Er stieß dann nochmals die Faust in den Teig des Lebens. Dieser Vorstoß reichte erst einmal nicht weiter als bis Skandinavien. Dort lernte er noch manches hinzu, was ihm fehlte. Als er schließlich wieder in Wien seine Arbeitslosenkarte wöchentlich zum Stempeln vorlegte, schaute er auf die Uhr, was er in seinem ganzen Leben noch nicht getan hatte. Er mußte zu seinem Erstaunen bemerken, daß es nicht mehr weit zum Mittagessen war. Darum packte er wieder ein und gondelte nach Paris, wo er den Franzosen eine Fabrik aufbauen half. Den Mittagstisch fand er aber trotz dem nicht. Er sagte sich nun: Gehe hin und werde klug, das ist das einzi ge, was du noch machen kannst. Vor dem Klugwerden erlaubte er sich noch eine Fußtour von Straßburg nach Wien, schön gemütlich durch Schwaben- und Bajuvarendörfer, um so recht in aller Besonnenheit die letzte Wandersonne auszukosten . . . Der Wiener Stadtrand nahm ihn wieder auf — und da lebt er noch." Und zum Schluß: „Er begann zu dichten. So hat er sich hingesetzt und versucht, Bruch stücke seines Lebens in Verse zu gießen. Er gab einfach Erlebtes und Geschautes in der ihm möglichen Form wieder, mit Beigabe der ihm eigenen Seelenstimmung. Zu dem Wenigen, das er seiner Mutter in ihrem entbeh rungsreichen Leben hat bieten können, legt er als recht bescheidenes Ge schenk dieses Buch hin." Das Schreiben, man kann es aus dieser Prosa lesen, lag ihm im Blute. Die Erlebnisse, die er hatte, stärkten ihn in dieser Aufgabe. Anders wäre ihm dieser Band „Brot aus den Händen der Mutter" niemals geglückt. Bei ihm schrieb, wie bei so vielen Autodidakten, die sich von Anfang an oder auch erst allmählich als Dichter entpuppten, ebenso das Es mit. Es floß ihm eben vom Hirn über Arm und Hand alles aufs Papier. So haben es seit je die echt schöpferischen Menschen gehalten. Eigentümlich, möchte man sagen, daß gerade beim Schreiben so etwas eintritt, eigentümlich aber auch, daß ein Fabriksarbeiter ebenso die Natur, das nähere und wei tere Land in seine Gedichte mit einbezieht. Vielleicht ergibt sich diese Ambivalenz zumeist in Orten wie Steyr, wo sich seit je Handwerk und später Industrie inmitten einer abwechslungsreichen Landschaft immer mehr ausgebreitet haben, wie überhaupt ganz Österreich auch heute noch diese so eigenartige Streuung besitzt, die nicht zuletzt einen Dichter wie Anton Forcher hat hervorbringen müssen. Jedenfalls schrieb er seine dichterischen Einfälle am Ende hin, ohne vorher an eine besondere Vers form zu denken. Daher wirkt er auch nach so vielen Jahren frisch, er schrieb eben, wie sein Herz es ihm eingab. „Herbst im Hinterland" ist ein gutes Beispiel dafür: Dort zieht ein alter Mann die Bügelsäge im Hollerschatten durch ein Fichtenscheit. Und auf dem Eichenstock die Hackenschläge, von schwachem Kinde, sind Vergänglichkeit für Erdgedeihen, das im Lenz geworden. Denn vor die Haustür, die jetzt offen steht, kommt bald das Nebelweib aus Nacht und Norden mit Schnee und Blätterbesen angeweht. Wohl trägt der Apfelbaum auf müden Ästen noch dunkles Laub und schenkt sein Schattenblau, doch seine Früchte sind schon in den Kästen und Weidenkörben jener Keuschlersfrau, die dort im Garten in ihr Schürzenleinen die letzten Reste an Gemüse pflückt, und die sich manchmal plaudernd zu dem