Oberösterreich, 38. Jahrgang, Heft 1, 1988

Es gab Fasten- und Festtagsspeisen, die ganz von der Tradition bestimmt waren. Das Hausgetränk war der Most. Zur Jause gab es einen „Sauren Kas", einen süßen „Topfenkas", einen „Gekochten Kas" oder „Erdäpfelkas" — und natürlich Speck. Gebratener, heißer Speck, manchmal auch mit Ei vermischt, war ein besonderer Leckerbissen. Ja und die Strudel dürfen nicht vergessen werden; der Kirschenstrudel, der Grießstrudel, der Wein beerstrudel, der Apfelstrudel. Manchmal wur den verschiedene Strudel in einer Rein ge macht. Als Kind habe ich noch am Vormittag beim „Strudelausziehen" geholfen, und wehe ich habe in meiner Ungeduld Löcher ge macht! Auch Mohnnudeln gab es manchmal. Früher wurde, wie jetzt noch im Waldviertel, auch im Mühlviertel viel Mohn angebaut. Vom Mohn kamen die sogenannten „Mohn kinder", mehr oder weniger debile Geschöp fe, weil man damals bei den Bauern dem Kind, das man zur Arbeit aufs Feld mitnahm, wenn es zu viel schrie, einen „Mohnzuzler" gab — einen ihn Mohnsud getauchten, ge drehten Leinenflecken. Der sogenannte „Schopper-LoisI", eine in Haslach sehr be kannte Figur, der immer zu uns zum „Neu jahrwünschen" kam und dann ein Paar war me Socken, die weißen, aus Naturwolle, bekam, und den ich aber sehr mochte, soll so ein Mohnkind gewesen sein; genauso wie seine Schwester, die man in Hartheim wäh rend der Nazizeit vergast hat. Diese Mühlviertler-Kost hat sich — wie alles, was aus einer naturgegebenen Tradition her aus entsprang und so mit ihr verbunden war — bis weit in die Zeit nach dem zweiten Welt krieg, bis in die russische Besatzungszeit hinein erhalten, und auch ich bin mit ihr auf gewachsen. Sie entsprang dem Selbstversor gungsgedanken und der Selbstversorgungs praxis der Bewohner dieser Gegend und dem sozialen und wirtschaftlichen Gefüge. Wie sehr sie mir auch damals als eintönig, ja als einfallslos erschien, so sehr sehne ich mich heute nach diesen unverfälschten Spei sen meiner Kindheit. Stets bin ich noch im mer auf der Suche nach solchen Inseln der Gastronomie im Mühlviertel, wo es in einem Landgasthaus noch einen „Leberschädel" mit Kraut und mit nicht nach Kunstdünger süßlich schmeckenden Erdäpfeln und einen gemischten Most, oder einen „Ziegerlkas" oder „Povesen" gibt. Aber auch diese Inseln sind — so wie fast alles, was mühlviertlerisch war und ist — fast zur Gänze verschwunden. Die Sozialstruktur in der vierten Generation unserer Stamm-Familie änderte sich dadurch entscheidend, daß mein Vater mit 10 Jahren „in die Studie" kam: nach Linz-Urfahr, ins bi schöfliche Knabenseminar Petrinum. Das war etwas ganz Außergewöhnliches damals, vor allem auch im Mühlviertel als einer armen Gegend, daß jemand ein Gymnasium be suchte. Meist war das nur der Fall bei ganz wohlhabenden Familien oder wenn man den Betreffenden dazu ausersehen hatte, daß er Pfarrer werden sollte. Das einzige Gymnasi um, das es seinerzeit im Mühlviertel gab, war das in Freistadt (gegründet 1867), aber schon damals führten — in Abwandlung des Sprich wortes „Alle Wege führen nach Rom" — was das Mühlviertel betrifft: alle Wege nach Linz. Auch Hauptschulen — „Bürgerschulen" be zeichnenderweise genannt — gab es bis lang nach dem Zweiten Weltkrieg nur wenige; dies in den Orten, wo die Verwaltung war, die Be zirkshauptmannschaft — bei uns oben also in Rohrbach. In der Regel besuchte man die Volksschule. Der Weg dorthin war, vor allem für die Bauernkinder der weit verstreuten Ansiedlungen und Einschichthöfe, der kleinen Weiler und der umliegenden Dörfer, oft sehr weit, stundenlang, und auch beschwerlich, besonders im Winter. Auch in die Hauptschu le nach Rohrbach gingen die Kinder von Has lach zu Fuß, was einen täglichen 10-km-Fußmarsch bedeutete. Heute fahren überall Schulbusse, die Schüler werden zur Schule und wieder nach Hause gebracht. Das Bil dungsangebot ist selbstverständlich und der Bildungserwerb wird — jedenfalls was die äu ßeren Umstände betrifft — wesentlich er leichtert. Früher hat man sich das alles schwer erringen müssen, aber man hat auch ein Leben lang um den Wert des mühsam Er rungenen gewußt und das geschätzt. Viele hatten überhaupt keine Möglichkeiten, weder was die Bildung, noch was den sozialen Auf stieg betraf. Wer arm war, blieb arm, ein Le ben lang. Mein Vater kam nach der Matura sogar nach Wien auf die Hochschule, er studierte Boden kultur, einige Semester, dann mußte er wegen der schweren Wirtschaftskrise und der daPLl ■H.iIir Links: Klaffer, signiert und datiert 1982, 22 X 29 cm Rechts: Die Rothmühle, Probedruck, signiert und datiert 1982, 22 X 35 cm

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