Oberösterreich, 37. Jahrgang, Heft 1, 1987

Der Unternehmer und die soziale Frage Betriebliche „Wohifahrtseinrichtungen" um die Jahrhundertwende Ingo Andruchowitz Die „soziale Frage" wurde in der zweiten Hälf te des 19. Jahrhunderts in allen europäischen Industriestaaten zunehmend zum Gegen stand allgemeiner Erörterung. Die These der sogenannten klassischen Schule der Natio nalökonomie,'' voran jene von Adam Smith,^ daß ein freies Spiel der wirtschaftlichen Kräf te und unbeschränkte Betätigung der indivi duellen Interessen durch die Mechanismen des freien Marktes, d. h. durch die Konkur renz, zu allgemeiner Wohlfahrt — auch für die „arbeitenden Klassen" — führen werde, hatte sich als unrichtig erwiesen. Die steigen de beziehungsweise anhaltende Verelen dung der Arbeiterschaft in den auf einer kapi talistisch-liberalen Wirtschaftsordnung aufbauenden Industriestaaten hatte diese optimistische Fiktion nur allzu deutlich wider legt und die Frage nach Alternativen immer stärker aufkommen lassen. Die Lösungsvor schläge der aus humanitären, aber auch poli tischen Interessen Immer dringender wer denden sozialen Frage waren, je nach Interessenslage und Ideologie, höchst unter schiedlich. Der Bogen reichte von reaktionär konservativen Auffassungen, die eine Lö sung der sozialen Frage durch eine weitge hende Beseitigung der modernen Großindu strie zu erreichen versuchten oder aber, in Anlehnung an feudal-ethische Grundsätze, an die soziale Verantwortlichkeit der Unter nehmer appellierten, die Arbeiter nicht mehr allein als Ware (Kostenfaktor) zu sehen und durch Errichtung von entsprechenden Wohi fahrtseinrichtungen die allgemein anerkann ten Übelstände zu beseitigen, bis hin zu der sozialistisch-revolutionären Ansicht, daß al lein die Abschaffung des individuellen Eigen tums und die Übernahme der Produktions mittel durch das Proletariat die soziale Frage zufriedenstellend zu lösen vermögen.® Auch in der Habsburgermonarchie ist es nach einer von der Idee des Wirtschaftslibe ralismus geprägten Periode, aufgrund des damit verbundenen, für Staat und Gesell schaft höchst problematischen Prozesses der zunehmenden Verelendung des Indu strieproletariats, zu einer Infragestellung des optimistischen Harmonieglaubens der klassi schen Nationalökonomie gekommen. Die po litische sowie gesellschaftliche Brisanz der „Arbeiterfrage" führte schließlich zur Abkehr der von der „Laisserfaire"-ldeologie bestimmStatuten für die Betriebs-Krankencasse der Firma Actiengesellschaft der Kleinmünchner Baumwollspinnerelen und mechanischen Weberei In Kleinmünchen. — Archiv VHS Geschichtsklub Kleinmünchen (Rudolf Stelner) ten Politik der Nichteinmischung (liberale „Nachtwächterstaats-Idee") hin zu einer akti ven staatlichen Sozialpolitik. So sind dann 1883 im Wege einer Gewerbeordnungsnovel le neue arbeitsrechtliche Normen, die sich mit der Frage des Arbeitsschutzes befaßten, erlassen worden. (Schutzbestimmungen für Kinder, Jugendliche und Frauen; Schutzbe stimmungen zur Sicherung des Lebens und der Gesundheit der Arbeiter.)" Ebenfalls 1883 kam es zur gesetzlichen Einführung von Fabriks-(Gewerbe-)lnspektoren.® Eine wei tere Gewerbeordnungsnovelle im Jahre 1885 brachte dann eine Normierung des elfstündigen Arbeitstages, eine Regelung der Arbelts pausen, der Sonn- und Feiertagsruhe.® Der erste Schritt eines öffentlich-rechtlichen So zialversicherungswesens erfolgte mit dem Arbeiter-Krankenversicherungsgesetz vom 30. März 1888,' welches für alle fabriksmäßi gen Arbeiter eine Krankenversicherung ver pflichtend vorschrieb. füc bie Bctrtebs'Kranfencaffe bev girma bei' tlcinmündjucr 33aunni)olIf.bitt»ci'£i"i uub mcd)antfc[)cn Söeberei in tlcinmünc^en. §. 1. glatne, llmfang itnb bcr faffe. ®te givina: ?lctiengefe£[fd)aft bcv iCleiumüuc^itei' 33auimt)oH* fjiinneteieii unb med)atiifd)eu Söcbevei in ,t(eintnünd)en evrict)tet auf @runb be§ ©efeljeS öoin 30. SJfärj 1888 (3i.=®.»33L 33) be= ti'effenb bie Ävaufenberfic^eruug bev Stvbeitev füv i^ve f^abuüöhanfen» caffe ein neueä ©affeftatut, tneldjeS an ©teile be8 ©tatutS öoin 1. 3uli 1885 tvitt. Sie Saffe füf)rt fortan ben 9'Iainen: „Svanlencaffe für bie ^Betriebe bev givma 5lctiengefet[fd)aft bev Äleimnitnr^nev SSanmtooßffiinnereien nnb medianifdben SBebevei in Äleinniüni|en unb ©t. ißetev" unb f|at iliren ©itj in ®Ieintnünd)en. Sie genannte Ävanfencaffe tvitt bem SSeäivIS = .Sivantencaffen> ttevbanbe nid)t bei, fonbevn bleibt at§ felbftänbige füv fi(^ aüein beftel^en. §. 2. ptglicbfdjoft. 3Ritgliebev bev S3etvieb8fvanlencaffe finb bie in ben genannten iöetvieben befc^äftigten unb auf ©vunb beS oben citievten @efe^e6 43

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