Oberösterreich, 37. Jahrgang, Heft 1, 1987

Vorher, von seiner Geburt in Steyr an, lebte er das Dasein eines Arbeiter kindes, das nicht immer auf Rosen gebettet war, schon gar nicht fünf Jahre nach dem Tode Josef Werndls, des Waffenkönigs Europas, wie er zubenannt wurde, der auch der Vater seiner Arbeiter war, so hart und grob er oft mit ihnen umgegangen ist. 15.000 Beschäftigte hatte er viel fach in seinem Werk in Steyr, in weniger auftragsreichen Zeiten oft nur die Hälfte, bis wieder ein Großauftrag aufgetrieben war. Josef Werndl hatte das Gewehrmachen von der Pike auf gelernt nach Wunsch seines Vaters, der in seiner Fabrik in Letten an der Steyr bereits 400 Arbeiter an Werkbänken und Maschinen beschäftigte. Anton Forcher lebte bis an sei nen Tod nicht anders als die Arbeiter seiner Zeit, so auch sein Vater, ein Büchsenmacher, gelebt hat. Wie erging es dabei dem jungen Forcher? Er hat das selbst unter dem Titel „Zur Wanderung hatt' ich einen Knoten stock . . seinem Gedichtband vorangesetzt. Dort heißt es: „Ein Büchsenmachergeselle, verarmter Sproß altösterreichischen, deut schen Bürgergeschlechts, heiratete eine Dienstmagd, Enkelin nordslavischer Bauern und Handwerker. Die Ehe wurde in Steyr, der oberösterrei chischen Eisenstadt, geschlossen. Im zweiten Jahr ihres Zusammenseins schenkte die Vorsehung diesem Ehepaar einen Sohn. Das war am 1. Oktober 1894. Einige Monate, bevor der Bub zur Welt kam, gab der Vater seine Arbeit im Waffenwerk zu Steyr auf. Er war ein Brausekopf, glaubte damals und später immer wieder, anderswo ein besseres Unterkommen zu finden. So kam es, daß die Mutter in ihrer Wehstunde allein war. Die liebe Not stand am Kindsbett, nahm den neuen Weltbürger in ihre Arme und blieb ihm für immer treu. Getauft wurde der Ankömmling auf den Namen An ton Einsiedler in der Stadtpfarre zu Steyr. Als der Vater nach wenigen Wochen heimkam, war er über den Stamm halter außer sich vor Freude. Er hob ihn aus den Windeln, hielt ihn hoch und jauchzte. Das Schicksalsbuch der Familie hatte ja noch viele leere Blätter . . . Dann stand der Vater Tag für Tag an seiner Drehbank vmd drechselte Pfei fenrohre. ,Die Fabrik ist mir ein Graus!', sagte er. Mit der erzeugten Ware ging er hausieren. Das Geschäft brachte lang nicht soviel ein, als früher die Fabriksarbeit. Er besann sich also wieder. Ein Posten als Monteur an einem Fabriksneubau in Deutschland war ihm recht. Denn er war nicht nur ein Büchsenmacher und Holzdrechsler: fast alle technischen Berufe hatte er im ,kleinen Finger'. Monteurleben ist ein Wanderleben. Der Vater nahm die Familie stets mit. Kaum also, daß der Bub die Höschen an den Beinen hatte, ging's hinüber ins Reich. Es war eine Wanderung von Fabrik zu Fabrik von Westfalen angefangen. In Altötting in Bayern lernte der Junge zum erstenmal, wie man in der Schulbank sitzt. In Landshut an der Isar gab es eine Schule, in der ihm der Wahlspruch seines Lebens beigebracht wurde: ,Frische Luft ist gesund!' Zu Nürnberg suchte er in der schulfreien Zeit vergebens den Nürnberger Trichter im Germanischen Museum. Als er auf der Möbelfuhre von Vater und Mutter wieder nach Österreich hinübersiedelte, hatte er schon zwei Schwestern. In Traisen, Niederöster reich, war er dann die Freude seiner Lehrer, die ihm prophezeiten, daß er gewiß einmal in einer Galgenschlinge schaukeln werde . . . Kurz und gut, die Zeit verging. Sie brachte auch