Heimatwerkgedanke, Heimatwerk-Stii und Voikskuitur Helmuth Huemer In den Jahren nach dem letzten großen Krie ge sind in allen österreichischen Bundeslän dern „Heimatwerke" entstanden — die bei den ältesten in Graz und Innsbruck wurden schon 1934 gegründet —, die in den vier — bzw. fünf Jahrzehnten ihrer Wirksamkeit für einen großen Teil unserer gegenwärtigen Volkskultur stilbildend geworden sind. Ihr Einfluß erfaßte alle Bereiche des gestalten den Handwerks, die mit den traditionellen Werkstoffen zu tun haben, wie die Metall-, Holz-, Glas-, Tonerde-, Papier-, Wachs-, Flechtmaterialien- und Textil-Verarbeitung, er wurde auch in den Industriebetrieben, die diese Materialien be- oder verarbeiteten, be sonders in der Holz- und in der Textilindustrie, zeitweilig dominant und erfaßt natürlich auch breite Teile des Kunsthandwerks. Dieser — wie er seit längerem auch genannt wird — „Heimatwerk-Stil" ist in seiner besonderen Ausprägung eine Erscheinung der Ostalpen länder, der in Abwandlungen etwa von Grau bünden über das Schwabenland nach Ober bayern bis nach Südtirol und besonders in Österreich zu finden ist. Seine Auswirkungen sind in der gegenwärtigen Volkskultur Öster reichs fast überall zu spüren, man begegnet ihm auf Schritt und Tritt, z. B. in den Trachten der Musikkapellen, der vielen anderen Ver eine und einmal mehr, einmal weniger, der Privatpersonen auf Volksfesten, Messen, po litischen und anderen Gemeinschaftsveran staltungen, teilweise in den festlichen Garde roben bei den verschiedenen auch „hochkarätigen" Festspielen, deren es in Österreich zahlreiche gibt, und immer wieder, einmal mehr, einmal weniger in der Alltags kleidung der Menschen. Man begegnet ihm in zahlreichen Wohnungen der nicht bäuer lichen Bevölkerung auf dem Lande, in den Stuben der Bauern, die „etwas auf sich hal ten" und die noch stolz auf ihren Stand sind, in den Wohnungen vieler Stadthäuser und in Rudimenten bis in die Wohnsilos aus Beton und Glas. Man begegnet ihm häufig auch überall dort, wo für festliche Taufen, berufliche Anlässe, Hochzeiten und Grabgeleite, für Weihnach ten, Fasching, Ostern und Erntedank Zurich tungen getroffen werden. Jede Institution, die Erwachsenenbildung be treibt, seien es die Volksbildungswerke, die Volkshochschulen, die Wirtschaftsförderungsinstitute und die Berufsförderungsinsti tute, die Jugend- und Seniorenclubs der Reli gionsgemeinschaften, der politischen Parteien und der unpolitischen Vereinigun gen bieten neben ihren beruflichen Fort bildungsprogrammen, und natürlich auch die Heimatwerke, Kurse aus dem Bereich der überlieferten Volkskunst, mit der sich das Heimatwerk traditionell identifiziert, ja die ur sprünglich vom Heimatwerk angeregt wur den, an, wie z. B. Hinterglasmalen, Holzbemalung. Kerbschnitzen, Kreuzsticken, We ben, Stricken usw. In den Volks- und Hauptschulen wurden früher viele Handar beitstechniken gelehrt, die zum Teil auch der Volkskunst zugezählt werden können und die andererseits den Menschen praktische Hil fen geben und Freude bereiten sollten, wie z. B. Sticken, Stricken, Häkeln, Nähen u. a. In den letzten Jahren wurden diese leider von einer zentralen Unterrichtsverwaltung stark zurückgedrängt, die der Meinung war, daß solche Arbeiten nicht zur Selbstverwirkli chung, besonders der Frau, beitragen könn ten und die, weil sie für Wien unnütz empfun den, auch für die entfernten Gebiete in den Bundesländern als unnötig erachtet wurden. Viele Erwachsene erlernen aber dann mit de sto größerer Begeisterung und meistens auch mit viel mehr Mühe die Handarbeitsfer tigkeiten, die ihnen in der Schule versagt wur den. Es ist natürlich, daß sich die Arbeit des Heimatwerkes auch immer wieder über seine Randgebiete, z. B. die Fest- und Feiergestal tung, die Volksmusik, das Volkslied, den Volkstanz usw. erstreckt, die eigentlich nicht zu seinem unmittelbaren Aufgabenbereich zählen. Nach dem vorher Gesagten könnte man glau ben, daß unser Land von diesem „Heimatwerk-Stil" vollkommen beherrscht wäre — dem ist natürlich nicht so! Es hat zu allen Zei ten verschiedene Bevölkerungsschichten ge geben, die einmal mehr zur Konservativität oder zur wechselnden Mode geneigt haben, jetzt leben wir im Zeitalter des Pluralismus, in dem Vieles, auch Gegensätzliches, neben einander wirkt und in dem viele Mitbürger der „Moderne" — oder was sie dafür halten — durchaus aufgeschlossen sind. Es muß auch ehrlich eingestanden werden, daß wirklich nicht alles, was mit „HeimatwerkStil" bezeichnet bzw. was diesem unterscho ben wird, gut ist. Manchem Kursteilnehmer mangelt es an technischem Können und Ge schmack, bei manchem Handwerker und bei manchem Kunsthandwerker ist es nicht an ders, was dabei herauskommt, kann ein fürchterlicher Kitsch sein. Wenn dann noch eine sogenannte „Geschmacksgüterindu strie" Produkte im Heimatwerk-Stil erzeugt oder in europäischen oder ostasiatischen Bil ligpreisländern erzeugen läßt, dann ist das Malheur vollständig. Aber seien wir ehrlich: schlechte Produkte hat es immer, auch in der „klassischen" Zeit der Volkskunst gegeben, der Teufel sitzt nur in der Zahl und die durch unser Wirtschaftssystem erzwungene Mas senerzeugung mit der Notwendigkeit des Ab satzes zu wohlfeilen Preisen ist das eigentli che Problem. Zum Beispiel der hölzerne und bemalte „Heimatwerk-Christbaumschmuck", der ursprünglich in einer kunsthandwerkli chen, vom Heimatwerk geförderten Werkstät te in Linz hergestellt wurde, der später aber in einer noch qualitativ vertretbaren Art in den großgewerblichen Werkstätten Grödens ko piert wurde und noch wird und der schließlich von europäischen Auftraggebern in Fernost in Unmengen produziert und bei uns in den großen Handelsketten wohlfeil vertrieben wird. Die Linzer kunsthandwerkliche Werkstätte, die neben einer Großfamilie bis zu 14 Mitar beiter beschäftigte, hat rechtzeitig zuge sperrt, aber die asiatischen Mandeln im euro päischen Gewand haben, trotz erstaunlich genauer Arbeit, eine heimliche chinesische Frisur und geschickt getarnte Schlitzaugen.^ Solch unangenehme Erscheinungen treten bei unserer freien Marktwirtschaft in vielen Artikelgruppen zwangsläufig auf, sie werden provoziert durch eine scharfe Konkurrenz situation, die ja eigentlich der Tod jeder Kunst und auch jeder Volkskunst ist, und gefördert durch die weltweite Kommunikation und den weltweiten Verkehr. Es gibt aber auch eine industrielle Serienpro duktion, die absolut positiv im Sinne des Heimatwerk-Stiles zu werten ist. Hier sei die Tex tilindustrie genannt, die Seidenwebereien, die Baumwoll- und Leinenwebereien und Stoffdruckereien auf dem Sektor Tracht und Heimtextilien. Oder die manchesmal segens reichen Auswirkungen des industrial design auf Produkte der traditionellen Gebrauchsgü ter, wie Tongeschirr, Glas und Sitzmöbel, um nur einige gegensätzliche Sparten zu nen nen. Was sind das nun für Menschen, die diesem „Heimatwerk-Stil" nahe stehen oder zumin dest an einzelnen im Heimatwerk angebote nen Gegenständen ihre Freude haben? Ge nerell gesehen gehören sie allen Schichten unserer Bevölkerung an, es sind Teenagers und Twens, reifere und ältere Jahrgänge dar unter. Die Jugend wird, allerdings nicht nur aus finanziellen Gründen, in den letzten Jah ren spärlicher, da sie es ist, auf die sich die geballten Einflüsse der internationalen Mo detrends am stärksten auswirken. Wir kön nen aber feststellen, daß sich die etwas reife ren Jahrgänge bei ihrem Nestbau manches mal in irgendeiner Form wieder dem gemüt vollen, qualitäts- und zeitbeständigen Ange bot des Heimatwerkes aufschließen. Das beginnt bei der Hochzeit in Tracht, setzt sich eventuell fort bei der Einrichtung des Eßplatzes, wenn das Geld noch nicht für eine ganze Wohnungsausstattung reicht oder er streckt sich bei ganz modern Gesinnten oft nur auf einzelne Ausstattungsstücke, auf ge diegenen Hausrat, eine keramische Vase, ein 11
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