Oberösterreich, 37. Jahrgang, Heft 1, 1987

den rund 811.000 Bewohnern Oberöster reichs waren 290.000 in der Landwirtschaft tätig, und zwar 117.000 Betriebsinhaber, 78.000 Familienangehörige und 95.000 frem de Arbeitskräfte. Gerade im Bereich der Land- und Forstwirt schaft gab es auch in Oberösterreich Pro blembereiche. Um die Jahrhundertwende machten christlichsoziale Arbeiter auf die Not der ärarischen Forstarbeiter in Ennstal auf merksam. Bei durchschnittlich 24 Arbeits schichten im Monat verdienten sie 20 Gulden und 40 Kreuzer; nach Abzug von Zins, Behei zung und Krankenkassenbeiträgen verblie ben noch 17 Gulden. Bei drei Kindern und so mit 5 zu versorgenden Personen stünden pro Tag nur 56 Kreuzer oder pro Person nur 11 Kreuzer zur Verfügung — und das für Le bensmittel, Bekleidung und Schuhe. Mit den täglichen 56 Kreuzern könne man aber ent weder nur % kg Schweinefleisch oder IV2 kg Zucker oder 3 Liter Bier kaufen. Der Abgang eines Landarbeiters in die Indu strie oder in den Braunkohlenbergbau war meist kein sozialer Abstieg — insbesondere nicht beim Bergbau, wo schon eine kostenlo se ärztliche Versorgung vorgesehen war. Für die Jahre knapp vor der Jahrhundertwende liegen für Oberösterreich relativ gute Anga ben über die Einkommensverhältnisse von Industriearbeitern vor. In der Textilindustrie etwa waren viele weibliche Arbeiter (Putzerei arbeiterinnen, Steckerinnen, weibliche Andreher, Vorspinnerinnen, Haspelspinnerin nen) beschäftigt, die am schlechtesten bezahlt waren. Sie erhielten 3 bis 4V2 Gulden je Woche; ihre männlichen Kollegen, die Taglöhner und Packer, zwischen 4V2 und 8 Gul den. Professionisten bekamen 1890 in Linz 6 bis 14 Gulden, Werkmeister sogar zwischen 9 und 18 Gulden — also das Doppelte wie Hilfs arbeiter. Im Salzbergbau kamen die Arbeiter auf einen Gulden je Tag, Arbeiter in der Pa pierindustrie schon auf 10 Gulden in der Wo che, im Akkord bis zu 12 Gulden. Spitzenge hälter — bis zu 17 Gulden — zahlte das graphische Gewerbe. Man darf bei all dem nicht vergessen, daß bis zum Ende der Monarchie in Oberösterreich ein typisches Proletariat nicht entstand. Die bestehenden Industriebetriebe — und sogar der größte, Werndls Waffenfabrik in Steyr — sind nichts anderes als bescheidene Inseln in einem reichen Bauernland. Es ist nicht so, daß Oberösterreich im Bereich der Industria lisierung hilflos nachgehinkt wäre; man hatte diese Industrialisierung nicht nötig, man woll te die Struktur des Bauernlandes gar nicht ändern. Bezeichnend für dieses Bauernland ist auch, daß Oberösterreich 1900 nur 3 Städ te mit mehr als 10.000 Einwohnern zählte. Hier lebten insgesamt knapp 90.000 der 811.000 Einwohner. Von den 811.000 Bewohnern Oberösterreichs wurde die reichliche Häifte, 410.000, als „Be rufsangehörige" gewertet. Von 100 Berufstäti gen waren im Jahr 1900 59 in der Landwirt schaft beschäftigt, 22 in der Industrie, 14 im öffentlichen Dienst und in freien Berufen und 5 im Gewerbe. Ungewöhnlich hoch war in all diesen Bereichen noch der Anteil der Selb ständigen. Von insgesamt rund 811.000 Be rufsangehörigen waren noch 146.000 selb ständig, überwiegend also auch Arbeitgeber. Natürlich war die Zahl der Arbeiter mit 290.000 die größte Gruppe. Von diesen waren aber die meisten, über 200.000, in der Land wirtschaft beschäftigt, nur 75.000 in der Indu strie und rund 8000 im Gewerbe. Beim Ge werbe handelte es sich also überwiegend um Kleingewerbe, auch um Ein-Mann-Betriebe. Es kam allerdings noch die relativ große Gruppe (39.000) der „Taglöhner" hinzu. Unge wöhnlich bescheiden war die Gruppe der An gestellten mit 17.000. Bei verschiedenen Berufsgruppen, insbe sondere bei den Selbständigen, ist das tat sächliche Einkommen nur schwer feststell bar. Die bescheidene Steuerleistung führte dazu, daß Tüchtige und Fleißige ungewöhn lich rasch vermögend werden konnten. An der Spitze der örtlichen Wählerlisten, die bis 1918 ja nach der Steuerleistung (Zensus) ge reiht waren, standen im ländlichen Bereich fast immer Männer mit der Berufsbezeich nung „Brauer und Bauer". Relativ groß waren auch die Gehaltsunterschiede zwischen Unselbständigen und Selbständigen, aber auch innerhalb der Unselbständigkeit. So schwankte die Entlohnung der Lehrer je nach der Größe der Gemeinde zwischen 600 und 800 Gulden. Ab der Jahrhundertwende wur den die Lehrergehälter vereinheitlicht. Han darbeitslehrerinnen kamen auf 800 Kronen, Ausbildungslehrer auf 1200, F-achlehrer auf 1600 bis 1800 Kronen, Bürgerschulditektoren auf 2200 Kronen. Bei den Bediensteten und Beamten der Statthalterei schwankten die Gehälter von Amts diener und hohen Statthaltereibeamten zwi schen 800 und 17.500 Kronen; der Gehalt eines kaiserlichen Statthalters konnte 18.000 erreichen und lag damit knapp unter dem eines Ministers mit 20.000 Kronen. Offiziere lagen knapp darunter; ein Leutnant etwa ver diente soviel wie ein Lehrer (1680 Kronen), ein Oberst kam auf 7200 Kronen und ein Ge neralmajor auf 11.000. Mit einem Gehalt von 14.000 Kronen stand Oberösterreichs Militär kommandant — meist ein Erziherzog — ge haltsmäßig unter dem Statthalter. Diese Einkommenshierarchie sagt jedoch wenig aus. Wenn auch die Lebensmittelprei se und die Mieten bei der relativ stabiien Währung kaum schwankten, muß berück sichtigt werden, daß angesichts erst begin nender Sozialgesetze von einem Netz sozia ler Sicherheit keine Rede sein konnte. Insbesondere die von den einzelnen zu be zahlenden Arztkosten fielen oft stark ins Ge wicht. Die fehlende Altersversiorgung führte am Land bei einem Teil der Landarbeiter zu der wenig erfreulichen Einrichtung der „Ein leger". Die neuen Gewerbeinspektorate tra ten übrigens auf den verschiedensten Gebie ten in Aktion; 1887 vertraten sie etwa die Ansicht, daß eine Familie je Tag bei unter40

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