Oberösterreich, 38. Jahrgang, Heft 2/3 1988

Blickfeld Oberösterreich Tendenzen und Namen junger Kunst Peter Baum Seit Jahren ist Österreichs junge Kunst in Be wegung. Auf international durchaus ver gleichbarem Niveau wurde sie pluralistischer, durchschlagskräftiger und — dank entspre chender Öffentlichkeitsarbeit und der Bemü hungen effizienter Galerien — auch offensi ver. Ihr Stellenwert im internationalen Kontext hat sich im letzten Jahrzehnt mehr und mehr gefestigt und vor allem Wien den Ruf einer le bendigen Stadt vitaler und vielfältiger künst lerischer Manifestationen und Einrichtungen eingetragen. Wenn Wien auch dieser Rang einer Impulse vermittelnden, international ausstrahlenden Metropole nicht zu nehmen ist (schließlich leben etwa 80 bis 90 Prozent aller maßgebenden jüngeren Künstler Öster reichs in dieser Stadt), so hat doch gerade ein Bundesland wie Oberösterreich in jüngster Vergangenheit seine große Bedeutung als Reservoir und Nährboden künstlerischer Be gabungen unter Beweis gestellt. Im Anschluß an die führende Rolle der Steiermark zu Be ginn der 80er Jahre (Schmalix, Bohatsch, Brandl, Mosbacher, Kern, Wurm, Strobel) gilt Oberösterreich mit Recht seit etwa 1985 als jenes vor allem in die Bundeshauptstadt aus strahlende Bundesland, dem zuletzt nicht nur der Zahl nach die meisten der interessan teren jungen Künstler entstammen, sondern auch einige der talentiertesten und entwick lungsfähigsten. Linz spielte und spielt in diesem Prozeß als Anlaufstation künstlerischer Selbstfindung und Information eine nicht zu unterschätzen de Rolle. Das Spannungsfeld seiner kleinen, doch wirksamen Szene rekrutiert sich dabei aus Impulsen, die von der Hochschule für künstlerische und industrielle Gestaltung (hier sind es vor allem die Klassen von Helmuth Gsöllpointner, Laurids Ortner und Fritz Riedl) ebenso ausgehen, wie von der zuneh mend wichtiger gewordenen Stadtwerkstatt, von der Neuen Galerie der Stadt Linz mit ihrem international ausgerichteten Ausstel lungsprogramm, dem Posthof und den inter essantesten Bestrebungen der wenigen pri vaten bzw. auf der Basis von Künstlerver einigungen fungierenden Galerien. Viele der jungen, aus Oberösterreich stammenden Maler, Graphiker, Bildhauer und Objektkünst ler finden freilich ihre Ausbildung nicht in Linz. Sie gehen in der Hauptsache an die bei den größeren Wiener Akademien und bevor zugen damit die frühe Auseinandersetzung im großstädtischen Klima und seiner härte ren Konkurrenz. Der Wiener Boden mit sei ner breiten Angebotspalette bietet den Stärk sten unter ihnen die Möglichkeit, von Galerien entdeckt und ausgestellt zu werden. Damit haben sie die Chance einer Existenz gründung als freie Künstler. Wer als Junger ausschließlich in Oberösterreich bleibt, hat es dem gegenüber schwerer, es sei denn, er erlernt die Anpassungsmechanismen des lo kalen Künstlers und gibt sich auch mit diesem Rollenspiel zufrieden. Die Schwierig keit, in der „Provinz" zu reüssieren, trifft auf den experimentellen Flügel heutiger Kunst und neuer Medien (Video, Film, Installatio nen) ganz besonders zu. Das Problem er weist sich jedoch als quantitatives, da diese Sparten neben geeigneten Vermittlern auch ein zahlenmäßig ins Gewicht fallendes, intel lektuelles, zur Auseinandersetzung bereites Publikum benötigen, wie es in der Regel doch nur in Großstädten bzw. ausgesproche nen Kunstmetropoien anzutreffen ist. Mutige Avantgardegalerien oder gar Museen, die sich konsequent dieser Dinge annehmen, fehlen hierzulande fast völlig. Beschränkt man eine Bestandsaufnahme und Analyse junger Kunst aus Oberösterreich auf die 80er Jahre und näherhin auf die Zeit nach 1985, so zeigt sich ein in Summe deut lich stärker gewordenes, facettenreiches Po tential, das den verständlichen Stilpluralis mus heutiger Kunst ebenso widerspiegelt wie den ausgeprägten individuellen Anspruch herausragender Leistungen und Anschauun gen. Auf die Generation von Josef Bauer, Gerhard Knogler, Johann Jascha, Klaus Liedl, Vallie Export, Waltraut