anschau ung kaum wahrgenommen werden. Dadurch kann es auch geschehen, daß sich eine Landschaft plötzlich über sich selbst erhebt, daß sie aufsteigt und hinaufweist in einen un ermeßlichen Himmel — wie es in einem der „Attersee"-Bilder geschieht; eine zarte Kom position von Blautönen steht hier wie ein ver wirklichter Traum vor dem Blick, die ungebro chene Tiefe läßt jeder Vermutung Raum. Ganz anders ist wieder das Aquarell „Der klei ne Ödensee". Zwar lebt auch hier über allem eine heimliche Stille, aber sie vibriert in der klaren Spiegelung des Wassers, in dem sich das Dunkel der umgebenden Wälder verdop pelt, um trotz dieser Zurückhaltung in einem strahlenden Himmelsausschnitt seinen Mit telpunkt zu erkennen. So werden Wasser und Himmel und die verschwimmenden Farben einer unermüdlich bewegten Wirklichkeit zur verblüffenden Quintessenz dieses Blattes. Aus den Bildtiteln könnte man schließen, daß Lutz Stadlbauer das Abendlicht besonders liebt. Viele seiner Blätter behandeln dieses 39

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