Oberösterreich, 36. Jahrgang, Heft 4, 1986

Die Städte Oberösterreichs Hans Koepf Städte waren früher unverwechselbare Er scheinungen, die von der Natur, von der Ge schichte und von der Struktur ihrer Bewohner geprägt waren. In der späteren Zeit, vor allem im Zeitalter der Industrie, glichen sich die Städte wie deren Bewohner immer mehr ein ander an. Das Siedlungsgebiet, das zu nächst klar akzentuiert und eng begrenzt war, begann sich immer weiter auszudehnen, oft weiter, als dies unbedingt notwendig war, weil irgendwo ein Baugelände erschlossen wer den konnte. Die Städte waren so keine ge schlossenen Organismen mehr, sondern wuchsen und wucherten. Damit entstanden wieder Verkehrsprobleme und Verkehrsströ me, die man mit Hilfe der Motorisierung leicht in den Griff zu bekommen glaubte. Das war natürlich ein Trugschluß. Denn mit der Motori sierung kam die Luftverschmutzung und ihr folgte die Lärmbelästigung. Je höher die Ver kehrsdichte wurde, desto weniger flüssig wur de der Verkehr, bis in Spitzenzeiten der Ver kehrsinfarkt eintrat. Die so „gut geplante" Stadt funktionierte immer weniger gut. Die Stadtqualität blieb auf der Strecke. Was blieb, war Unbehagen, was moderne Soziologen als „Unwirtlichkeit" bezeichnet haben. Der blinde Glauben an die die Zukunft war der Er nüchterung gewichen. Erst als das große Erbe in voller Auflösung begriffen war, began nen sich die Menschen Gedanken zu ma chen, was wohl einst zur Schönheit alter Stadtgründungen geführt hatte und was nun umgekehrt die Gründe für den rasanten Ver fall der Stadtkultur sind. Einen Fehler erkannt zu haben, scheint manchen Betrachtern schon der Beginn einer Umkehr und die Wen de zum Besseren zu sein. Doch sind manche Fehler irreversibel und deshalb kaum mehr zu beseitigen. Die grundlegenden Fehler lie gen bereits im falschen Denkansatz, der die Gehirne vernebelt hat. Falsche Propheten, wie der unselige Zukunftsträumer Le Gorbusier und sein ganzer Anhang, gingen um und predigten eine herrliche Zukunft. Die Athei sten glaubten an „weiße Kathedralen", mit de nen sie die alten Häuser und Städte in den Schatten stellen und glatt überstrahlen könn ten. Was dann kam, ist bekannt. Der große Magier und seine kleinschreibenden Mitläu fertypen begannen das neue Bauen mit Ma schinen und ihre „bodenlosen" Häuser mit Autos, Dampfern und Flugzeugen gleichzu setzen. Die Folge war, daß zwar die neuen Häuser nicht fliegen konnten, jedoch allmäh lich zu klappern, zu rosten und sich aufzulö sen begannen. Die kleinen Häuser ä la Poissy und Garches gefielen nicht einmal mehr ihren einst privilegierten Besitzern und die gi gantischen „Gites d' habitation" noch weniger den Massenmenschen, die man mehr oder weniger zwangsweise hier hineingestopft hatte. In dem Riesenkoloß von Brie-en-foret wohnten am Ende noch zwei algerische Gastarbeiter, bevor der defekte Kasten mit Brettern vernagelt wurde. Ebenso ging es der neuen Hauptstadt aus der Retorte Ghandigarh und der grauenvollen Fehlplanung Bra silia, die von den Zwangsbeglückten einfach nicht angenommen werden. Wenn man diese Entwicklung der „neuen" Städte einmal miterlebt und analysiert hat, beginnen die „alten" Städte, allen ihren Feh lern zum Trotz, plötzlich wieder interessant zu werden, was sicher nichts mit historischen Regungen oder Denkmalpflege allein zu tun hat. Diese Städte besitzen noch emotioneile Werte, die man nicht materiell erfassen kann. Es Ist dies etwas, was man etwas unklar das „Stadtbild" nennt und was moderne Siedlun gen eben nicht mehr auszubilden vermögen. Das Stadtbild entwickelt sich aus der Topo graphie heraus, im Gegensatz zu modernen Agglomerationen, bei denen man das Gelän de möglichst einebnet. Genau so geht es den Baukörpern. Diese werden einander angegli chen, wo man früher Akzente zu setzen ver sucht hat. Wenn man früher bemüht war, auf eine Anhöhe noch einen weiteren Schwer punkt zu bilden, wird heute aus Gleichschal tungsgründen kein Höhepunkt mehr gesetzt. Alles wird in das