Oberösterreich, 36. Jahrgang, Heft 4, 1986

Historische Kunst Die Bibel von Wiihering Anna Maria Sigmund Die Wilheringer Bibel zählt zu den Prunk stücken des Kiosterarchivs im Zisterzienser stift Wiihering bei Linz. Seit Jahrhunderten ruhte diese Kostbarkeit hier unbeachtet und es blieb dem Buch „BUder des Glaubens" vor behalten, seinen herriichen Initialschmuck einem größeren Publikum zugänglich zu ma chen. Auffällig ist der süperbe Erhaltungszu stand des Kodex, der wie neu wirkt. Dies läßt auf geringe Benützung schließen, keinesfalls diente die Bibel regelmäßigem klösterlichen Gebrauch. Keinerlei Glossen, Zusätze oder Randbemerkungen von späterer Hand stören den Gesamteindruck, auch das Bildmaterial zeigt kaum Abnützungserscheinungen durch Abreibung. Im Gegenteil; die Leuchtkraft der Deckfarben ist ungebrochen wie am ersten Tag. Demnach scheint unsere Bibel nach der Herstellung zwar sorgsam gehütet, aber ansonsten in Vergessenheit geraten zu sein. Im 19. Jahrhundert legte der damalige Wilhe ringer Stiftsarchivar .P Grillnberger ein Ver zeichnis der Klosterhandschriften an und da tierte voli Bescheidenheit die Bestände viel zu spät. So nimmt er die Entstehungszeit un serer Bibel — ebenso wie eine Expositio evangeliorum secundum Matthaeum et Marcum von 1250 — im 14. Jahrhundert an. Die Wilheringer Bibel wurde um 1240/50 in Nordfrankreich hergestellt und gehört zum Typus der mittelgroßen Bibeln, womit sie eine Mitteisteilung zwischen den Riesenbibeln des 12. und beginnenden 13. Jahrhunderts, als deren hervorragendster Exponent die Bible moraiisee der Wiener Nationalbibliothek anzusehen ist, und den im 13. Jahrhundert beliebten kleinformatigen, französischen Bi belhandschriften einnimmt. Die großformati gen Bibeln hatten jedem Buch im allgemei nen eine ganzseitige, auf jeden Fail sehr große Illumination vorangesteilt, die in einer Anzahi von Szenen die Ereignisse des Bu ches schilderten. Im Kontrast dazu enthalten die kleinen Handschriften, wie auch die Wil heringer Bibel, nur eine kleine Initialilluminierung mit einer einzigen Szene am Beginn je des Buches. Verantwortlich für diese Änderung war sicherlich das neue, kleine Format. Die Technik der Beschränkung der Illustrierung auf die ersten Worte des Textes — die sogenannte ad verbum Technik — war im 13. Jahrhundert sehr populär und trat an die Stelle symbolischer Szenen oder Darstel lungen aus dem Verlauf der Bücher. Sie bot die Möglichkeit, wenig beliebte Bilder auszu lassen oder zu ersetzen. Die dem Zeitgeist entsprechende relative „Massenproduktion" — wir stehen am Beginn der Entwicklung des Buches vom Luxusgegenstand zum Ge brauchsgegenstand — zwang die Illuminato ren einfachere Lösungen zu suchen, die beItö galaao.Tobuficwi Caej^aC^Uäftttticttt ttmitvE vbtöu dt^ti W AXtitfiicmt-aMi ttttfitamtaitmtu Initiale des zweiten Buches Samuel (f. 97 v); zur Darstellung vgl. 2 Samuel 1,15 f.: Darauf rief David einen von seinen jungen Männern zu sich und sagte: Komm her, stoß ihn nieder! Und er schlug ihn tot. liebig oft wiederholt werden konnten. Manche Schritte in dieser Richtung können wir identi fizieren: So verschwinden Szenen aus den frühen illustrierten Vuigatabibein wie die Krö nung im Buch Richter, die Schöpfung Adams im 2. Buch der Chronik und die Schlachtens zene im 1. Buch der Makkabäer. Um 1240 gibt es nur mehr ganz wenige Beispiele, wo der Teufel mit Jjob (Job) erscheint, obwohl seine