Oberösterreich, 37. Jahrgang, Heft 3, 1987

einerseits, aber auch in ihrer weit darüber hinausgehenden Bedeutung etwa auf dem Gebiet der Zoologie, der Physik oder auch der Ethnologie (die ethnologische Sammlung des Landesmuseums umfaßt über 800 Inven tarnummern), abgesehen von ihrer doku mentarischen landeskundlichen Bedeutung, das wohl gegründete Fundament für eine Ausstellungskonzeption, die in dem Arbeitsti tel „Landesmuseum für Natur, Mensch und Umwelt" eine oberflächliche Umschreibung findet. Es fällt auf, daß bei dem eingangs erwähnten Museumsboom naturkundliche Museen ein deutig zurücktreten. Abgesehen von dem 1983 eröffneten Westfälischen Landesmu seum für Naturkunde in Münster und dem Naturkundemuseum in Dortmund, gibt es auf diesem Gebiet so gut wie keine Neueinrich tungen oder gar Neugründungen. Auch die Naturkundemuseen in den USA, die mit dem Museum of Naturai History in New York das weltweit größte ihrer Art besitzen, zeichnet ein eher traditioneller Charakter aus, bzw. sind erst jetzt erste Ansätze zu erkennen, neue Konzeptionen zu verwirklichen. Das in diesen Fällen aber dann ein globaler An spruch in der Konzeption angestrebt wird, ist für die Sichtweise der amerikanischen Mu seen charakteristisch. Um auf Oberösterreich zurückzukommen: Es wäre sicher eine verdienstvolle Aufgabe, die erwähnten Sammlungsbestände des Lan desmuseums In bewährter Art und Welse, d. h. in systematischer und gattungsspezifi scher Hinsicht, auszustellen, fein säuberlich die einzelnen Ausstellungsräume voneinan der zu trennen und das zur Verfügung ste hende Raumangebot auf die verschiedenen Abteilungen jeweils gleichmäßig zu verteilen. Der Besucher könnte sich auf diese Weise einen entsprechenden Überblick etwa über die Wirbeltiere Oberösterreichs im Raum 1, über die gefährdeten Schmetterlingsarten im Raum 2, die Vielfalt der staatenbildenden In sekten im Raum 3 verschaffen, vergleichbare systematische Anordnungen ließen sich selbstverständlich auch für die anderen Sammlungsbestände wie der Geowissenschaften, der Botanik oder der Paläontologie durchführen. Abgesehen von der neu aufge stellten paläontologischen Abteilung im Erd geschoß geben die Sammlungen des Natur historischen Museums in Wien ein charakteristisches Beispiel für diese Art der Darstellung, die ihren Ursprung in der in das 19. Jahrhundert und darüber hinaus zurück reichenden Wissenschaftssystematik hat und die durch die verschärfte Spezialisierung der Wissenschaft des 20. Jahrhunderts ihre Fortsetzung fand. Schließlich reicht auch die interdisziplinäre Gespaltenheit im Verhältnis von Natur- und Geisteswissenschaften In das 19. Jahrhundert zurück, die unser wissen schaftliches Denken bis heute auf weite Strecken hin beeinflußt. Die mit der Heraufkunft des modernen Welt bildes zu Beginn dieses Jahrhunderts ver bundene neue Herrschaftstellung der natur wissenschaftlichen Vernunft und ihrer technologischen Auswirkungen führten je doch letztlich in ihrer analytischen Be schränktheit in drohende Krisensituationen, deren Ursachen in der seit einigen Jahren wieder aufgeflammten Theoriediskussion zu einer öffentlichen Auseinandersetzung um Sinn und Unsinn des wissenschaftlichen technischen Fortschrittes geführt haben. „Die Ausrottung von Tier- und Pflanzenarten, die Erschöpfung begrenzter Naturvorräte und Energien, die Zerstörung der ökologi schen Gleichgewichte und der mit ihnen ver bundenen Regenerationspotentiale der Irdi schen Lebenswelt sind Schwerpunktthemen dieses Streits. Ökologie als die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit des Über lebens ist das große Rahmenthema." (Günter Aitner, Die Überlebenskrise in der Gegen wart, Darmstadt 1987, S. 88). So sind wir der Ansicht, daß ein neues naturkundlich-natur wissenschaftliches Museum die Zielsetzung verfolgen sollte, unter Hinwels auf die oben angesprochene neue Erkenntnissituation über den Zustand unserer Welt und