Historische Kunst Initiale des Prologs zum Buch Daniel (f. 285 r) " mcci6iaüä4>(tM^^.ms£ * * ^ ' ' iiittußd ittt^ '^i ßtmm oMtottcfttöqnDmf^ tötrciteöttcaititö^ß ^WWrtOWWOÖtl^tll^ des Materials — des Beschreibstoffes —, be stehend aus Schaf-, Ziegen- oder Kalbshäu ten, die sich nach der Art der Handschrift richtete und auch regional differierte. Für kostbare theologische Handschriften gelang ten nur makellose Häute zur Verwendung, die mitteis Kalzinierung, Reinigung und Glättung zu Pergament, einem fast unverwüstlichen Beschreibstoff, präpariert wurden. Nach der Festlegung des Formats erfolgten der Zu schnitt und die Faltung der Lagen mittels Falzbein, gefolgt von der Linierung — blind oder sichtbar — unter Verwendung von Stechzirkel und Lineal. Nun mußte nur noch die Tinte hergestellt werden und der Schrei ber konnte mit seiner Tätigkeit, die für das westliche Mönchstum als asketische Übung galt, beginnen. Im Osten waren Fasten, Nachtwachen, auch die Betrachtung der Hl. Schrift als Askese bekannt, nicht aber das Schreiben. Gerade im Hochmittelalter be gegnet man der Ansicht, Schreiben sei eine Sache für körperlich schwächliche Leute, die zu Besserem nicht zu gebrauchen seien. Das westliche Mönchstum, mehr der Arbeit zuge wandt, ist dem Schreiben als asketischer Übung nicht immer freundlich gegenüberge standen. Nur Martin von Tours erlaubte sei nen Mönchen nach dem Bericht seiner Bio graphen das Schreiben als Kunstübung, weil es zugleich Geist, Auge und Hand beschäf tige und damit ein Mittel zur Übung der Kon zentration sei. In der Benediktinerregel wird das Schreiben nicht erwähnt und so fanden sich immer wieder Übereifrige, die den" Schreibern vorwarfen, sie ließen sich von den beiden wichtigsten Formen der Askese — nämlich Arbeit und Gebet — durch eine Tä tigkeit ablenken, die keines von beiden sei. Cassiodor allerdings rechtfertigte sie: Wer Gottes Gesetze aufschreibt, ahmt Gottes Ta ten nach und der Teufel erleidet so viele Wun den, wie der Schreiber Worte des Herrn auf zeichnet. Damit ist eine Haltung gewonnen, die uns Jahrhunderte unverändert entgegen tritt. Ein rigoroser Orden wie die Karthäuser erklärte das Schreiben zum Opus speciale seiner Askese. Alles, was sich darauf bezog, wurde auch in anderen Klöstern einer stren gen Regel unterworfen. Es stand damit dem Fasten an Verdienst nicht nach, befand sich aber auch auf gleicher Linie mit dem Mönchsgesang — ein Zusammenhang, der uns heute fremdartig anmutet, jedoch in den Quellen immer wieder hervortritt. So betrach tet, verstehen wir die Schreiberverse, die von dem Stolz über das gelungene Werk berich ten und von der sicheren Hoffnung, himmli schen Lohn dafür zu erlangen. Als Unterton schwingt oft ein recht irdischer Stolz über das vollendete Werk mit, die berechtigte Freude an der künstlerischen Leistung. Anders jene, denen das Schreiben ein hartes Gebot war und sonst nichts. Drei Finger schreiben, heißt es da, aber der ganze Körper arbeite. Wer nichts vom Schreiben verstehe, meint, dies sei keine richtige Arbeit, aber es sei eine „ardua ars", greife die Augen an und ermüde alle Glieder. Süßer als der Anblick des Hafens dem Seemann, ist dem müden Schreiber der Abschluß seines Werkes. Trotzdem wurde dem Schreiber im Mittelalter große Aufmerk samkeit geschenkt. Kaum in einer Bibelab schrift fehlen Zeichnungen schreibender Evangelisten, den Schreibern als Vorbild und Mahnung. Denn wie jetzt selbst das schein bar Unwichtige in den Bereich der geistlichen Übung einbezogen wurde, so sind die Evan gelisten auch zu Mustern für eine fest vorge schriebene Hand- und Fingerhaltung gewor den. Sie war meist alles andere als bequem: Die Spitze des vierten Fingers lag an der Handwurzel, der fünfte war aufgestützt und mußte das Gewicht der ganzen Hand tragen. Zeige- und Mittelfinger und damit auch der Daumen sollten gestreckt sein. Auch wenn die Streckung der ersten drei Finger sicher übertrieben dargestellt wurde, kann man be greifen, daß so zu arbeiten äußerst schwer war. Aber bald lockerte sich diese Haltung oder man schloß einen Kompromiß, indem auch der vierte Finger als Stütze herangezo gen wurde. Die Streckung des Mittelfingers ließ nach, aber noch im 19. Jh. wurde wenig stens die Streckung des Zeigefingers in man chen Schulen verlangt. Die Kunst des Schrei bens beschränkte sich daher naturgemäß auf wenige Personen, doch erfuhr auch der Schreibbegriff seit dem Mittelalter eine Wandlung, denn unter dieser Fertigkeit ver stand man überhaupt eher das erwähnte mühsame kalligraphische Kopieren und nicht das heutige „Schreibenkönnen" an sich. Mit der Illuminierung wurde eine Handschrift komplettiert. Die Herstellung des Einbands fiel nicht mehr in die Kompetenz von Schrei ber oder Illuminator. Anmerkungen: Branner Robert Branner, University of Berkeley, USA, Manuscript painting in Paris during the reign of St. Louis, Berkeley 1977. Cassiodor Staatsmann und Geschichtsschreiber der Goten (ca. 468—538) gründete das Kloster Vivarium in Unteritalien, wo er besonders die Wissenschaften und das Abschreiben antiker Werke förderte. Fleurone Blumenverzierung, Ausdruck wird für Handschrif ten, aber auch in der Architektur verwendet. F. ist in seiner ausgebildeten Form ein über den Perga mentgrund gebreitetes, farbiges, meist aus Spira len und Blattformen zusammengesetztes Ran kenwerk. Illuminator von illuminieren, d. h. mit verschiedenen Farben versehen— kolorieren. Initiale die besonders in mittelalterlichen Handschriften und auch im Buchdruck vergrößerten, oft farbigen — oder zu einem Bild erweiterten — Anfangsbuch staben. rinceau anime belebtes Rankenwerk, bei der Bibel von Wilhering besonders mit kleinen Groteskenköpfen und Teufeln. Schmidt Univ.-Prof. Dr. Gerhard Schmidt, Univ. Wien, im Ar tikel wird Bezug genommen auf — G. Sch.: Mate rialien zur französischen Buchmalerei II, in: Wie ner Jahrbuch f. Kunstgeschichte 1984 Sämtliche Fotos: Elfriede Mejchar, Wien. Die Schriftleitung dankt Mag. .P Rainer SchramI, Bi bliothekar und Archivar des Stiftes Wilhering, für Hilfe bei Beschriftung der Abbildungen zu dieser Abhandlung. 68
RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2