Cooper, Marga Persson, Maria Moser und andere folgte in zwischen die Phalanx der heute meist 25- bis 35jährigen. Sie vermochte sich nicht zuletzt auch bei angesehenen Kunstwettbewerben, wie dem der Römerquelle, durchzusetzen und erfuhren damit oftmals ein erstes, vor allem von Insidern beachtetes und bewerte tes Sprungbrett. Auf eventuelle stilistische und formale Ge meinsamkeiten angesprochen, läßt sich zwar in der Gegenwartskunst Oberösterreichs kein eindeutig dominierender und gleichsam für die meisten verbindlicher Trend feststellen, im Bereich der Zeichnung gibt es jedoch so etwas wie die Fortführung einer auf Alfred Ku bin und Klemens Brosch (1894—1926) zu rückgehenden Tradition introvertierter existentieller Weltsicht. Diese, auch im Werk eines Arnulf Rainer, Walter Pichler und Gün ter Brus anzutreffende, subjektive Befragung der eigenen Position findet vor allem im rei chen zeichnerischen Oeuvre der jungen Oberösterreicher Franz Blaas, Karl Heinz Klopf und Ulrich Waibel ihre Entsprechung. Vor allem bei Blaas und Klopf, die zuletzt beide überwiegend im Ausland lebten (Ber lin, New York, Tokio), ist diese Tradition existentieller Auseinandersetzung höchst leben dig. Sie führte und führt bei ihnen zu einem, gelegentlich mit der italienischen Transavant garde vergleichbaren, poetischen Symbolis mus, der vielfach in den Möglichkeiten des reinen Schwarzweiß seine klarsten, überzeu gendsten Ausprägungen erfährt. Blaas (Jahr gang 1955), Klopf (geb. 1956 in Linz), Waibel (1958, Wels), aber auch die ihnen vorange henden, als Maler und Zeichner gleicherma ßen wichtigen Künstler, wie Siegfried Anzin ger (1952, Weyer) und Gunter Damisch (1958, Steyr), verkörpern mehr eine am Menschen engagierte Position ohne Zeigefingermoralis mus und postexpressionistischer Kraftmeie rei, in der die Zeichnung in größter Unmittel barkeit als Metapher persönlicher Befindlich keit und emotionalen Verständnisses fun giert. Die Weltsicht Anzingers, sein Ungenügen an einer bedrohten und bedrohlichen Gesellschaft, provoziert Entwürfe, Zeichnun gen und Gemälde von großer Dringlichkeit. Sie gehorchen einem schöpferischen Impe rativ, der sich nicht um ästhetische Normen und Attitüden schert, sondern künstlerische Existenzerfahrung auch aus kritischer Di stanz zu sich selbst und den angewandten bildnerischen Mitteln bezieht. Anzinger ist ein spontaner, risikobereiter Zeichner. Er kennt Ekstase und kraftvolle Geste ebenso wie graphische Lyrismen und feinste Andeu tungen, die seine zeichnerische Poesie und seelische Empfindsamkeit hervorkehren. Ek stase und Aufschrei, zeichnerische Spur, In nehalten und weitläufige Symbolik geraten bei ihm zu Impulsen und Anlässen für ein bildhaftes Begreifen, das über das konkrete Beispiel hinaus zum anschaulichen Modell einer durch Sensibilität und Abstraktionsver mögen gekennzeichneten künstlerischen Wirklichkeitsbewältigung wird. Anzingers jüngste, 1988 bei der Biennale von Venedig vorgestellten Gemälde beruhen — in gewis ser Abweichung zu früher — auf einer kom plexen, malerischen Tektonik, die in überzeu gender Weise den beherrschten, sehr bewußten und in hohem Maße kultivierten Umgang des Künstlers mit der Farbe (Eiöltempera auf Leinwand) unterstreicht. Gunter Damisch, der von Beginn an Malerei, Zeichnung und Druckgraphik gleichrangig behandelte, konfrontiert in seinen pastosen, farbig intensiven Gemälden mit einer dem hi storischen Wiener Secessionismus nicht un ähnlichen, ästhetisch betonten Feierlichkeit. Malerei als sinnliches Vergnügen, als optisch erregende Herausforderung ist die Tendenz seiner Bilder, deren thematische Anlässe und Aussagen sehr verschlüsselt und andeu tungsweise in den Tiefen einer Materie liegen (man kann dies auch wörtlich nehmen), die sich zur Autonomie des bildnerischen Voll zugs analog zu den betont malerischen Ten denzen des Informel und Abstrakten Expres sionismus der fünfziger Jahre bekennt. Seine in einem sehr weiten Sinn gegenständlich fi21

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