die ihn bedingenden komplexen Zusammenhänge Auskunft zu geben. Mit der ohne Zweifel dro henden Überlebenskrise stehen auch die tra ditionellen Grundmuster naturwissenschaftli cher Erkenntnis und die dadurch gegebe nen Beherrschungsmöglichkeiten zur Dis kussion. „Das kausalanaytische Denken, das auf die Erfassung partikularer Ursachenket ten ausgerichtet ist, ist nicht in der Lage Interdependenzen und Vernetzungen von Phäno menen und Prozessen zu erfassen. Die Exaktheit im Detail wird mit der Ausblendung von Ganzheit und so mit der Manipulation von Wirklichkeit bezahlt" (Günther Altner, a.a.O.). In prägnanter Welse hat C. F. von Weizsäcker den wissenschaftstheoretischen Wandel beschrieben, indem er vom „Erwach senwerden der Wissenschaft" spricht und mit diesem Vorgang einen Denkauftrag verbin det, der in vier Schritten zu vollziehen ist: A) Der Grundwert der Wissenschaft ist die reine Erkenntnis. B) Eben die Folgen der rei nen Erkenntnis verändern unaufhaltsam die Welt. C) Es gehört zur Verantwortung der Wissenschaft, den Zusammenhang von Er kenntnis und Weltveränderung zu erkennen. D) Diese Erkenntnis würde den Begriff des Erkennens seibst verändern." (C. F. von Weiz säcker, Wahrnehmung der Neuzeit, München 1983, 8 428 f.) Der hier angesprochene Zu sammenhang von Erkenntnis und Weltverän derung entspricht nun einem ganzheitlichen Denken, das in gewissen grenzübergreifen den Disziplinen der Naturwissenschaften, wie in Kybernetik, Ökologie, Theorie der offe nen Systeme, in weiten Bereichen üblich ge worden ist. Das Abkoppeln jeder Sinnfrage und Ausblenden des Aspektes von Ganzheitllchkeit in Verbindung mit einem streng ma thematisch experimentellen Ansatz sind Kennzeichen der exakten Naturerkenntnis. Goethes Naturwissenschaftsbegriff und Vik tor von Weizsäckers „Gestaltkreiskonzept" sind verschieden weit entfernte Vorläufer einer „anderen" Wisssenschaft, die in der „sozialen Naturwissenschaft" von Böhme und Schramm eine erste vorläufige Definition gefunden haben. Ausgehend von der Er kenntnis, daß die gesellschaftliche Praxis des Menschen immer eine Art Stoffwechsel mit der Natur ist, wird der traditionelle Naturbe griff der Natunwissenschaften als „men schenfreie Natur" bezeichnet. So heißt es: „die Wechselwirkung zwischen Natur und Mensch (besser gesagt der Gesellschaft) wird nicht systematisch betrachtet, sondern nur die Wechselwirkung von herauspräpa rierten Natursegmenten und technischen Ap paraten — also Wechselwirkungen innerhalb der technisch konzipierten Natur. . . Der handelnde Mensch selbst kommt dabei aber gerade in der naturwissenschaftlichen Be schreibung nicht als konkreter Wirkfaktor vor. . . Objektiv Ist die Naturwissenschaft ge rade deshalb, weil sie, bzw. insofern sie Na turgeschehen außerhalb und unabhängig von subjektiver Beeinfiußung darstellt." (G. Böhme und E. Schramm [Hrsg.]: Soziale Na turwissenschaft. Wege zu einer Erweiterung der Ökologie, Franfurt a. M. 1985, S. 25). Mit dem ebenfalls in der sozialen Naturwissen schaft geprägten Begriff des „ökologischen Gefüges" wird auf die Verwobenheit von zivili satorischer und nichtmenschlicher Lebens welt hingewiesen. Es geht dieser Wissen schaft um die „Erfassung und Gestaltung von Natur unter Berücksichtigung naturwüchsi ger und gesellschaftlicher Gegebenheiten in der Wechselwirkung miteinander" (G. Altner a.a.O., S. 170). Dieses hier nur ansatzweise mitgeteilte Denkmodell, das einem neuen, naturkund lich-naturwissenschaftlichen Museum kon zeptionell zugrunde liegen könnte, wird selbstverständlich nur in jenen Ausstellungs bereichen umsetzbar sein, die gleichsam als die Nahtstellen zwischen den einzelnen Dar stellungskomplexen angesehen werden müs sen. Die im Jahre 1978 von Frederic Vester konzipierte Ausstellung „Unsere Welt — ein vernetztes System" hatte erstmals den Ver such unternommen, die Steuerung von Sy24

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