Oberösterreich, 38. Jahrgang, Heft 4, 1988

Das Wachs im religiösen Kunsthandwerk Herbert Hofer Die Kerze wurde bereits im alten Rom bei Kulthandlungen verwendet. Von den Römern übernahm die frühchristliche Kirche die Ver wendung der Kerze für religiöse Zwecke. Schon 160 n. Chr. erwähnt Apulejus das Ker zenlicht im kirchlichen Gebrauch. Viele Gläu bige sahen jedoch in der Benützung des Ker zenlichtes Reste des Heidentums und lehnten deshalb die Wachskerze für die christliche Kirche ab. So z. B. äußerte sich Lactantlus, der Lehrer Konstantins: „Sie zün den Gott Lichter an, als ob er im Dunkeln säße." Auch die ersten Konzile untersagten neben dem Opfern von Tieren und Früchten das Anzünden von Kerzen in den Kirchen. Gegen diese anfänglichen Widerstände, die im Wachsopfer Nachahmungen heidnischen Kults sahen, fand die Verwendung von Ker zen bald jedoch allgemeine Verbreitung. Die für den Gottesdienst notwendigen Kerzen wurden in den ersten Jahrhunderten n. Chr. von den Mitgliedern der Gemeinde herge stellt. Die Kerzenerzeugung wurde dann von den Klöstern übernommen, die mit dem christlichen Glauben auch den Gebrauch der Kerze verbreiteten. Wenn auch schon in der germanischen Früh zeit die Kenntnis einer Art von Kerzen anzu nehmen Ist, so ist doch wohl sicher, daß erst durch die Vermittlung der Kirche die eigentli che Kerze im deutschen Raum eingeführt wurde. Die christliche Religion wurde im 8. und den folgenden Jahrhunderten in Süd deutschland und den Alpenländern durch die Missionare Gallus (8. Jh. St. Gallen), Pirmin (724 Reichenau), Rupert v. Worms (8. Jh. Salzburg), Emmeram (Regensburg), Corbinian (Freising) und Kilian (Würzburg) verbrei tet. Die baid zahlreich gegründeten Klöster mußten, da die Bevöikerung noch nicht das Berufshandwerk kannte, die Handwerksar beiten selbst durch Klosterbrüder verrichten iassen. Das Wachszieherhandwerk lag dem zufolge bis in das 13. Jahrhundert in den Hän den von Mönchen. Die Klöster, die große Be sitzungen Ihr Eigen nannten, erzeugten nicht nur die Kerzen, sondern gewannen auch den Rohstoff Bienenwachs mittels einer ausge dehnten Bienenzucht selbst. Durch den steigenden Kerzenverbrauch war die klostereigene Imkerei bald nicht mehr in der Lage, die erhöhte Rohstoffnachfrage zu befriedigen. Es entwickelte sich aus diesem Rohstoffmangel „die Wachszinsigkelt". Aus der Leibeigenschaft Freigelassene verpflich teten sich für die Wohltat ihrer Freilassung und den ihnen von der Kirche garantierten Schutz zur regelmäßigen Wachsabgabe. Aber auch Freie stellten sich oftmals In Ab hängigkeit und wurden „wachseigen". Der Grund lag entweder im Entgelt für die Nutz nießung eines kirchlichen Leihgutes oder auch in frommen Beweggründen, wie etwa dem Dank für Genesung oder sonstiger Gebetserhörung. Die vieien Kiöster- und Kirchengründungen um die Jahrtausendwende hatten zur Folge, daß der Kerzenverbrauch derartige Ausmaße annahm, daß die heimische Rohstoffbasis trotz Wachszinsigkeit der erhöhten Nachfra ge nicht mehr gerecht werden konnte. Daher sahen sich die Klöster gezwungen, ausländi sches Bienenwachs einzuführen. Die Haupt lieferanten für Bienenwachs waren zu dieser Zeit die Länder des Orients und Ungarn. Die Messestädte Nordfrankreichs bildeten um die Jahrtausendwende den Hauptum schlagsplatz für Erzeugnisse aus dem Orient. So erwarb z. B. das Kloster Gorble 1036 auf der Messe In Cambray 600 Pfund Wachs. Die Hauptkirchen (z. B. Köln, Worms, Speyer, u. a.) besaßen ebenfalls eigene Wachszieherwerkstätten, in denen durch den Mesner, der auch „Cerearorium-Magister" genannt wurde, die für den Gottesdienst be nötigten Kerzen angefertigt wurden. Das Zunftstatut der Krämer in Münster 1525 weist in folgendem Ausschnitt auf die Kerzen erzeugung der Mesner (Küster) hin: „beholdlich oick den kosteren, dat sie wat verkoepen mögen bi punden, halven und verdelen, dat se in kerssen maken to eren kerken und an ders nicht." Mit dem Wachstum der Städte und der verfei nerten Lebenshaltung wurde die Kerze auch In die bürgerlichen Haushalte eingeführt. Demzufolge entstand im 13. Jahrhundert ein selbständiges Kerzenmacherhandwerk, das in zunehmendem Maße auch die Herstellung der Kerzen für den kirchlichen Bedarf über nahm. Bereits in diesem Jahrhundert schlös sen sich die Wachsziehermeister in München zu einer Zunft zusammen. Die Wachszieher erzeugten noch bis in das 15. Jahrhundert aus dem von den Kirchen beigestellten Wachs die Kirchenkerzen in Lohnarbeit. Belege hIefür sind z. B. in Form von Kölner, Breslauer und Ingolstädter Ur kunden erhalten. Das Brauchtum der Kirche, sowie vielfach auch manche kirchlichen Vorschriften, wie z. B. das Sühneverfahren, beruhten auf der mittelalterlichen Giaubenseinstellung der Be völkerung. Diese Einstellung ist im Laufe der Zeit einer aufgeklärten Rellgionsauffassung gewichen. Das mittelalterliche Sühneverfah ren eröffnete dem Täter die Möglichkeit, durch Vergleich mit der Familie des Betroffe nen sich der strafrechtlichen Folge zu entzie hen. Anstatt der Strafe mußte der Täter die im Verzierte Wachsstöcke mit Leghölzern Mehrfarbige Wachsstöcke in Buchform 21

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