Anwesenheit biblisch und aus Kathedraltympanondarstellungen bestens bekannt ist. In unserer Handschrift wurde der Teufel interes santerweise in den Prolog verlegt. Der ge naue Vorgang der Auswahl von Motiven bleibt uns unbekannt, doch dürfte sich jedes Atelier, von Sachzwängen bestimmt, auf eine be stimmte Anzahl von Szenen beschränkt ha ben. Möglicherweise spielten Wunsch und Geschmack der Auftraggeber auch eine Rol le. Außerdem gibt es Bibelhandschriften, in denen sozusagen eine „Sparversion" zur An wendung kommt, wobei nur einige wenige Bücher, nämlich Genesis, Psalm I, das Buch der Sprüche, das Buch Jesaja, das Matthäusevangeiium und der Brief an die Römer, bild liche Initialen erhielten, der Rest mit Fleuronnee auskommt. Im Text folgt die Bibel von Wiihering der als Vulgata bekannten Übersetzung des Hiero nymus unter dem Einfluß der Bibelredaktion der Pariser Sorbonne, dem bedeutendsten Bibelkorrektorium des 13. Jahrhunderts. Die älteste, handschriftliche Bibeltradition hatte nämlich immer wieder dazu geführt, daß sich Fehler einschlichen durch Mißverständnisse, Abschreibfehler, Weglassen oder eigen mächtiges Hinzufügen. Es war deshalb ein ständiges Anliegen kirchlicher Instanzen oder einzelner Theologen, den Bibeitext kri tisch zu sichern. Die schon erwähnte Pariser Revision der Bibel wurde von einer Gruppe von Theologen und Librarii um 1220 heraus gegeben und wird als einbändige Universi tätsbibel oder Vulgata bezeichnet. Erkennbar ist sie an den äußeren Merkmalen, wie Aus wahl und Anordnung der Bücher und Prolo ge: So erscheinen Esral, dann Nehemias und erst dann Esrall; Jjob kommt vor den Psalmen und die Makkabäer bilden das Ende des Al ten Testaments. Das Neue Testament hinge gen enthält in dieser Reihenfolge: Evange lien, die Briefe des Apostels Paulus, die Katholischen Briefe und als Abschluß die Apokalypse; eine Anordnung, die wir auch bei der Wilheringer Bibel vorfinden. Sämtli che Bücher der Hl. Schrift sind vorhanden, beschränkt auf den biblischen Text und er gänzt durch eine sparsame Auswahl ge bräuchlichster Einleitungen, die Prologe und Argumente des hl. Hieronymus. Den Schluß bildet ein Register mit dem Verzeichnis von Interpretationen hebräischer Namen und die Bemerkung sowie der Dank des Schreibers: Laus tibi sit Christe quoniam über explicit iste. Die Provenienz des Kodex bestimmt sich einerseits nach den Schriftmerkmalen, an derseits nach kunsthistorischen Aspekten, denn in Wiihering selbst befinden sich dazu keinerlei Anhaltspunkte. Auf jeden Fall ist eine Entstehung im Kloster selbst oder auch im oberösterreichischen Raum aus zeitlichen und stilistischen Gründen auszuschließen. Für Wiihering, wie auch alle anderen Zisterzienserstifte war der luxuriöse farbige Buchschmuck verboten, seit das Generalkapitei in Giteaux 1134 gegen diesen Bücherlu xus aufgetreten war. In der Folge entwickelten die Zisterzienser — bevor sie dieses Verbot wieder durchbrachen — ihren eigenen Stil mit gedämpften Farben in Braun und Rot, der auch auf Augustiner Chorherren und Bene diktiner einwirkte. Noch 1647 befand sich un sere Handschrift in der Steiermark in weltli chem Besitz eines gewissen Georg Peter Gypressus, derauf foi. 1 vermerkt: Ex libris Petri Gypressi Anno 1647. Schon im darauffolgenden Jahr bemüht sich Gypressus um einen Verkauf der Handschrift und trug den Verlauf der Verkaufsverhand65

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