Künstler am Puls der Zeit Darstellende Kunst und Zeitgeschehen im oberösterreichischen Bereich Harry Slapnicka Einen ganz ungewöhnlichen Paukenschlag setzt gleich zum Beginn jener Zeit, in welcher der Begriff „Zeitgeschichte" einzuordnen ist (1917/1918), ein Künstler mit seiner Anklage gegen den Krieg: Klemens Brosch (1894—1926). In jungen Jahren Mitbegründer der Linzer Künstlervereinigung „MAERZ" war er zwanzigjährig Soldat geworden; als zeich nender Kriegsberichterstatter wird er bald zum großen Mahner. Seine Tuschfederzeich nungen „Gefallene vor Stacheldrahtzaun" (1914), „Soldat auf Wache vor einer Geschütz stellung" (1914) oder „Verhungerte Flüchtlin ge" (1916) und „Siesta der Henker" sind nicht nur große Kunstwerke, sondern unüberseh bare und eindrucksvolle Anklagen. Brosch ist übrigens, ähnlich wie der Salzburger Dichter Georg TrakI, an diesem Kriegserleben zerbro chen; 1926 setzte er am Linzer Pöstlingberg seinem Leben ein Ende. Ähnlich stark in der Anklage, wenn auch künstlerisch ganz anders, sind die Frühwerke des Wieners Wilhelm Träger (1907—1980), der mehr als ein halbs Leben in Oberöster reich verbrachte. Vor allem in den Linolschnit ten „Wien 1932" vermag er durch eine Ge genüberstellung vom Luxus der Neureichen in der Zwischenkriegszeit zu der Not der Kriegskrüppel das Zeitgeschehen faszinie rend darzustellen und zu werten. In seinem naiv-illustrativen Realismus erinnert er nicht nur an Masareel; er zeigt auch große Ver wandtschaft zu dem deutschen Maler Otto Dix, besonders zu dessen weltlichem Tryptichon „Großstadt". Hier sind es die grellen Far ben, die die Gegensätze noch unterstrei chen; bei Träger sind es die Kontraste von Schwarz und Weiß. Dix und Träger — ähnlich auch Remarque, dessen Roman „Im Westen nichts Neues" zur selben Zeit erscheint — haben, anders als Brosch, ein Jahrzehnt und mehr gebraucht, um das Geschehen des Krieges und seine Folgen zu verarbeiten und den Menschen vorzuhalten. Träger bleibt am Puls der Zeit; nicht die Thematik, seine Technik wandelt sich. Wenn auch einzelne dieser Blätter nicht reizlos sind — erwähnt sei in diesem Zusam menhang nur die Collage „Der Bestseller-Au tor und seine Familie" (1973) — die eindringli che Wirkung der früheren Arbeiten erreichen sie nicht. Klemens Brosch, Volltrefferloch einer Granate, Feder in Tusche, bezeichnet iinks unten Kiemens Brosch 1914, OÖ. Landesmuseum HA 1186. — Foto: Franz Gangl, Linz Expressionisten ais Mangeiware Künstler am Puls der Zeit, lebendig das Zeit geschehen verfolgend und wertend, sind in Oberösterreich eher Mangelware. Das be deutet keinen Vorwurf gegen jene, die sich nur in die Natur versenken, die der mensch liche Körper fasziniert oder deren künstleri scher Schwerpunkt das Porträt ist. Verständ nis muß man auch für die gerade im künstlerischen Bereich eher große Gruppe derer haben, die sich zurückziehen und eine solche Zurückgezogenheit als wesentliche Voraussetzung ihres künstlerischen Schaf fens betrachten. Man darf auch nicht vergessen, daß Ober österreich bis 1938 ein stilles Bauernland mit bescheidenen industriellen Enklaven war. So bringt dieses geruhsame Bauernland nur we nig Zeugnisse der Kunst des Expressionis mus hervor; Expressionisten oberösterreichi scher Herkunft kann man an den Fingern einer Hand zählen. Dieser Expressionismus mit Höhepunkten vor und nach dem Ersten Weitkrieg ist mehr als andere Kunstrichtun gen den Menschen zugewandt: den Lebe männern und Huren, den Kriegsversehrten und halbverhungerten Kindern. Das sind ge wiß nur Randzonen des Zeitgeistes, und da für fehlt auch nach 1918 im Bauernland Ober österreich mit nur vereinzelten Not- und Hungergebieten die täglich wachrüttelnde Thematik. Gewiß ist dieser Expressionismus nicht nur, aber doch vorwiegend eine GroßStadt-Kunst; eine Kunst, die Menschen, die menschliche Gegensätze braucht. Expres sionistische Landschaftsbilder gibt es zwar auch, sie fallen aber weniger ins Gewicht. So gar die Innviertier Künstlergilde, hervorge gangen aus der aus München (freiwillig) emi grierten Osternberger Künstlergruppe, bringt keinen Expressionismus und keinen Expres sionisten mit. Weil man der Not der Großstadt entfliehen will, möchte man auch nicht die Kunst der Großstadt hier in der bäuerlichen Umwelt kultivieren. Aioys Wach meint später, als er seine expres sionistische Phase unverständlicherweise entschuldigen will: „In der ländlichen Umge bung gedieh der Expresionismus nicht. Er war im Walde und in der natürlichen Atmo sphäre absurd". Übrigens hat in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg Otfried Kastner, da mals noch gewichtiger Kunstkritiker, auf eine andere Stiirichtung anspielend festgestellt, die „eisige, sezierende Klarheit des Surrealis mus (der allgemein geläufigen Form) liegt uns Oberösterreichern nicht". Hier müßte man, wenn auch nur am Rande, erwähnen, daß Karl Rössing von den Strömungen des Surrealismus nicht unberührt blieb. Wenn neben Brosch und Träger noch auf den großen Künstler und Zeitkritiker Karl Rössing (1897—1987) hingewiesen werden darf, se hen wir auch hier, daß die Ursprünge des Werkes dieses gebürtigen Gmundners im Ausland und in der Großstadt (Essen, Berlin) 8 I mm-^
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