Lebendige Krippentradition Dietmar Assmann Zu den bedeutendsten und wotil auch innig sten Schöpfungen der Volkskunst zählt die Krippe, insbesondere die Weihnachtskrippe, also die Darstellung der Geburt Christi nach dem kurzen Bericht des Evangelisten Lukas „und sie gebar ihren erstgeborenen Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz war" (2, 7). Stilkunst und Volkskunst, und zwar in ihren verschiedensten Richtungen und Aus drucksmöglichkeiten, beschäftigen sich mit diesem Thema, nämlich der szenischen Be wältigung des Geschehens unter Einbezie hung verschiedensten Beiwerkes, durch wel ches eine Identifikation des Künstlers wie des Betrachters mit der zentraien Darstellung er möglicht, zumindest wesentlich erleichtert wird. Die Krippe ist letztlich nur als Teil der religiö sen Kunst zu verstehen, so sehr sie auch vor allem innerhalb der Volkskunst eine selbstän dige Entwicklung und Eigenstellung erreicht hat. Der wesentliche Unterschied zur profa nen Kunst liegt dabei neben der anderen Thematik vor allem in der Funktion des Kunstwerkes. Diese Darstellungen, so ver weltlicht sie auch manchmal scheinen, sind nämlich auch Mittel zum Zweck, die Hinwen dung zum Transzendenten zu erleichtern und schließlich zu verstärken. So gesehen sind die Weihnachtskrippen nicht für sich allein, isoliert aus ihrer Umgebung, zu betrachten und schon gar nicht zu verstehen, sondern nur in ihrem größeren Zusammenhang, näm lich mit dem religiösen Brauchtum. Erfreuli cherweise hat sich gerade in den letzten Jahren der Trend zur Weihnachtskrippe ver stärkt, und das keineswegs nur in den tradi tionellen Krippenlandschaften. Bei diesem Begriff dachte und denkt man ge legentlich noch heute nur an das Salzkam mergut, das die bedeutendste Krippenland schaft Oberösterreichs ist und sicher auch zu den wichtigsten in ganz Österreich zählt. Noch vor wenigen Jahrzehnten, vor allem vor dem Erscheinen des großen Krippenwerkes von Otfried Kastner,%ar die landläufige Mei nung, daß es in Oberösterreich — abgesehen von diversen Exponaten in den verschiede nen Heimathäusern — praktisch nur im Salz kammergut eine lebendige Krippentradition gäbe. Auch die große Ausstellung 1957 in der Krypta des Neuen Linzer Domes sowie die Szenenfoto einer Aufführung des „Ischler Krippenspieles", dessen Tradition bis in das Jahr 1654 zurückreicht, vgl. „Theatralische Vorstellung von der Geburt Jesu Christi", 1883, hrsg. von W. Pailler, nach einer Ebenseer Handschrift des 18. Jahrhunderts vervollständigter Text von 1654 (Ischler Codex). Aufführungstage im heurigen Winter: 26. u. 27. Dez., sowie 3. Jänner 1988. — Foto: Josef H. Handlechner, Bad Goisern 1963 im neuen Schloßmuseum in Linz einge richtete Aufstellung der Krippenbestände^ zeigte bzw. zeigt vor allem Beispiele aus diesem Landstrich. Als Entstehungszeit der Weihnachtskrippe im heutigen Sinn ist das Ende des 16. Jahrhun derts anzunehmen. Diese Form bezeichnet der wohl bedeutendste Krippenforscher Berliner^ als eine Art „gefrorenes Theater" und Ringlei"* faßt Berliners Ausführungen fol gendermaßen zusammen: „das Wort Krippe in unserem Sinn" ist eine „festzeitlich be grenzte, figürliche und verwandelbare Dar stellung verschiedener Begebenheiten des evangelischen Weihnachtsberichtes mit An deutung der Örtlichkeit". Damit ist der Begriff Krippe allerdings auf die Weihnachtszeit be schränkt. Die einst gar nicht so seltenen „Passionskrippen" bleiben dabei unberück sichtigt, bildeten aber einst gemeinsam mit den vielen Wechselszenen bei den Krippen zur Weihnachtszeit geradezu eine Art Jahres krippe. Dieser Begriff der Krippe steht im Ge gensatz zum einfachen Krippentrog, in den feierlich das göttliche Kind in Form einer Pup pe gelegt wurde. Diese Art der Krippe ist Jahrhunderte älter und fand im sogenannten „Kindiwiegen" ihren besonderen Ausdruck. Vor allem in manchen Nonnenkiöstern hat sich dieser Brauch bis nahe in die Gegenwart erhalten. Viele Weihnachtslieder, die bei diesem Kindiwiegen gesungen wurden, sind uns überliefert, insbesondere durch die Auf zeichnungen des Augustiner-Chorherren Wilhelm Pailler® vom Stift St. Florian (1838—1895). In diesem Zusammenhang ist auch der Brauch in einigen Kirchen zu erwäh nen (z. B. in der Linzer Kapuzinerkirche), nämlich, daß nach der feierlichen Verkündi gung des Weihnachtsevangeliums bei der Christmette eine Figur des Christkindes in die ansonst bereits fertig aufgestellte Krippe gelegt wird, wobei ein Weihnachtslied gesun gen wird, zumeist das „Stille Nacht, heilige Nacht", dessen Melodie bekanntlich von Franz Xaver Gruber stammt, der 1787 — also heuer vor 200 Jahren — in Hochburg gebo ren wurde. Parallel zur Verbreitung der Weihnachtskrip pe vollzieht sich die volkstümlich gewordene Verehrung des „Prager Jesuieins" und des „Loretokindls". Eines dieser Loretokindl wur de weit über Oberösterreich hinaus bedeut sam, nämlich der Kultgegenstand des Wall fahrtsortes Christkindl b. Steyr, eine 12 cm hohe Wachsfigur des Christkindes (eine Ko pie des gnadenreichen Jesuleins der Domini kanerinnen zu Steyr); die Entstehung dieser Gnadenstätte geht auf das Jahr 1696 zurück. Dieses Kindiwiegen könnte man auch ais Rest eines Weihnachtsspieles ansehen, als dessen Schöpfer häufig der hl. Franz v. Assisi angesehen wird, der am Weihnachtsabend des Jahres 1223 im Wald von Greccio bei Rieti in Latium eine lebende Krippe aufbaute, um auf diese Welse das weihnachtliche Gesche hen dem einfachen Volk näherzubringen. Wenn auch in etwas anderer Art, so sind uns liturgische Spiele in der Weihnachtszeit be reits vor dieser Zeit überliefert. Hierbei sei insbesondere auf ein im Stift Lambach ver wahrtes Fragment eines mittelalterlichen Dreikönigsspieles verwiesen, das in direkter 13
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