Prokrustesbett der grauen Masse gezwungen. Nur Hochhäuser gibt es heute noch, weil das Hochhaus, die traurigste Form der menschli chen Gleichschaltung und der profillosen Anonymität, eine Art Metapher für eine Groß stadt zu sein scheint. Doch ist das Hochhaus nicht ein Symbol für Größe, sondern nur für die potenzierte Form der Anonymität. Mit dem Aufgang der Quantität ist auf diesem Sektor der Untergang der Qualität ver bunden. Das Stadtbild Ist aber nicht nur in der Außen erscheinung der Stadt eine festgeprägte Grö ße mit ganz verschieden betonten Akzenten, sondern auch im Stadtinneren, wo sich die Akzente wieder variiert zu Wort melden. Die Innenbilder einer Stadt sind nie so langweilig wie bei den uniformen Baukörpern der „Neuen Heimat", die ein unaufmerksamer Mieter glatt miteinander verwechseln kann und das erst bemerkt, wenn sein Schlüssel nicht mehr paßt oder ein Fremder die Türe aufmacht, um sich den „Eindringling" an zusehen. Wie bereits Gamillo Sitte bemerkt hat, bilden die sich rechtwinkelig überschneidenden Straßen mit ihren streng ausgerichteten Hausfronten die langwelligsten und somit auch die trostlosesten Straßenbilder. Wenn es in diesen Städten überhaupt noch Denk mäler gibt, so stehen diese „natürlich" In der geometrischen Mitte eines Platzes und sind für alle Betrachter gleich uninteressant — die Hälfte bekommt immer die Rückfront zu geteilt. Wie die Straßen haben dann auch die Plätze ihre Höhepunkte verloren. In allen Städten nahmen die Straßenbreiten allmählich zum Stadtmittelpunkt zu. Hier sind die größten und breitesten Häuser, die meist noch durch einen besonderen baulichen Akzent ausge zeichnet sind. Diese Akzentuierung kann an den drei Hauptplätzen von Linz, Enns und Freistadt abgelesen werden. In der Mitte der Längsfront steht hier das breiteste und höch ste Gebäude, das außerdem noch durch eine besondere Dachbekrönung akzentuiert ist. In Freistadt ist die Situation fast ungestört, in Linz ist es mir nach langer Zeit gelungen, die Aufstockung des Funcke- und Loos-Hauses (Hauptplatz 14) herunterzuzonen und fast gleichzeitig stockte aber ein uneinsichtiger Gastwirt sein Haus in Enns wieder um eine Etage auf, was nicht nur am Hauptplatz, son dern vor allem auch auf der Rückseite im Stadtbild als Dissonanz wirkt. Der Stadtplatz ist Kristallisationszentrum und Mittelpunkt der oberösterreichischen Stadt. Er kann als regelmäßiges, mehr oder weniger langes Rechteck, wie In Linz, Enns oder Frei stadt, ausgebildet sein, er kann leicht ver schobene Langseiten, wie in Schärding oder Eferding, oder einen städtebaulich bedingten „Versatz" wie in Ried haben. Daneben gibt es den Straßenmarkt, der durch seine enorme Länge auffällt, wie in Braunau oder Vöcklabruck, und seitlich kurviert, wie in Wels, oder fischblasenähnllch gebläht, wie in Steyr. Die Störungen Im Stadtbild wirken sich also nicht nur im Nahbereich, sondern vor allem im Fernbild in zunächst ganz unvermuteten Perspektiven aus. Was hat es für einen Sinn, wenn man — wie zum Beispiel in Wels — die Häuser und Dächer im Stadtkern noch eini germaßen im Rahmen zu halten versucht, da hinter aber ein klobiges Hochhaus diesen Rahmen über den Dächern wieder tot schlägt? Was nützt es, wenn am Hauptplatz derselben Stadt noch einige wohlerhaltene Gebäude stehen, während an der nächsten Ecke in einer Seitengasse sich ein gesichts loser Neubau breitmacht? Städtebau Ist nicht nur eine Sache der Relationen, sondern vor allem der Qualifikationen, ohne daß man neue Bauten unbedingt dem Altbestand an passen muß. Nur darf der Qualltätsvergleich nicht so negativ ausfallen, daß damit auch die Altsubstanz am Ende noch mitzerstört wird, die man an anderer Stelle zu erhalten vorgibt. Die Stadt und besonders der Stadtkern ist eine Einheit, die durch unpassende Bauten empfindlich gestört und sogar entwertet wer den kann. Sie ist aber auch ein lebender Qrganismus, der nicht durch eine übertriebene 17

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