Oberösterreich, 38. Jahrgang, Heft 2/3 1988

Das Nomadenhafte des schöpferischen Suchens Erinnerung an Kurt Ohnsorg (1927—1970) Elfriede Prillinger Im Wienheft der Zeitschrift MAGNUM vom August 1962 beleuchtet Wilhelm Mrazek den „Durchbruch der Moderne um die Jahrhun dertwende", der von den Wiener Sezessionisten wesentlich mitgetragen wurde und auch dem bis dahin vernachlässigten Kunsthand werk eine „Epoche der Entfaltung" brachte. Mit der Feststellung: „In jenen Jahren nach 1900 erlebte auch die keramische Kunst einen neuen Aufschwung ..apostrophiert der Autor bereits die Grundlagen, welche zum Verständnis des Künstlers notwendig sind, den er hier vorzustellen beabsichtigt: Kurt Ohnsorg. Die Kurzbiographie dieses Keramikers liest sich auf den ersten lakonischen Blick fast be scheiden: „Geboren 1927 in Niederösterreich, Mittel schule in Horn, Akademie für Angewandte Kunst in Wien. Nach Reisen in verschiedene europäische Länder 1954 Gründung einer eigenen Werk stätte in Wien. 1961 Gründung des JosefHoffmann-Seminars in Wien. 1963 Gründung der Internationalen Symposien für Keramik in Gmunden. Verschiedene Ausstellungen und Preise." Aus heutiger Sicht kann man vervoll ständigen: „Werke in verschiedenen öffentlichen und pri vaten Sammlungen. Gestorben 1970 in Gmunden." Diese knappen Zeilen umreißen ein beweg tes, weder für sich selbst noch für die unmit telbare und auch die weitere Umgebung im mer angenehmes künstlerisches Dasein, voll von Plänen, voll von Ideen und — trotz des abrupten Lebensabschlusses im September 1970 — auch voll von Erfolg, der im gesamten Werk hinreichend dokumentiert ist, vor allem aber in der nachhaltigen Wirkung besteht, die auf die Schüler und die gesamte kunstke ramische Entwicklung übergegangen ist. Die zwanzig Jahre seiner intensiven Schaffens zeit waren für Ohnsorg randvoll gefüllt mit Ak tivitäten. Die Studienzeit — zwischen 1943 und 1946 durch Kriegseinsatz und nachfolgende Be hinderungen gestört und unterbrochen — war erst ab 1946 effektiv. Schon im ersten Jahr wurde dem jungen Absolventen der Weg in die Keramik gewiesen, als Ohnsorg seinen ursprünglichen Plan, sich der Bildhauerei zu zuwenden, aus Vernunftgründen aufgab. Er trat also in die keramische Klasse der Akade mie für angewandte Kunst ein, die aus der ehemaligen „k. u. k. Kunstgewerbeschule des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie" hervorgegangen war und deren Aufschwung wesentlich von den gro ßen Persönlichkeiten der Jahrhundertwende: Josef Hoffmann, Michael Powolny, Koloman Moser und anderen begründet wurde. Ohnsorgs Lehrer in der Wiener Studienzeit war Robert Obsiege,r der seine technische Aus bildung an der Fachschule für Tonindustrie in Znaim gewonnen hatte, bevor er seine ab schließenden Studien bei Michael Powolny in Wien absolvierte. Hier begann also für Kurt Ohnsorg die Berührung mit einer neuen, le bendigen Auffassung von Keramik, wie sie sich seit der Jahrhundertwende angezeigt und entwickelt hatte, und er betrat damit einen Weg, der ihm sozusagen eingeboren war. „Lehrjahre" laufen zwar auch an Akade mien nicht immer in einer vordergründigen Harmonie ab, das war bei der sich immer be wußter entfaltenden Künstlerschaft Ohnsorgs eine verständliche Erscheinung. Aber nur auf diesem Weg gelangte er — wie man in heuti ger distanzierter Beurteilung sagen muß — zu jenem Standpunkt, der seiner Eigenart entsprach, der ihm den Sinn für die großen Möglichkeiten öffnete und der auch seine pädagogischen Fähigkeiten freisetzte. Nach dem Diplomabschluß wirkte Ohnsorg als freier Mitarbeiter in der Gmundner-Kera mik und in der Werkstätte Schleiß. Beiden Ar beitsstätten verdankte er wesentliche Ein sichten für seine spätere Laufbahn als freier Keramikkünstler und Seminarleiter. „Gründung einer eigenen Werkstätte in Wien 1954" — dieser Satz liest