noch eine dritte Schwe ster. Nach Wanderungen über Wien und Ungarn ging es in den Kärntner Heimatort des Vaters, somit auch des Buben. Ferlach war groß genug, um als Schlachtfeld für Hiebe und Bubenstreiche Platz zu bieten. Und der Va ter übte im Alltag wieder das Büchsenmacherhandwerk aus. Mit der Hosenlänge und der Schuhnummer wuchs dem Buben auch der Verstand. In der Bürgerschule zu Klagenfurt konnte er schon ein Dreieck von einem Quadrat unterscheiden. ■ Er kaufte sich auch bei einem Antiquar, der auf dem Klagenfurter Hauptplatz gleich neben dem Lind wurm seinen Schmökerstand hatte, fast sämtliche dramatischen Werke Kotzebues, um einen Kreuzer das Stück. Die las er alle und begann — selbst Dramen zu schreiben, deren Blätter in den verschiedenen Abfall körben ihre Reise um die Welt angetreten haben. In Aßling, im Krainischen, nahm der Vater sein Monteurleben wieder auf. Der schulentlassene Sohn mußte statt überflüssigen Lesens in die Fa brik mitverdienen gehen. Noch nicht siebzehn Jahre alt, glaubte der ,Bua' seiner Pflicht der Familie gegenüber ledig zu sein und ging als ungelernter Arbeiter auf die Walz. Der Vater hatte nichts dagegen und die allzu gute Mutter sagte, so wie im mer, zu allem: Ja! Den grünen Walzbruder haben die Straßen Österreichs und Deutsch lands aufgenommen. An ihren Randsteinen standen Fabriken, Steinbrü che und Baugerüste und Bauernwirtschaften, wo man mitarbeiten konn te. Der Lohn dafür brachte ihm nur weniger gute Hosen. Nach zwei Jahren kam er wieder heim und ging in die Eisenbude zu Kienberg-Gaming, Niederösterreich, arbeiten. Erst viel später schrieb er dieses Gedicht: Der Klopfer haut fest an die eichene Tür. Geh, Hausdim, geh, bring was heraus! Wir tragen die Binkel in Wichs und in Schnür. Und gibst uns was z'essen, wir danken dafür mit G'spasseln für'n Trunk und mit G'spasseln für'n Schmaus. Geh, Hausdirn, geh, bring was heraus. Vergelt's Gott, schön's Menscherl, für Brot und für Speck! Jetzt leg'n wir uns wegmüd ins Gras. Wir haben die Finger gleich mit als Besteck. Und du, liebe Hausdirn, nußkugliger Schneck, geh, bring uns auch Bimmost vom wampigen Faß zum Plaudern und Jausnen im Gras. Am Holzapfelbaum vor dem Heustadlbau, dort hab'n sich zwei Asterl verhängt zur Nacht, wann der öberknecht katzenstill schlich zum Nachbarsteig, grad als ein Sterndel verblich. Aus Wut, weil der Knecht um die Nachbardim g'längt, drum hab'n sich zwei Asterl verhängt. Na, nein, liebe Hausdirn, jetzt wirst du so rot? Na, schau doch, wir haben nur g'hetzt! Wir sind halt zwei lustige Sensenschmiedgsell'n, wir tun halt dem Herrgott die Stunden wegstehl'n, drum hat er zur Straf uns den Narrnhut aufg'setzt. Na, schau doch, wir haben nur g'hetzt! Hörst jetzt übers Land her die Wachtel: bitt, bitt . . .? Hör zu, wie der Mauskuckuck schreit! Und Sensen, von uns in der guten Zeit g'schmied't? Die rauschen jetzt her von der Wiesen im Schnitt, und d' Straßen verstaub'n uns die windige Zeit . . . Hör zu, wie der Mauskuckuck schreit! Dem Bauern ein Gruß, wann er kommt von der Mahd! Und sag ihm, die Wegzehr war gut! Es werd' ihm aufs Jahr eine dreifache Saat. Sein Garten werd' voll ihm mit Kelch und Spinat. Es rinn ihm viel Schmalz in die Pfann auf der Glut. Denn Bimmost und Speck waren gut! B'hüt Gott, liebe Hausdim! Wir gehn unsern Weg. Du wirst uns wohl nimmermehr sehn. 86

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