Oberösterreich, 37. Jahrgang, Heft 1, 1987

Die Jugendwerke des Architekten Hans Steineder Alexander Wied Es ist merkwürdig, auf welche Weise Dinge altern. Wir sprechen von Bauwerken. Noch vor 20 Jahren war für das Österreichische In stitut für Kunstforschung am Bundesdenkmalamt das Mindestalter für die Einstufung als Baudenkmal 60 Jahre (I), das galt glei chermaßen bei der Berücksichtigung in der Österreichischen Kunsttopographie wie in der praktischen Denkmalpflege für die Unter schutzstellung. Diese Grenze hat sich seither immer mehr zur Gegenwart herauf verscho ben. Es besteht aber deshalb kaum Gefahr, daß wir in Baudenkmälern ersticken werden. Diese 60-Jahre-Schwelle war sicher kein Zu fall. Fachwissenschaftlich gesehen, garantier te sie den zeitlichen Abstand, der kunsthisto rische Einordnung und Beurteilung erheblich erleichtert. Aber auch kultursoziologisch dürften 60 Jahre eine Spanne sein, die für verschiedene Phänomene relevant Ist; Die entsprechenden Mode-Nostalgien begannen dem Jugendstil, der Art-Deco, den 40er und 50er Jahren in etwa demselben Abstand nachzujagen. Es mag sein, daß ersieh in letz ter Zeit verringert hat, mit 60 Jahren jeden falls, also nach etwa einem Menschenalter, hat die „Zeit" dem Gebilde „Patina" ange setzt, einen zweiten Schein, aber hier nicht gemeint im Sinne von äußeren Altersspuren, sondern inhaltlich durch die Veränderung des soziokulturellen und architekturge schichtlichen Zusammenhanges. Das Modi sche veraltet unbarmherzig, Qualität bleibt lebendig, in jedem Fall werden die Gebilde deutlicher, das Charakteristische tritt mit einer kaum vorausgeahnten Klarheit hervor. Ehemals vertraut Zeitgenössisches geht auf Distanz, rückt ins Historische ab, wird zum „Denkmal", wird kunstgeschichtliches Ob jekt, wechselt seine Seinsebene: das Zweck hafte der Architektur tritt zugunsten des Kunsthaften zurück und wird uns aufs neue vertraut. Wo nicht, setzt meist Zerstörung ein. Daß jene Bauten Steineders, die in diesem Heft vorgestellt werden, diese magischen 60 Jahre erreichten, erleichtert ihnen im Hin blick auf das Gesagte sicher interessierte Aufnahme über eine bisher dünne Kenner schicht hinaus. Denn nur dieser dürfte der Ar chitekt Hans Steineder bisher bekannt gewe sen sein. Er wurde am 27. 2. 1904 in Linz geboren und starb am 29. 3.1976 daselbst. Nach Absolvie rung der Hauptschule in Linz begann er das Architekturstudium in Salzburg und trat an schließend in die Meisterklasse von Peter Behrens an der Wiener Akademie ein, wel cher die ehemalige Klasse Otto Wagners (t1918) von 1922 bis zu seinem Abgang nach Berlin (1936) leitete. Die frühe Publikation über diese Behrens-Schule, 1930 von Karl Maria Grimme herausgegeben\ gibt ein eindrucksvolles Bild der Angeregtheit und schöpferischen Vielfalt, die durch die breitge steckte Aufgabenstellung des gewaltigen Lehrers gegeben war. Wie aus Behrens' eige nem Text in der zitierten Broschüre hervor geht, war, bei großem Andrang, seine Aus wahl streng. Er nahm nur technisch bereits vorgebildete Meisterschüler, dafür dauerte das Studium nur drei Jahre, und „so entschei det dann allein die Persönlichkeit des Bewer bers, die aus der Begabung und allgemeinen Bildung erkennbar Ist." Unter den 37 meist noch mit Diplom-Projekten namentlich vorge stellten Meisterschülern scheint Steineder nebst einem Projekt für einen „Flughafen im Atlantischen Ozean" bereits mit einer ausge führten Arbeit, der Schulschwestern-Schule in Linz, Brucknerstraße 8 (Abb. 2) auf, die schon 1927/29 entstand, als Arbeit eines 23jährigen. Neben den Bauten von Behrens selbst finden sich in diesem Heft noch ausge führte Arbeiten seines damaligen Assistenten und späteren Nachfolgers Alexander Popp — die Linzer Tabakfabrik entstand in dieser Zeit (1929—1935) —, weiters von William Mu schenheim, Georg Neidhardt, Adolf Paar, Erich Richter, Hermann Stiegholzer, Walter Pind, Hermann Tamussino und Ernst Plischke, dem wohl berühmtesten BehrensSchüler. Am 6. 