sich leicht, löst ein sozusagen verständnisvolles Nicken aus, wird zur Kenntnis genommen. Was aber steht dahinter? Im Jahre 1954 war die öffentliche Förderung nicht so selbstverständlich, wie sie heute benützt wird. Die Kosten für die Er richtung einer Werkstätte -- das heißt: An kauf eines zum Verkauf ausgeschriebenen Gewölbes im Souterrain Porzellangasse 26, Materialbeschaffung, Stromkosten, Muffel ofen und so weiter — waren für einen jungen Künstler am Beginn seiner Karriere nicht so einfach aufzubringen und konnten nur durch tätige Mithilfe von privaten Förderern und Freunden und einer bis ins Spartanische ge henden persönlichen Anspruchslosigkeit Ohnsorgs und seiner Gattin ermöglicht wer den. Doch die Anstrengung lohnte sich in vie ler Beziehung, denn diese Werkstatt ent wickelte sich binnen kürzester Zeit zu einem wichtigen Treffpunkt allgemein künstleri scher Art, wo sich Musiker, Maler, Schriftstel ler, Schauspieler und natürlich Keramiker — aber auch Architekten und Kunstfreunde zu langen Gesprächen zusammenfanden. In di rekter Nachbarschaft mit diesen Gesprächen — die oftmals Ohnsorgs „Brevier", dem „Mann ohne Eigenschaften", hätten entstie gen sein können — entstanden Skulpturen und Reliefs, deren Oberflächen und Glasu ren eine stetig wachsende Erregtheit signali sierten — und Gefäße, die Heimito von Doderer als „Vermutungen über die Gestalt der Welthöhle, in welcher wir leben" bezeichnete. Gefäß wurde für Ohnsorg zum Sinnbild, un bewußt sogar in jenem Sinn, der dem Wort eines chinesischen Weisen innewohnt, wel ches lautet: „Aus Ton bestehen Töpfe, aber der Raum in ihnen bildet erst das Wesen". Für Ohnsorg bedeutete der Ausdruck Gefäß eben das Eingefaßte, das Hineingeschiossene, dem er die diesem Wesen adäquate Außen begrenzung zu geben suchte; er zog aber auch die rückhaltlose Konsequenz aus diesem unablässigen Versuch und fand sie als strenge Erkenntnis der einmaligen Indivi dualität aller Form. Die lebende Form ist un verwechselbar. Sie ist immer und überall Uni kat und läßt sich daher auch nur in gleichsensiblen, einmaligen und unaus tauschbaren Situationen finden — das Unikat flieht die Gewohnheit. Gerade ein Vollblutkünstler gibt sich nicht mit Gewohnheiten zufrieden, auch nicht mit dem, was andere schon vor ihm gesagt, ge tan, gedacht haben. Für den Künstler beginnt die Welt in jeder Sekunde neu, denn die Summe aller Erfahrungen ist für ihn niemals Möglichkeit zur Rast auf einem erreichten Gipfel, sondern immer neue Herausforde rung. Ohnsorg suchte diese Herausforde rung und er nahm sie an wie ein selbstver ständliches Recht. Es war eine Folge der anfangs zitierten Auf wertungsbestrebungen für das Kunsthand werk in den Jahrzehnten um und nach der Jahrhundertwende, die in Kurt Ohnsorg die Idee reifen ließ, ein „Josef-Hoffmann-Seminar für keramische Gestaltung" zu schaffen, das er schließlich 1961 zusammen mit sei nem Freund und Kollegen Alfred Seidi grün dete. Bei der ersten Generalversammlung am 16. November erklärte er auch seinen persön lichen Standpunkt bezüglich der Keramik: „Die Liebe zum Handwerk ist nicht als senti mentale Neigung anzusehen, sondern als die nach wie vor vollkommenste Möglichkeit des Menschen, sich mit der Materie auseinander zusetzen. Und diese Auseinandersetzung kann man sich nicht ersparen .. . Wer sich der Mühe, die Materie zu beherrschen, nicht unterzieht, bei dem kann sowohl Persönlich keit als auch Künstlerschaft als fragwürdig gelten. Diese Verantwortlichkeit hat uns zur Idee des ,Josef-Hoffmann-Seminars' geführt." Und bei der Eröffnung dieses Seminars be kannte er sich mit folgenden Worten zu der gestellten Aufgabe: „Auf der Grundlage des Handwerks zu for schen und zu gestalten, den Reichtum der Materie für uns und alle wiederzuentdecken 45

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