Oberösterreich, 36. Jahrgang, Heft 4, 1986

Stadtbildes auch noch die gesamte Genese derseiben darzustellen. Das stadtbildwirksame Element schlechthin ist der Grundriß. Platz, Straße, Gasse und Gäßchen sowie die Lage der Stadtmauern sind schon durch die vermeintlichen Ungenauigkeiten ihrer Konfiguration Ursache einer Unverwechselbarkeit und Einmaiigkeit. Die Höhenentwicklung des Geländes und das Wechselspiel der Wegführungen mit der selben führen zu Ausformungen, bei denen keine der anderen gleichen kann. Die Zwie sprache der Stadt Braunau mit dem Inn ist so eine ursprüngiiche Originalität. Der typisch niederbayerische Stadtplatz ist an einem Ende mit dem Salzburger Torturm geschlossen, gegen den Inn hin ist er heute offen. Nach der Zerstörung der anschließen den Hoizbrücke durch den Eisstoß 1879 wur de eine Eisenbrücke um zwei Meter höher gesetzt. Das Brückentor mußte weichen. Der Grundriß, die Kleinteiligkeit der Bürgerhäuser und die Großzügigkeit des Stadtplatzes prägen das Bild von Braunau. Die Zwiesprache mit dem angrenzenden Inn und dem künstlich angelegten Stadtbach ergibt Bildwirkungen von ästhetischer Einmaligkeit. — Luftbild: Scheurecker, Schärding Wohl wurde aber von allen örtlichen Stellen die Notwendigkeit hervorgehoben, den Piatz durch einen Neubau wieder zu schließen. Die Bezirkshauptmannschaft führte ästhetische Gründe ins Treffen, die Stadtgemeinde ver langte ein Gebäude, „welches dem Haupt platze Braunaus einen geregelten Abschluß gibt und denselben von den eindringenden Stürmen und Sandwehen schützt". Von der Regierung wurde dieser Bau „aus zwingen den Rücksichten, welche in allen Zweigen des Staatshaushaites die größte Einschrän kung erheischen", abgelehnt.Bis heute ist es so geblieben. Die Lücke am Nordende des Platzes gibt heute den Blick über den Inn auf die bayeri schen Höhen frei. Sie wird von manchem ais Gewinn, von anderen als Verlust empfunden. Das Bundesdenkmalamt hat auch in den sechziger Jahren das Schließen des Platzes als nicht notwendig angesehen. Der Kirchenplatz war ehedem mit einer Mau er umschiossen und mit dem Friedhof vom Marktgeschehen getrennt ein eigener Bezirk. Die heutige Figuration rund um den dritt höchsten Kirchturm Österreichs ist von au ßerordentlicher Vielfältigkeit. Bäume spieien dort eine große raumbildende Rolle. Handwerksgassen erinnern heute nur mehr durch ihren Namen an einstige Geschäftig keit: Lederergasse, Färbergasse, Mühlen gasse, Schleifmühlgraben. Der Stadtbach durchzieht in einer Furche die Stadt. Reizvoiie Situationen biiden mit ihm angrenzende Gebäude, wie die ehemaligen Bäder, das Bürgerspital, der Wasserturm und der Bewuchs. Neben der nur mehr zur Hälfte in Ziegeln ge deckten Dachlandschaft sind Schwibbögen und Granitpflasterflächen stadtbildbe stimmend. Prägend sind die Bürgerhäuser, ihre Regel mäßigkeit im Verhältnis von Wand und Öff nung, die pasteiiige Farbenvieifalt der InnSaizach-Städte und das Sprossenfenster mit den weißen Fensterfaschen begründen einen menschlichen Maßstab und den atmosphäri schen Wert. Die kurze Darstellung einiger stadtbildprä gender Elemente für Braunau zeigt die kom plexe Vielschichtigkeit all dessen, was in Summe das Material für eine ästhetische Be wertung darstellt. Sie sind durch Unbe stimmtheit charakterisiert und daher nicht wissenschaftlich determinierbar. Da der Be trachter als Bewerter sich zu diesem Material verhält wie die zwei Seiten eines Möbiusban des, kann es kein ästhetisches Erleben einer Altstadt geben, das wir vergessen müssen, um sie zu erleben.^® Diese philosophische Weisheit gibt Sicherheit in der Auseinander setzung mit der Ästhetik der Altstädte. Mor genstern sagte es einfacher: Schön ist ei gentlich alles, was man mit Liebe betrachtet. Literatur 1 Peter M. Bode: Unser Lebensraum braucht Schutz, Denkmalschutz — eine Kampagne der „Aktion Gemeinsinn" zum Denkmalschutzjahr, in: „Eine Zukunft für unsere Vergangenheit", Bonn, Mai 1975. 2 Rainer Reinisch: Theorie der Architektur, Brau nau 1980. 3 Willibald Katzinger: Die Märkte Oberösterreichs, In: Forschungen zur Geschichte der Städte und Märkte Österreichs, Hsg.: Wilhelm Rausch im Auf trage des österreichischen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung und des Ludwlg-Boltzmann-lnstitutes für Stadtgeschichtsforschung, Linz/Donau 1978. 4 Wolfgang Braunfels: Abendländische Stadtbau kunst, Herrschaftsform und Baugestalt, Köln 1978. 5 Wolfgang Rauda: Raumprobleme im europäi schen Städtebau, Das Herz der Stadt — Idee und Gestaltung, München 1956. 6 Gerhard Kapner: Summarium zu Untersu chungsergebnissen über tiefenpsychoiogische Wirkungen von Stadtbiidern, In: Der aufbau 6/1978, Wien. 7 Franz Paveika: Die Eriebnisquailtät von Stadtbiidern/Stadtgestalten — Ergebnisse einer architektursozioiogischen Untersuchung ausgewählter Wiener innenstadtbereiche, in: Der aufbau 6/1978, Wien. 8 A. Heinz, H. Gamei, P. Thurner: Stadtgestait von Innsbruck, Innsbruck (Stadtbauamt) 1976. 9 Rainer Reinisch: Das Aitstadtensembie — Bei spiel inn-Salzach-Städte, WBF 853/1, Braunau 1984. 10 Norbert Wibiral: Denkmai und interesse, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, Band XXXVI, Wien 1983. 11 Franz Heigl: Stadtgestaitung (Städtebau 6), Wien 1985. 12 Denis Huisman: Die Ästhetik, Hamburg 1960. 13 George Santayana: The Sense ob Beauty, New York 1896. 14 Peter Breitling: Alte Stadt — heute und morgen — Gestaltwert und Nutzen alter Stadtkerne, Bayer. Staatsministerium des Inneren — Oberste Baube hörde, München 1975. 15 Peter F. Smith: Architektur und Ästhetik — Wahrnehmung und Wertung der heutigen Bau kunst, Stuttgart 1981. 16 Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main 1970. 17 Artur Waltl: Braunau am Inn — Ein Denkmal mittelalterlichen Stadtbaues, Braunau/Linz 1948. 18 Gerhard Grössnig: Indeterminismus und objektaie Phänomene, in: Mitteilungen des Institutes für Wissenschaft und Kunst 3/1984, Wien.

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