Oberösterreich, 37. Jahrgang, Heft 3, 1987

Literaturbeilage Theater des Dionysos, wie in Athen, und, wie hier, ein Theater Apollons. Natürlich gibt es ein delphisches Kunstideal, das dem Gott Feindschaft ein trägt und ihn zwingt, im Kunststreit, der ja immer auch ein Streit der Welt bilder ist, offensiv zu werden. Aber dieses Ideal ist keinesfalls die Ästhetik des Piaton der „Politeia"; Ordnvmgsausdruck gewiß, nur in einem anderen, umfassenderen und darum auch vielfältigeren Sinn. Es ist anzunehmen, daß auch Piatons Entwurf einer Kunst zum Staatswohl die Fabeldichtung Äsops als gefährlich angesehen hätte, gefährlich nämlich für die staatstra gende Hierarchie der Stände. Jedoch ist das Staatsgefährliche dieser ab gründigen Tiergleichnisse nicht Motiv der delphischen Anklage gewesen; der delphische Orden verurteilte an ihnen das Gottgefährliche. Deshalb be schränkte sich die Priesterschaft nicht auf Zensur (Piaton hielt sie für ein erlaubtes und ausreichend wirksames Mittel), sondern forderte und voll zog die Tötung des Dichters. Auch Piaton hätte das sinnliche Flötenlied des Pan und des Marsyas ächten müssen, indessen kann man erwarten, daß das Orphische in seiner Ästhetik Raum gehabt hätte, schon durch den männerbündischen Akzent einer durch gleichen Geist und gleiche sittliche Schulung geschlossenen Gesellschaft. Gerade dem Orphischen gegenüber ist aber die Haltung Apollons keines wegs einsichtig, zumindest weist hier das mythologische Material Sprünge auf. Es ist überliefert, daß Orpheus als Priester Apollons dem anstürmen den Kult des Dionysos widerstanden habe, deshalb hätten ihn die mänadischen Weiber zerfleischt. Warum bringt dann gerade Apollon das weiter singende und prophezeiende Haupt des Orpheus zum Schweigen? Der Verdacht, der orphische Widerstand gegen Dionysos sei auch ein Verrat an Apollon gewesen, wird von der neuen Mythenforschung mit dem Nach weis bekräftigt, daß die Mänaden auch eine Chriffre für die Musen gewe sen seien, für die „heiligen Neun", unter deren Gesang nach einem schönen Alterswort Gerhart Hauptmann „Delphis rote Felsen tönen". Zum mänadischen Bereich steht Apollon schon von Geburt her in naher Bindung, denn Mänaden und Musen lassen in ihrer Neunzahl die alte Trias der „Großen Mutter" erkennen, für die Leto und Artemis, Mutter und Schwester Apollons, spätere Namen sind. Gerade Artemis, die Jägerin und unberührbare Jungfrau, ist das mannweibliche Pendant zum weibmännli chen Wesen Apollons. In ihm selbst bricht das Mänadische bisweilen durch: im Wettkampf mit Marsyas, wenn es sich der sieghafte Apollon nicht nehmen läßt, den unterworfenen Gegner bei lebendigem Leib zu häu ten. Und von gerade artemisischem Geist ist es, daß er, um seinen Neben buhler Leukippos zu erledigen, den Nymphen rät, nackt zu baden. Ixukippos hat sich in Mädchenkleidung Daphnes Gefolge angeschlossen. Im Bad wird er als Mann erkannt und von den Jungfrauen theomanisch in Stücke gerissen. Der Blick auf die Mythen macht klar, daß die spätionische Formulierung des griechischen Götteruniversums Sphären geschieden hat (Ober- und Unterwelt), die ursprünglich als identisch aufgefaßt worden waren. Wie im Charakter der Artemis, deren Einfluß noch als Taurische Diana (als Hekate) ins Unterirdische hinabreicht, mischen sich auch in die Natur Apollons plutonische Schatten richtender Todesgewalt. Damit ist eine Schicht er reicht, in der sich Musen und Mänaden in Eumeniden verwandeln, in die Verfolgerinnen der Todesschuld und Hüterinnen der Gesetze der Toten welt. Weil Apollon auch ihr Herr ist, vermag er den Eumeniden zu gebie ten. Reste dieser ursprünglichen, die „Tiefen" umfassenden Allgewalt fin den sich noch in der ,Orestie". Das Verhältnis Apollons zu Orpheus läßt nun die Deutung zu, Orpheus' Versuch, durch beschwörenden Gesang die Rechte des Todes aufzuheben, ein Versuch, der die Weltordnung der Götter aufzuheben drohte, sei in einem Blutgericht unter den Griffen und Bissen der Mänaden gesühnt worden. Daß sich die Musen für Orpheus in Mäna den verwandeln, die das Werk von Eumeniden vollziehen, ist