Oberösterreich, 37. Jahrgang, Heft 1, 1987

Die Haltung der österreichischen Unterneh mer bezüglich der sie unmittelbar betreffen den „Arbeiterfrage" war naturgemäß nicht einheitlich; es Ist aber — korrellerend mit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ent wicklung — ein tendenzieller Wandel bei der Einstellung der Unternehmer, was betriebli che Personalpolitik anbelangt, feststellbar. Insbesondere In der Frühphase der Industria lisierung orientierte sich das österreichische Unternehmertum — In Anlehnung an die feu dal-patriarchalische Struktur der Gesell schaft — In der-BetrIebsführung noch ganz an patriarchallsch-paternallstlsche Denkmu ster. Die Betriebsführung war einerseits streng hierarchisch und autoritär, anderer seits aber auch von einer gewissen (freiwilli gen) Verantwortlichkeit gegenüber den Be schäftigten geprägt. Als Zielsetzung der Un ternehmensführung galt, ein Verhältnis zwi schen Unternehmensleitung und Beschäftig ten herzustellen, das über ein rein kapitalisti sches Vertragsverhältnis hinausging. Durch zusätzliche freiwillige Leistungen bot der Un ternehmer Fürsorge für die gesamte Person und erwartete dafür Loyalität und Identifika tion mit dem Betrieb. Zu den freiwilligen Lei stungen jener Zelt zählten: (begrenzte) Unter stützung Im Krankheitsfalle, Weihnachtsge schenke und Prämien an alte Belegschafts mitglleder, Gründung von Unfalls- und Penslonskassen, Errichtung von Werkswohnun gen oder Werkssiedlungen und ähnliches. Neben der Handhabung einer patrlarchallsch-paternallstlschen Personalbehandlung, die an handwerkliche beziehungsweise feu dale Traditionen anschloß, kamen auch Füh rungsmethoden zur Anwendung, die sich an Vorbilder In bürokratischen und militärischen Berelchen orientierten. Ziel jener „Arbeiter verwaltung" war es, durch Härte und Andro hung von Sanktionen (körperliche Züchti gung, Geldstrafen, Entlassung) Gehorsam — wenn auch nicht Loyalität — zu erzwingen. Belm Übergang vom Frühkapitalismus zum Hochkapitalismus Ist die zunehmende Be deutung der Kapitalgesellschaften als Unter nehmensform signifikant. Der steigende Ka pitalbedarf einer zunehmend technisierten Industrie machte neue Instrumente der Kapltalmoblllslerung notwendig. Gleichzeitig spielten die Großbanken auf Aktienbasis bei der Industriefinanzierung eine Immer größere Rolle. Die Im Hochkapitalismus einsetzende Entwicklung hin zur großbetrieblichen Ak tiengesellschaft mit Beauftragten-Unterneh mern sowie der zunehmende Einfluß des Bankkapitals hatten naturgemäß mannigfa che Auswirkungen auf das Verhältnis zwi schen Arbeltgeber und Arbeitnehmer mit sich gebracht. Die unmittelbare persönliche Bindung zwischen Arbeltgeber und Arbeltnehmer ging zurück.® Die zunehmenden Be triebsgrößen und die damit verbundene Ent wicklung hin zu einem entpersonalisierten Verhältnis zwischen Arbeltgeber und Arbeltnehmer förderte andererseits aber auch den Prozeß der Bewußtwerdung der Arbeiter als eigene Klasse, die Organisierung und Solldarlslerung der Arbeiterschaft. Die zunehmend erstarkende Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung sowie eine wach sende Senslblllslerung der Öffentlichkeit In sozial-ethischen Belangen beeinflußten auch nachhaltig das personalpolltlsche Verhalten der Unternehmer. Auffallend Ist In diesem Zu sammenhang, daß In der Habsburgermonar chie eine kontinuierliche Entwicklung hin zu einem rein kapitalistischen Arbeitsvertrags verhältnis zwischen Arbeltgeber und Arbeltnehmer, die — wie man meinen sollte — auf grund der Zunahme der Betriebsgrößen und kapitalgesellschaftllchen Unternehmensfor men hätte eintreten müssen, nicht feststell bar Ist. Vielmehr sind auch noch um die Jahr hundertwende — In Anlehnung an jene reak tionär-konservativen Vorschläge, die zur Überwindung der sozialen Frage an die (feu dal-ethische) soziale Verantwortlichkeit der Unternehmer appellierten — deutlich patrlarchallsch-paternallstlsche Denkmuster bei der Unternehmensführung erkennbar. Dies