7. 1926 erhielt Steineder das Diplom, unterzeichnet von Behrens, Holzmeister und dem Maler Rudolf Bacher, dem damaligen Rektor der Akademie am Schillerplatz. Nach Linz zurückgekehrt, wo neben einer soliden Baumeisterarchitektur ältere bedeutende Ar chitekten wie Mauritz Balzarek, Julius Schul te und Hans Feichtelbauer ansäßig waren, stürzte sich der „genialische" Jungarchitekt sofort in die Arbeit. Eine hier gegebene Über sicht über seine damals ausgeführten Bauten zeugt nicht nur von dem enormen Arbeits tempo des Architekten, sondern auch von der Aufgeschlossenheit zweier katholischer Bau herren, die dem jungen Steineder vor dem alteingesessenen-konservativen Dombau meister Matthäus Schlager Chancen ließen. Liste der Bauten Hans Steineders Linz: 1. Brucknerstraße 8, Schule, Studentinnen heim und Kindergarten der Schulschwestern, 1927—29 (Achleitner S. 161 mit Planabb.) Abb. 2. 2. Langgasse 13, Kolpinghaus 1930/31 (Ach leitner S. 190 m. Abb.) Abb. 6 und 7. 3. Beethovenstraße 1, Wohnhaus Stocker 1930/32 (Achleitner S. 167) Abb. 10. 4. Freistädter Straße 25, Wohn- und Ge schäftshaus 1930/31 (Achleitner S. 162) Abb. 9. 5. Gürtelstraße 34, Wohnhaus, 1930/31 (Ach leitner S. 171 m. Abb.) Abb. 11. 6. Figulystraße 4, Wohnhaus Moudry 1932 (Achleitner S. 168 „vermutlich von H. Steineder") Wels: 1. Vogelweiderstraße 2—4, Wirtschaftskundliches Realgymnasium der Schulschwestern 1929/30 (Achleitner S. 130 m. Abb.) Abb. 3. 2. Kolpingstraße 20, Kolpinghaus 1934 (Ach leitner S. 136) Abb. 8. Grieskirchen: Arzthaus Doppier 1932, Stadtplatz 40 (stark verändert, Achleitner S. 54 m. Planabb.) Kremsmünster: Exerzitienhelm Subiaco 1928—32 (Achleit ner S. 62 m. Abb. vor dem Anbau) Attnang-Puchheim: Maria-Theresien-Straße 5, Schulschwestern schule 1934/35 (Achleitner S. 23 m. Abb.) Abb. 4 und 5. Enns: Molkereigebäude (nicht mehr vorhanden oder umgebaut, Achleitner S. 44) Ried i. /.; Kapuzinerberg 19, Schule der Schulschwe stern 1927—30 (Achleitner S. 88). Haiiein: Dr. Franz-Ferchl-Straße 7, Hauptschule und Mädchenpensionat der Schulschwestern 1828/29 (Achleitner S. 230 m. Abb.) Die Liste beinhaltet nicht weniger als fünf Schulbauten der Schulschwestern, von de nen vier in den Jahren 1927—30 entstanden! Die beiden Kolpinghäuser in Linz und Wels entstanden 1930/31 und 1934, das Exerzitien heim Subiaco in Kremsmünster 1928—32, im gleichen Zeitraum schuf Steineder auch noch die vier großen Wohnhäuser in Linz und Grieskirchen. Es gehört zu den Rätseln dieses Künstlers, daß er solch Impetuösen Beginn, einen wirklichen Schaffensrausch, später selbst verwirft und sich stilistisch nach 1939 in Wien einem biedermeierlichen Tradi tionalismus zuwendet. Hier sei angemerkt, daß vorliegender Aufsatz nur dem oberöster reichischen Jugendwerk gewidmet ist; eine monographische Gesamtdarstellung ist von Dietmar Steiner geplant, der sich im Besitz des Plänenachlasses befindet und dem Ich für seine selbstlose Hilfe und Überlassung ei niger Plänephotos herzlich danke. Zwei un datierte Entwürfe aus Steineders Akademie zelt entstammen u. a. diesem Fundus (Abb. 1). Beide Zeichnungen, die in der Ge stik phallische Sternwarte, die aufs erste ent fernt an Erich Mendelssohns „Einsteinturm" 61

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