Spinnerei hieße, bezeichnete ein Arbeiter die Kleinmünchner Actien-Spinnerei 1897^®. An dererseits muß erwähnt werden, daß in Klein münchen angesichts der großen Wohnungs not unter den Arbeitern eine der ersten Arbeitersiedlungen in Oberösterreich gebaut wurde. Zwischen 1897 und 1900 entstanden die „Aschenhäuser", so genannt, weil als Rohmaterial der ersten Häuser dieser Sied lung Steinkohlenasche verwendet wurde. Zwar wohnten hier in der Regel nicht die vie len ungelernten Arbeiterinnen mit ihren Fami lien, sondern die Siedlung hatte in erster Linie den Zweck, einen Stamm von Fachar beitern und Professionisten stärker an die Fa brik zu binden, aber dieses Beispiel deutet doch eine Änderung im sozialen Denken der Unternehmer an. Ein niedrigeres Lohnniveau als in Kleinmün chen soll es im Textilbereich nur noch in der Druckfabrik und Mechanischen Weberei Ge brüder Enderlin in Traun gegeben haben. Der Verdienst von maximal 70 Kreuzern täglich brachte den dortigen Arbeitern um die Jahr hundertwende die mitleidige Spottbezeich nung „Siebzigkreuzermandln" ein.®® Etwas anders waren die Probleme In der staatlichen k. k. Tabakhauptfabrik in Linz, die in einem Teil der Gebäude der ehemaligen Wollzeugfabrik untergebracht war. Hier wa ren um 1900 rund 1000 Personen beschäftigt, davon 80 bis 90 Prozent Frauen, wovon wie derum rund ein Drittel unter 15 Jahre alt war.®^ Gearbeitet wurde hier „nur" neun bis zehn Stunden täglich, weil die Arbelt sehr ge sundheitsschädlich war. Häufig finden sich Klagen darüber, daß die Arbeiterinnen Fehl geburten haben oder daß Säuglinge an der geschädigten Muttermilch sterben. Der Lohn war entsprechend der geringen Stundenan zahl, des niedrigen Durchschnittsaiters und des hohen Frauenanteils extrem gering (im Durchschnitt etwa 44 Kreuzer täglich).®® In der bürgerlichen und vor allem kirchlichen Öffentlichkeit waren die Arbeiterinnen der Ta bakfabrik wegen ihrer angeblich unkeuschen und sündigen Lebensweise verschrien. War dieser Standpunkt auch von einer einseitig moralisierenden Einstellung getragen, die an der untersten Ebene der sozialen Hierarchie, die unter dem größten materiellen Druck lei det, einsetzte, so scheint es doch durchaus plausibel, daß viele Fabriksmädchen, denen mit Ihrem Lohn oft wohl nicht einmal das Überleben gesichert war, zur Prostitution ge zwungen waren. Die Tatsache, daß in einem Teil der Gebäude der Wollzeugfabrik auch eine Kaserne untergebracht war, mag diesen Umstand begünstigt haben. Der Geldmangel der Arbeiterinnen läßt sich aber auch an an deren Umständen ablesen. Die Vorarbeiterin nen betätigten sich bisweilen als Zwischen händlerinnen mit allerhand lebensnotwen digen Sachen für ihre Untergebenen, die hier in der Fabrik Geschäfte mit Ratenzahlungen abwickeln konnten. Auf Raten zu kaufen, war zwar einerseits oft die einzige Möglichkeit, zu bestimmten notwendigen Dingen zu kom men, andererseits hieß es dann jeden Sams tag einen Teil des Lohnes gleich wieder los zuwerden und letztlich teuer zu kaufen. Wenn die Raten nicht mehr zu bezahlen waren, mußte man erst recht Schulden machen oder eben schauen, anderweitig zu Geld zu kom men. „Die Not macht eben erfinderisch und so mag es denn sein, daß mit dem Ein- und Verkauf der oft recht minderwertigen Sachen großer Mißbrauch getrieben wird. Die Löhne sind gering, das Leben will auch von armen Fabriksmädeln gelebt sein und da kennt sich schließlich vor lauter Zahlen manche nicht mehr aus."