bedeutsam für die delphische Auffassung von Kunst als Ordnungsausdruck. Zu ihr setzte sich Orpheus in unverzeihlichen Widerspruch, als er etwas wie eine magisch in die Wirklichkeit zeugende poesie pure erfand. Kunst sollte selbst gesetzgebend sein, Kunst sollte das von den Göttern vorausgewollte und vorausbestimmte Schicksal überwinden — menschliche Schöpferkraft tritt dann titanisch in Konkurrenz mit dem überirdischen, von Menschen nicht beeinflußbaren Weltplan. Apollon hingegen will als Künstler schicksalhaftes Gesetz gestaltet sehen („kairon hora" — Blicke auf das Gegebene); allerdings liegt ihm nicht an einer didaktischen Kunst mit plump erzieherischen Absichten. Weim man die Zweikämpfe und Gegnerschaften Apollons verfolgt, zeigt sich nämlich, daß der Gott nicht siegen will, um Ungemäßes auszuscheiden. Er will den Sieg, um sich die Substanz des Besiegten anzuverwandeln. Er tötet den Gegner, um an seine Stelle zu treten. So wird nach dem Ende des Marsyas die Kunst des Flötenspiels von Apollon wiedererweckt als pythisches Flö tenlied, das die olympischen Kämpfe begleitet. Die Magie der orphischen Lyrik kehrt, nachdem Apollon tötend selbst zu Orpheus geworden ist, als pythischer Hymnus wieder, dessen klassische Größe uns im Werk Pindars noch zugänglich ist. Die delphische Kunstmoral ist also, wie der Charakter Apollons, weit genug für alle Widersprüche, sie kennt keine Begrenzung der Form und der Emotion, aber sie läßt die Identität der Gegensätze auf leuchten durch die gemeinsame Qualität des Kathartischen. Denn zur Kat harsis führt beides: der reinigende Rausch und das reinigende Maß, das „Dionysische" wie das „Apollinische". Gegen Abend verwandelt sich die zaghaft bewaldete Schlucht der weissa genden Quellen in eine deutsche Idylle, Erinnerungen an die ernsten Land schaften Hölderlins und an die graecophile Romantik Richard Wagners. Auf diesen beschatteten Emporen könnte „Hyperion" geschrieben worden sein, seltsamerweise auch das klagende Hirtenlied, das Tristans Schlaf be gleitet. Den griechischen Horizont umnachtet keltische Schwermut, iri scher Todesfrieden. Es macht mich beinah verlegen, in solcher Höhe, die schon einen vorsichti gen Walkürenritt erlaubte, mit griechischem Gruß angesprochen zu wer den. Ich erwarte hier eher ein verkrampftes Schwyzerdütsch oder die kehli gen Ächzlaute, mit denen sich die alpinen Stämme verständigen. Zum Glück fehlen hier den Gesichtern völlig die alemannischen Züge verstock ten Bergbauernstolzes. Die ausgedörrte Verschlossenheit der Griechen, die heute Delphi bewohnen, ist nur Maske einer menschenscheuen Verbitte rung. Diese Menschen erinnern an vorgeschobene Posten, die schon die Hoffnung aufgegeben haben, abgelöst zu werden, und von der Furcht be sessen sind, die Verbindungswege könnten abgeschnitten werden, Post und Proviant könnten ausbleiben. Einige Verkaufsstände in den finster veröde ten Gassen versuchen einladend auszusehen. Die üblichen grell eingefärb ten Teppiche und Felle. Die Hände, die sie anbieten, zittern und sind von schlaffen Adern überlaufen. Die Körper der alten Weiber sind von Neural gien verkrümmt. Die Köpfe der Männer sehen aus wie bemalte Nüsse. Mit derselben Abwesenheit wird uns im Quartier kalt gewordenes Essen ge reicht. Die wenigen Handgriffe, die noch darauf schließen lassen könnten, daß man uns wahrnimmt, sprechen uns das Leben ab, machen aufmerk sam, wie unangebracht es wäre, die Speisen und den faden, verdünnten Wein wirklich zu berühren. Der Tisch ist für Versteinerte gedeckt. Es stimmt zur Atmosphäre eines verlorenen Kommandos, daß wir uns in den Zimmern dreifach in Decken hüllen müssen, wie in polaren Kojen, kaum Schlaf finden, und alle, das stellen wir am Morgen fest, wie nach geheimer Verabredung von Krieg träumen. Vor Mittemacht trete ich auf den schmalen Balkon, der sich abwärts neigt, als zöge es ihn in die Schlün de des Pleistos. Erdspalten haben sich geöffnet und verströmen gefrorenen Atem. Über dem Meer liegt schneeiges Licht, verzaubernde Todesstarre. 88

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