Neues Brauchtum in der Gemeinde Gebärden — Gesten — Symbole Rudolf Fochler Genau besehen ist es eher ein erneuertes, als ein neues Brauchtum, das gegenwärtig in angemessener Fülle praktiziert wird. Es sind auch nicht mehr die alten Gemeinschaften im engeren Sinne, sondern eben mehr oder we niger Gemeinden von unterschiedlichen Be stimmungen, die als seine „Träger" anzuspre chen sind. Mag es sich um Gruppierungen, wie Ortsgemeinden, Bezirke, Land, um Pfarr gemeinden, Schüler- und Altersgruppen, Be rufsgruppen, um Kultur- und Sportvereine handeln, die hier vereinfachend als „Gemein de" verstanden werden; sie alle lassen die Tendenz erkennen, keine amorphe Masse zu sein. Sie möchten Individualität, wollen ein Wesen mit personaler Prägung zeigen. Un sere Annahme wird vor allem durch Beob achtungen gestützt, welcher Mittel sich Be hörden und Ämter, Gruppen, Innungen und Vereine bedienen, um diese angestrebte Eigenpersönlichkeit hervorzuheben. Was früher einmal dem Haus und der Fami lie, bestenfalls dem örtlichen Kirchenvolk oder einer Handwerkerriege vorbehalten war, das übt nun auch ein überörtliches, oft sogar überregionales Konsortium oder, sie vertre tend, eine prominente Persönlichkeit aus. Freilich darf da der Begriff „Brauch" nicht in einer leider oft allzu eingeengten Bedeutung gesehen werden. Es ist auch nicht immer der „alte" Brauch, dem man begegnet, sondern ein ihm noch weitläufig verwandter Gedanke. Gerade unter den vielen, sich an der Öffent lichkeit abspielenden Formen zeigt sich, daß manches darunter nur durchführbar ist, weil man sich moderner technischer Mittel bedie nen kann. So etwa der auf Straßen und Plät zen aufgerichtete Weihnachtsbaum. Nur dank der elektrischen Beleuchtung läßt er „Christbaum für alle". Seit 1959 spenden die österreichischen Bundesländer zum Advent der Bundeshauptstadt Wien einen Christbaum. Seit 1960 erstrahlt auch in der Landeshauptstadt Linz alljährlich ein „Christbaum für alle". Außerdem wird versucht, im Advent den Linzer Hauptplatz mit einem „Christkindlmarkt" stimmungsvoll zu beleben. Im Advent 1987 sind Christbaum und Christkindlmarkt nach Urfahr vor das Neue Rathaus übersiedelt. — Foto; Kurt Aigner, Linz sich wirkungsvoll im Freien aufstellen, womit er indirekt den Nachweis erbringt, daß er in dieser Form und mit allem, was sich mit ihm und um ihn tut, nur ein weihnachtliches Re quisit jüngeren Datums sein kann. Äm „Christbaum für alle", den ein politischer Bezirk oder eine Marktgemeinde stiftet, jenes imposante Exemplar, das dann in einer stim mungsvoll gestalteten Stunde symbolisch übergeben wird, kann überdies gut die ent scheidende Veränderung beobachtet wer den, die dieser Weihnachtsbrauch erfahren hat. Sicherlich, es sind im Hintergrund die der Festzeit seit langem schon zugedachten Grundgedanken erhalten geblieben, doch al lein schon durch den Standortwechsel hat dieser früher ausgesprochen häusliche Brauch an seiner Tiefe viel verloren. Die Ten denz des Verschiebens brauchtümlicher Feiern aus der Stube auf die Straße ist beson ders deutlich an den Bräuchen im weihnacht lichen Festkreis festzustellen, wobei oben drein auch die einstmals weihevoll empfundenen Sinnbilder Immer mehr zur De koration degradiert werden. Feiern, die — sicherlich oft in bester Absicht — als Pflege des Brauchtums deklariert werden, dienen dann vordergründig mehr der Repräsentation der Veranstalter, das heißt, daß das Requisit des dabei zu begehenden Brauches, das vor dem Haupt-Sache war, damit in die Rolle einer Neben-Sache rückt. Während die alten Bräuche restlos im Glau ben wurzelten, erweisen sich die erneuerten, also die aus der häuslichen bzw. nachbar schaftlichen Sphäre in die Öffentlichkeit ab gesiedelten, als „Brauch ohne Glauben", was zusätzlich wiederum zu neueren Formen füh ren konnte. So manches, was von Bürgermeistern oder anderen politischen Amtswaltern als symboli scher Akt vollzogen wird, ist nicht immer ein Brauch im strengen Sinne. So wurde dafür der eher zutreffende Auswegsbegriff „Öffent liche Bildgebärde" (L. Schmidt) geprägt. Sol che Bildgebärden, die sich möglicherweise auf dem Wege befinden, ein Brauch zu wer den, sind nicht selten. Da rankt sich ein überaus reiches, neues bzw. erneuertes Brauchtum vornehmlich um die beiden Pole Anfang und Ende. Es häufen sich Anlässe und Gelegenheiten, um dem entsprechend gekennzeichnete Akzente zu setzen. So wird der Wunsch oder Gedanke besonders bevorzugt, allem Beginnenden, auch dem jeweils Ersten oder Erstling einer bestimmten Serie eine hervorstechende Note zu verleihen. Kaum dürfte es wohl noch vorkommen, daß ir gendwo Im Lande ein Amts-, Schul- oder So zialgebäude ohne die entsprechend zeremo niell begangene Spatenstichfeier zu bauen begonnen würde. Auch die in kurzem Ab stand notwendigerweise folgende Grund steinlegung wird mit allen Anzeichen eines Brauches abgehalten. Das Wahrnehmen sol cher Bauphasen hat im Privat- oder Familien bereich, wo sich derartige Brauchgedanken ja zunächst einmal entwickelt hatten, merk lich nachgelassen; die „öffentliche Hand" läßt hingegen als Bauherr solche Anlässe keines wegs ungenützt vorüberziehen. Was also einst dem Hausvater als ein brauchtümliches Recht zustand, das wird nun vom „Landes vater" oder anderen Persönlichkeiten ausge übt. Solchen Ersthandlungen kommt nicht bloß Im Augenblick der festlich begangenen Stunde ihre Bedeutung zu. An diesen Akt 43
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