kleinen Blondmädchen, ihr zur Seite, niederbückt. Ich horche, liegend, in den Rasenboden: er bleibt so stille, wie er's immer war. denn keines Protzenpferdes Hufe roden ihm seine Halme im Kanonenjahr. Mein Waffenbruder aus den Stahlgewittern liegt neben mir und schaut versonnen zu, wie vom Septemberhauch die Gräslein zittern um schwarzem Krückenholz und einem Schuh ... Nun kommt am Weichselstock der Landbriefträger. Schon schweigt die Säg' und auch die Hacke schnellt auf Spreißel nieder. Wie als Lautenschläger zur Stunde, zirpt ein Vogel überm Feld. Es kommen Frau und alter Mann und Kinder, Ernst nickt der Bote, gibt den Brief und geht. Wir schau'n zugleich zur Straße, wo in linder Talsonne hoch ein Kreuz am Wegrand steht. Kein Winterholz wird jetzt gehackt, geschnitten. Die Keuschlersfrau bedeckt nun ihr Gesicht . . . Es kam vor deutsches Land der Herbst geritten und raffte Herzen im Granatenlicht! Mein Waffenbruder spricht zur Erde nieder: Wir sind der Schnitt im Jahr, mein Kamerad! Wohl erst den Kindern dort ergrünen wieder die Frühlingsäcker nach der großen Mahd . . . Wie sich doch in diesem Gedicht heimatliche Aura mitten im menschen mordenden Krieg über menschliches Leid still verbreitet und schon wie der frühlingsstarke Hoffnung aus der Feme winkt. Anton Forcher erweist sich darin als ein echter Dichter. Daß ein Industriearbeiter wie Anton Forcher ein Nahverhältnis zum offe nen Land gehabt hat, ist — wir kennen das von den Gärten, die unsere Einfamilienhäuser einfrieden — bis auf unsere Zeit keine Seltenheit. Schließlich kehrt die Menschheit immer wieder zu ihren Anfängen zu rück, das spielt sich stets als eine Rückkehr in alte Gepflogenheiten ab, die sich als notwendig erweisen. Der Lyriker Anton Forcher ist am 13. Dezember 1950 in seiner Geburts stadt Steyr gestorben. Zuletzt hat er in Steyr-Münichholz, Puschmann straße 38, gewohnt. Mehr weiß man bis heute nicht von ihm. Vielleicht bekommt er einmal von der Stadt Steyr eine Gedenktafel gewidmet, die an ihn gemahnt. Die eine oder andere Verszeile aus seinem letzten Ge dicht in seinem Band „Brot aus den Händen der Mutter", seinem einzigen, könnte über seinem Namen und den Tagen seiner Geburt und seines Ster bens auf der Tafel stehen, etwa die 2. Strophe dieser „Nacht": Wir hehlen und bergen uns Güter in Särgen und loben den Hund, der die Diebe verbellt. Und stellen mit Bangen, nach letztem Verlangen, das Licht des Verzeihens ans Ende der Welt. Wer würde beim Lesen dieser Verse nicht daran denken, daß dieser Dich ter keiner von jenen war, die, so wie sein Zeitgenosse Alfons Petzold, von vornherein als Dichter an die Öffentlichkeit traten, sondern einer, der erst am eignen Leib erleben mußte, was in seinem Gedichtband steht und ihn bedeutsam macht? Da gebietet die Achtung den Nachkommenden, daß sie einen solchen Mann nicht vergessen. Er würde es zweifellos ver dienen, daß ein oberösterreichischer Verlag sich um eine Neuausgabe sei ner einzigartigen Gedichte samt dem Vorwort und seinen Worterklärun gen für Landsleute, die manche Wörter schon nicht mehr kennen, bemühte, wobei wahrscheinlich Univ.-Prof. Adalbert Schmidt über ihn noch mehr auszusagen hätte, als es in diesem Beitrag möglich war. 88
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