kommt vor allem In der Handhabung der so genannten „Wohlfahrtselnrichtungen" und deren Zielsetzung zum Ausdruck. Ohne den Unternehmern Im ausgehenden 19. Jahrhundert jedes soziale Anliegen grundsätzlich absprechen zu wollen, sind die betriebswirtschaftlichen sowie gesellschafts politischen Interessen, die mit der Errichtung freiwilliger Soziallelstungen verbunden wa ren, offenkundig. Neben der bereits erwähn ten Zielsetzung, durch entsprechende Wohl fahrtselnrichtungen eine engere Bindung an den Betrieb zu erwirken und so die Arbeitslei stung und Loyalität der Arbeiterschaft zu er höhen, kamen gegen Ende des 19. Jahrhun derts Im Zusammenhang mit der betriebli chen „Wohlfahrtspolltik" zusehends neue ge sellschaftspolitische Intentionen hinzu, die Im engen Zusammenhang mit dem zuneh menden Klassenbewußtsein der Arbeiter und der Erstarkung der Arbeiter- und Gewerk schaftsbewegung standen. Freiwillige „Wohl fahrtselnrichtungen" gaben der Unterneh mensleitung nicht nur ein sehr wirksames In strumentarium zur Disziplinierung der Arbei terschaft In die Hand, sondern ermöglichten darüber hinaus auch eine weltgehende Aus schaltung der Gewerkschaftsbewegung Im Betrieb sowie eine allgemeine gesellschafts politische Einflußnahme und Steuerung. Wie weit gesellschaftspolitische Steuerungs versuche durch betriebsinterne Wohlfahrts elnrichtungen gehen können und welch ge eignetes Instrument zur Diszipllnlerung der Arbeiterschaft freiwillige Soziallelstungen grundsätzlich gewesen sind, zeigt auch das Beispiel der Firma „Heinrich Franck & Söh ne" In Linz. Wie ein Im Jahre 1904 vom k. k. Arbeitsstatistischen Amt veröffentlichter Be richt über die „Wohlfahrts-Elnrichtungen der Arbeltgeber zu Gunsten Ihrer Angestellten und Arbeiter In Österreich" zeigt, gehörte dieses Unternehmen zu jenen mit den am weitest ausgebauten freiwilligen Sozialein richtungen In der gesamten Monarchie.® Die — zumindest auf den ersten Blick — durch aus beeindruckende Liste der „WohlfahrtsEinrichtungen" dieses Betriebes reichte — um In der Diktion des zeitgenössischen Be richtes zu sprechen — von der „Fürsorge für Wohnungen" (Darlehen zum jeweils niedrig sten Zinsfuß, elf Arbeiterhäuser mit Gärten für 70 Familien, ein Arbeiterhaus ohne Gar ten für zehn Familien, drei Einfamilienhäu ser), der „Jugendfürsorge" (Kindergarten), der „Fürsorge für Ernährung und Beschaf fung von Lebensmittel und Gebrauchsgegen stände" (Fabrikskantine, unentgeltlicher Grund zum Anbau von Lebensmitteln) bis hin zum „Unterstützungswesen" (Pensionskasse für Beamte, betriebsinterne Zuschüsse zu den Lebensversicherungsprämien für Arbei ter) und diversen „Spareinrichtungen". Unver kennbar Ist aber auch Im Falle der Firma Franck die Absicht, durch freiwillige soziale Leistungen die Arbeiter zu disziplinieren und eine Erhöhung der Arbeitsleistung zu errei chen. Dies kommt auch deutlich In den ent sprechenden Bestimmungen zum Ausdruck. So heißt es bezüglich der freiwilligen Leistun gen Im Bereich der Unfallversicherung In den Satzungen aus dem Jahre 1905: „Die gesam te Arbeiterschaft Ist seitens der Firma laut ge setzlicher Vorschrift gegen Unfall versichert; die Prämienzahlung erfolgt Im ganzen Um fang seitens der Firma, entgegen der gesetz lichen Verpflichtung des einzelnen Arbeiters, ein Zehntel der Versicherungsprämie aus ei genen bestreiten zu müssen. Wir gewähren die Erleichterung unseren Arbeltern bis auf weiteres als eine freiwillige Leistung (siehe Arbeitsordnung § 7). Außerdem gewährt die Firma Helnr. Franck Söhne In Linz denjeni gen Ihrer Arbeiter, welche Im Geschäfte pfllchtgetreu sich erweisen und ein geordne tes Leben führen, nachfolgende freiwillige Leistungen, wobei sich die Firma vorbehält, diejenigen gegen die Arbeltsordnung und ge gen Anstand und gute Sitten verstoßenden Arbeiter von dem Genüsse der freiwilligen Leistung ganz oder teilweise auszuschließen, oder auch die für die Arbeiterschaft allge45

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