®® In den holz- und wasserreichen Gegenden von Oberösterreich kam es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Gründung einer Reihe von Zeliulose- und Papierfabri ken. Neben den großen Fabriken in Steyrermühl, Nettingsdorf oder Laakirchen, wo die Arbeiterbewegung bald Fuß fassen konnte, was vielfach eine Verbesserung der Arbeits bedingungen mit sich brachte, gab es eine Reihe von kleinen Fabriken,®'' die abseits der Städte lagen und häufig noch patriarchali sche Züge in der Betriebsführung trugen, was eine Organisierung der Arbeiter sichtlich erschwerte. Die Situation in diesen Fabriken war in der Gesamtheit aber vielleicht typi scher als In den großen Betrieben. Ein Bei spiel dafür sind die Zellulose- und Papierfa briken Lenzing und Pettighofen, die dem selben Besitzer gehörten und, an der Ager unterhalb des Attersees gelegen, nur wenige Kilometer voneinander entfernt waren. Hier arbeiteten um 1900 rund 400 bis 600 Perso nen oft unter Mißachtung aller gesetzlichen Bestimmungen. So wird noch 1911 berichtet, daß im Bedarfsfall manche Arbeiter 18 bis 24 Stunden bis zur völligen Krafterschöpfung durcharbeiten mußten. „Ganz abgerackerte, unterernährte Familienväter sieht man dort staunenswerte Leistungen von Überanstren gung vollbringen, angetrieben von dem Ge danken; ,Wenn ich es nicht tue, bin ich mor gen arbeitslos und somit meine Familie dem Hunger und der Obdachlosigkeit ausge liefert.'"®® Immer wieder finden sich auch Be richte von Arbeitsunfällen auf Grund von Übermüdung und Überanstrengung. 1905 wird in der Seewalchner Gemeindechronik bemerkt, daß sich die Papierfabrik in Pettig hofen im Volksmund die Bezeichnung "Krüp pelfabrik" zugezogen hat, weil wegen der pri mitiven Anlage und den Arbeltsbelastungen so viele Unfälle passleren, daß neben Papier hier auch Krüppel erzeugt werden. Im April 1914 berichtet die „Wahrheit" in einem Sepa ratabdruck über die Arbeltsbedingungen in Pettighofen: Im Papiersaal, in dem vor allem Frauen und Mädchen arbeiten, ist es so kalt und zugig, daß nur mit Handschuhen gear beitet werden kann, der Fußboden ist aus Ze ment, die Türöffnungen sind nur mit „Kotzen" verhängt und an der Liniermaschine friert bisweilen die Farbe ein. „Am Holländerboden treffen wir ein Gemengsei von Treibriemen, Transmissionen, Maschinen, Transportwa gen, Stoffkammern, Abfälien, Kistendeckeln, ausrangierten Maschinen und Maschinen teilen in einem engen Raum beisammen, der lebensgefährlich ist. Die Arbeiter stehen teilweise bis an die Knöchel im Wasser, weil für einen entsprechenden Abfluß nicht ge sorgt ist. Dort und da kauert in einem Winkel ein Arbeiter, hastig sein Mittagsmahl verschlingend . . ."®® Am 11. April 1914 wurden in der Umgebung der Fabrik in den Postkästen, an Fensterbän ken und am Boden Flugblätter gefunden, in denen zur Teilnahme an einer Versammlung des Verbandes der Arbeiterschaft der chemi schen Industrie aufgerufen wurde: „Es hat fast den Anschein, daß man bisher auf Euch vergessen hat. Niemand kümmerte sich um Euch, um Eure Lohn- und Arbeitsverhältnis se. (. . .) Macht es so wie die Arbeiter der Steyrermühl und anderwärts! Kommt In die Versammlung, organisiert Euch und schafft mit vereinten Kräften Verhältnisse, die den Arbeiter als Menschen anerkennen."®'' Anmerkungen: 1 Hans Hautmann / Rudolf Kropf: Die österreichi sche Arbeiterbewegung vom Vormärz bis 1945, Linz 1974, S. 71 f. 2 Fritz Klenner: Die österreichischen Gewerk schaften, Bd. 1, Wien 1951, S. 205 3 Bericht der k. k. Gewerbe-Inspectoren über ihre Amtsthätigkeit im Jahre 1888, S. 89 4 Österreichischer Metallarbeiter (ÖMA), 14. 1. 1904 5 Rudolf Kropf: Oberösterreichs Industrie (1873—1938). Ökonomisch-strukturelle Aspekte einer regionalen Industrieentwicklung, Linz 1981, S. 236 ff. 6 Alfred Hoffmann: Wirtschaftsgeschichte des Landes Oberösterreich, Bd. 1, Salzburg 1952, S. 362 ff. 7 Vgl. ebenda, 8. 364f. 8 Vgl. ÖMA, 17. 9. 1903. 9 Vgl. Wolfgang Maderthaner: Der „verleihkaufte" Arbeiter. Arbeiterexistenz und politisches Bewußt sein um 1900 am Beispiel der Waidhofner Sen senschmiede, in: Archiv 1986. Jahrbuch des Ver eins für Geschichte der Arbeiterbewegung, Wien 1986, S. 68 ff. 10 ÖMA, 4. 4. 1895 54
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